In Deutschland sterben mehr Menschen durch Suizid, als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen. Der Krisendienst Würzburg unter der Trägerschaft von Caritas und Diakonie ist eine spezialisierte Beratungsstelle für Menschen in Suizidgefahr und deren Angehörige. Er wird jährlich von ungefähr 450 Personen für telefonische und persönliche Beratung aufgesucht. Doch warum sehen eigentlich so viele Menschen keinen Ausweg mehr im Leben? Antworten darauf hat Waltraud Stubenhofer, Leiterin des Krisendienstes.
Jedes Jahr nehmen sich in Deutschland offiziellen Statistiken zufolge rund 10.000 Menschen das Leben, zehn Mal so viele versuchen es. Suizid ist also keine Randgruppenerscheinung, Frau Stubenhofer?
Waltraud Stubenhofer: Die Zahl der Suizide ist seit den 1980er Jahren sehr gesunken. Damals gab es noch an die 18.000 Suizidtote pro Jahr. Seitdem hat sich die Versorgung suizidaler Menschen verbessert, die Suizidzahlen sind gesunken. In den vergangenen Jahren bleiben sie jedoch relativ konstant, wir müssen also weiter aufklären und die Versorgung weiter verbessern. Im Vergleich zu anderen Todesfällen erkennt man, wie massiv die Problematik von Suizidalität und Suizid ist. Bei den Verkehrstoten sprechen wir beispielsweise von rund 3200 Menschen pro Jahr. Auch das ist sehr schlimm. Doch im Alltag ist das Thema Suizid nach wie vor sehr stark tabuisiert.
Warum?
Stubenhofer: Viele Menschen haben eine Scheu, offen über Suizidalität zu sprechen – sowohl Betroffene als auch die Angehörigen. Menschen die einen Angehörigen durch Suizid verlieren, sind von der Tabuisierung ebenfalls betroffen. Das hat verschiedene Hintergründe. Suizid war früher in vielen Ländern strafbar. Im Christentum wurde der Suizid über Jahrhunderte als Verbrechen gegen die Verfügungsmacht Gottes und gegenüber der Gemeinschaft betrachtet. Die Kirchen haben Ihre Haltung zum Suizid korrigiert und engagieren sich inzwischen bei der Suizidprävention. Solche gesellschaftlichen Haltungen wirken aber lange nach. Suizidalität offen auszusprechen oder anzusprechen fällt den meisten Menschen schwer, insofern hat die Tabuisierung auch mit Hilflosigkeit zu tun.
Diese Hilflosigkeit gibt es also auf beiden Seiten?
Stubenhofer: Betroffene möchten sich oft ihren Mitmenschen anvertrauen und machen nur Andeutungen bezüglich ihrer Not. Angehörigen und anderen Bezugspersonen fällt es meist schwer, konkret nachzufragen, wenn sie merken, jemand könnte suizidal sein. Die betroffene Person könnte die Suizidalität bejahen - das macht Angst und löst Hilflosigkeit aus.
Wie äußern sich Menschen, die suizidal sind?
Stubenhofer: Betroffene machen Andeutungen oder auch direkte Aussagen. "Ich weiß einfach nicht mehr weiter" oder "Ich möchte einfach meine Ruhe haben", "Ich kann nicht mehr". Da gibt es eine ganze Reihe von Sätzen, die häufig gebraucht werden. Es gibt auch Menschen, die ganz direkt sagen "Ich fahre gegen einen Baum" oder "Ich hänge mich auf". Sehr häufig ist es aber so, dass es indirekt angesprochen wird und darüber deutlich wird, dass die Person keinen Ausweg mehr weiß.
Wie zeigt sich das?
Stubenhofer: Mir fällt da eine Frau ein, die zu uns kam. Sie lebte getrennt von ihrem Mann und hatte drei Kinder. Eines davon war schwer erziehbar. Und sie selber hatte eine Depression. Und dann passierte noch etwas: Ihr schwer erziehbares Kind wurde aus der Einrichtung entlassen, in der es untergebracht war. Arbeitslos war die Betroffene auch noch. Wenn so viele Dinge zusammenkommen – und das gibt es häufig – dann wissen Betroffene nicht mehr weiter. Für diese Menschen scheint dann der Suizid der einzige Weg zu sein, um allem zu entkommen.
Wie sieht die Situation denn in Würzburg aus?
Stubenhofer: Im Vergleich zu Deutschland hat Würzburg eine normale Suizidrate. Es ist nicht schlimmer und nicht besser als in anderen Städten. Es gibt eine sogenannte Suizidzahl, die aussagt, wie viele Menschen von 100.000 sich das Leben nehmen. Und in Würzburg sind das in etwa zwölf. Aufgrund von solch kleiner Zahlen ist es aber schwer, eine Aussage zu machen, weil sie jedes Jahr schwanken. Wenn wir Würzburg-Stadt und den Landkreis nehmen, sind es 30 bis ungefähr 50 Menschen, die sich das Leben pro Jahr nehmen. In Unterfranken sind es in etwa 160. In den einzelnen Bundesländern gibt es Unterschiede bezüglich der Suizidzahlen. Bayern hat eine vergleichsweise hohe Suizidrate. Warum das so ist, ist nicht klar.
Wenn Sie Gedanken quälen, sich selbst das Leben zu nehmen, dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können. Der Krisendienst am Kardinal-Döpfner-Platz 1 ist Montag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr geöffnet, Tel. (0931) 571717, und täglich von 18.30 bis 00.30 Uhr ist unter derselben Nummer ein telefonischer Bereitschaftsdienst erreichbar.