
Wie bereits im letzten Jahr läuft auch heuer vieles anders beim Internationalen Filmwochenende in Würzburg, das am 27. Januar startet. Alle Filme werden eine Woche lang, das heißt bis zum 2. Februar, online zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sollen an den klassischen vier Festivaltagen die drei Leinwände des Central im Bürgerbräu bespielt werden.
Wie immer stehen die Filme ganz im Mittelpunkt des Festivals. Bei 55 verschiedenen Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen kann die Entscheidung schon einmal schwer fallen. Für Unentschlossene oder diejenigen, die sich einfach nicht festlegen können, haben Cineasten des Veranstalters Filminitiative den Festivalbesuchern ihre Lieblingsfilme zusammengestellt.
1. Kurzfilmblöcke
Ulrike Wolk: Wer sich einfach mal überraschen lassen möchte, ist bei den Kurzfilmblöcken richtig: In diesem Jahr gibt es wieder zwei, und die sind prall und bunt gefüllt mit insgesamt elf Dokumentationen, Animationen, kurzen Spielfilmen zwischen fünf und 30 Minuten. Eindrucksvoll ist die Dokumentation "Nanu Tudor", in der die Regisseurin ihren inzwischen sehr alten Onkel im idyllischen Haus ihrer Urgroßeltern damit konfrontiert, dass er sie als Kind missbraucht hat. Für "Only a Child" haben zwanzig Trickfilmregisseure dem Appell von Severn Suzuki, die als 12-Jährige beim Uno-Gipfel von Rio sprach, kraftvolle Bilder gegeben. Und mit "Transformable" haben wir sogar einen Film aus Würzburg im Programm.
2. Matinee: Nosferatu (Deutschland)
Vivi Bogumil: Spitze Zähne, gequälte Traumsequenzen, extreme Lichtkontraste: Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm "Nosferatu" von 1922 hat alles, was einen guten Vampirfilm ausmacht. Fast sogar zu viel, weshalb die Witwe von Bram Stroker einen Urheberrechtsstreit um das Gruselmärchen lostrat. Und tatsächlich wurde drei Jahre nach der Uraufführung entschieden, dass die nicht autorisierte Dracula-Adaption vernichtet werden muss. Zum Glück überlebten einige Schnittversionen und so kann er pünktlich zu seinem 100. Geburtstag auch auf dem Filmwochenende laufen. Die Livemusik steuert das bekannte Quartett Küspert & Kollegen bei. Hier kommt zusammen, was zusammengehört – nicht nur nach der langen Kulturdurststrecke ein Erlebnis für alle Sinne!
3. Murder Party (Frankreich)
Clémence Leboucher: Mögen Sie Escape Games und andere Schnitzeljagden? Haben Sie als Kind stundenlang Cluedo gespielt? Dann ist "Murder Party" aus Frankreich für Sie perfekt! Die knallbunten Farben der Kostüme lässt gleich erkennen: Fräulein Roth, Oberst Günther von Gatow und Co. sind Mitglieder einer sehr merkwürdigen Familie. Selbstverständlich wohnt diese in einem Herrenhaus, das dem bekannten Spielbrett ähnelt. Am Abend wird Dr. Schwarz im Billardzimmer mit Gift ermordet. Für die restlichen Figuren bleibt nur noch eine Frage: Wer ist der Täter? Folgen Sie Jeanne und der Daguerre-Familie durch ihre Ermittlungen und lösen Sie als Erste oder Erster den Fall!
4. Nachtwald (Deutschland)
Birgit Pelchmann: Wer hat nicht schon einmal als Kind vom Ausreißen geträumt? Max und Paul begeben sich auf einen ganz schön gefährlichen Weg und ich habe immer wieder gezittert, ob das alles gut gehen kann. Nicht nur die dramatischen Erlebnisse in der Wildnis, sondern auch die Freundschaft der beiden wird vor große Herausforderungen gestellt. "Mit welcher Freundin könnte ich wohl auf so ein Abenteuer gehen?", habe ich mich gefragt. Ob die beiden die sagenumwobene Höhle finden, von der Pauls verschwundener Vater Aufzeichnungen gemacht hat? Das sollten Sie unbedingt selbst herausfinden! Mutig sind Sie doch bestimmt. Empfohlen ab 10 Jahren.
5. Luzifer (Deutschland)
Matteo Saam: In dieser preisgekrönten Ulrich-Seidl-Filmproduktion prallen Welten aufeinander. Auf der einen Seite die naturbezogene Spiritualität der strenggläubigen Aussteigerin Maria und deren Sohn Johannes – zusammen leben die beiden in einer abgeschiedenen Almhütte und fristen ein Leben zwischen Gebeten und Ritualen. Auf der anderen Seite die technologisierte und zerstörerische Kraft des Massentourismus. Als Kulisse für die beeindruckenden Bilder des Exorzismus-Dramas "Luzifer" dient der Höllenstein in den Südtiroler Alpen. Ausgezeichnet wurden unter anderem die schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarsteller Susanne Jensen und Franz Rogowski. Wir zeigen den Film als Deutschlandpremiere!
6. Sweetie, You Won't Believe It (Kasachstan)
Klaus Wohlleben: Dastan und seine Frau erwarten ihr erstes Kind, die Nerven liegen blank. Er beschließt für mindestens einen Tag mit seinen beiden Freunden zu verschwinden. Die Männer wollen Fischen gehen, was sie im Übrigen zuvor noch nie gemacht haben. An ihrem Ziel angekommen werden sie Zeugen von etwas, dass sie besser nicht gesehen hätten. Von nun an entwickelt sich "Sweetie, You Won't Believe It" in eine künstlerisch anspruchsvolle schwarze Komödie mit genial-makabren Szenen, die dem Zuschauer die Lachtränen in die Augen treiben, stets ausbalanciert zwischen Thriller und Slapstick, gepaart mit erfinderischen Tötungen, manchmal blutig, manchmal fröhlich. Ein herrliches Machwerk des bösen Spaßes.
7. Ninjababy (Norwegen)
Thomas Schulz: Die junge Comiczeichnerin Rakel führt ein unbekümmertes Leben und tut worauf sie gerade Lust hat. Dies ändert sich schlagartig, als ein Schwangerschaftstest positiv ausfällt. Die norwegische Coming-of-Age-Komödie "Ninjababy" von Yngvild Sve Flikke erzählt beschwingt von dem schwierigen Weg einer ungewollten Schwangerschaft und findet mit Kristine Kujath Thorp die perfekte Hauptdarstellerin. Die ernsthafte Auseinandersetzung einer jungen Frau mit ihrem Baby wird dabei mit gut pointierten Humor und teils absurder Situationskomik verbunden. Besonders originell ist der gelegentliche Wechsel der Erzählperspektive, wenn Rakels emotionales Chaos von dem in ihren Zeichnungen zum Leben erweckten Comic-Fötus kommentiert wird. "Ninjababy" wurde 2021 mit dem Europäischen Filmpreis für die beste Komödie ausgezeichnet.
8. Vamos - Ein neuer Weg (Schweiz)
Barbara Schulz: Regisseurin Silvia Häselbarth Stolz, die bereits zweimal beim Filmwochenende zu Gast war, stellt in "Vamos – Ein neuer Weg" vier Menschen vor, die in der Mitte des Lebens zu einem Neuanfang gezwungen werden. Sie packen die Herausforderung an – mit verschiedenen Strategien und unterschiedlichem Erfolg. Spektakulär ist der Film nicht. Trennung, Krankheit, Einsamkeit und Unzufriedenheit sind Themen, die wir alle kennen und uns vertraut sind. Silvia Häselbarth Stolz ist ein stimmiger Film gelungen, der beispielhaft aus verschiedenen Perspektiven zeigt und reflektiert, wie andere Menschen damit umgehen und lernen, einen bestimmten Lebensentwurf loszulassen und ihr Ziel, wieder glücklich zu werden, verfolgen.
9. Peter-Heller-Retrospektive "Die Entdeckung der Wirklichkeit"
Florian Hoffmann: Der SWR nennt Peter Heller, dem unsere Retrospektive "Die Entdeckung der Wirklichkeit" gewidmet ist, "einen der wichtigsten deutschen Dokumentaristen unserer Zeit". Das mag sicher auch daran liegen, dass Hellers Werk schon fast ganze fünf Jahrzehnte umspannt, aber mich begeistert etwas anderes viel mehr: Sein einzigartiges Talent, in seinen Filmen immer etwas mehr Realität zu zeigen, als es eigentlich gibt. Geschehnisse, von denen wir denken, wir kennen sie genau aus den Nachrichten, beleuchtet er anders und findet oft überraschend neue Perspektiven – fast so, als existiere eine Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit. Am eindrücklichsten zeigt dies das Exilanten-Poträt "Life Saaraba Illegal". Ich weiß, das klingt alles sehr theoretisch, aber schauen Sie sich diesen Film an! Und vielleicht geht's Ihnen dann wie mir und Sie können gar nicht mehr genug von Peter Heller und seiner, nein, unserer Wirklichkeit bekommen.
10. I Never Cry (Polen)
Rainer Mesch: "I Never Cry" erzählt die Geschichte der 17-jährigen Ola, die in Irland die Überführung des Leichnams ihres in einem Containerhafen tödlich verunglückten Vaters nach Polen organisieren muss. Der kraftvoll erzählte Roadtrip wurde in Polen mit mehreren Filmpreisen ausgezeichnet und war der Hauptgewinner des Festivals für den osteuropäischen Film 2020 in Cottbus. Das Drama erzählt eine starke Vater-Tochter-Geschichte und präsentiert sich zugleich als ein wichtiger Beitrag zum Thema Arbeitsemigration. Das ist bestes, unterhaltsames und gleichfalls gesellschaftskritisches Kino in der Tradition des britischen Regisseurs Ken Loach.
11. Ghosts (Türkei)
Werner Schmitt: Mit ihrem Debütfilm "Ghosts" legt Regisseurin Azra Deniz Okyay einen aufregenden, hochpolitischen Spielfilm vor, in dem sie die gesellschaftliche Lage in der Türkei mit ästhetisch experimentellem Furor eindringlich beleuchtet. Anhand vier verschiedener Personen und Geschichten erzählt der Film, wie sich das moderne Istanbul verändert: eine Mutter, deren Sohn im Gefängnis sitzt, eine junge Tänzerin, eine Aktivistin und Künstlerin sowie ein gerissener Gauner laufen sich während eines landesweiten Stromausfalls immer wieder über den Weg. Die Omnipräsenz der Polizei sowie die passiv-aggressive Haltung vieler Menschen zeichnen ein sehr beunruhigendes Bild einer Gesellschaft, in der die Nerven blank liegen.
12. Sargnagel – Der Film (Österreich)
Gerhard "Eloy" Suttner: Ach, du glückliches Österreich mit deiner langen Tradition schräger Kulturschaffenden: Helmut Qualtinger, Georg Kreisler, Manfred Deix, Josef Hader, … Stefanie Sargnagel ist das neueste Enfant terrible dieser Szene. Aber muss man deswegen gleich einen Film über sie drehen? Sie meint, ja: "Ich will ja wissen wie's mit meinem Leben weiter geht." Und kann sich Sargnagel überhaupt authentisch selbst spielen? Und bleibt dann noch genügend Zeit für das Bier im Schmauswaberl und die feministische Burschenschaft Hysteria? Fragen, die der Film garantiert nicht beantwortet. "Sargnagel - Der Film" ist eine absurde Mockumentary - für alle Österreichliebhaber und Österreichhasser.
13. Introducing, Selma Blair (USA)
Julie Barthel: Obwohl ich dieses wie jedes Jahr viele Filme empfehlen könnte, liegt mir "Introducing, Selma Blair" von Rachel Fleit besonders am Herzen. In diesem discovery+ Original-Dokumentarfilm dürfen wir als Zuschauer an das Leben der amerikanischen Schauspielerin Selma Blair teilnehmen, die man vor allem aus "Eiskalte Engel" und "Hellboy" kennt. Der Film setzt ein, nachdem bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert wurde. Trotz der Schwere des Themas verlieht Blair ihrem Porträt eine ansteckende, leuchtende Leichtigkeit - ganz einfach mit ihrem Humor und der Lust am Leben. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich über diesen einzigartigen Film gestolpert bin und freue mich sehr, dass wir ihn in Würzburg zeigen dürfen!
14. Favolacce (Italien)
Richard Schwaderer: Das Drehbuch zu "Favolacce", für das die Regisseure (die Zwillingsbrüder Damiano und Fabio D'Innocenzo, hier mit ihrem dritten Film) 2020 überraschend den "Silbernen Bären" auf der Berlinale eingefahren haben, folgt einem bekannten Schema: Aufdeckung eines Geflechts von Lügen, Sex, Drogen und Mord hinter der Fassade einer scheinbar stabilen, aber doch bitter frustrierten Gesellschaft von Kleinbürgern. Treibende Kraft des Destruktionsprozesses sind die Kinder der Clique, Opfer und Täter zugleich. Der Film ist total heavy, ziemlich horrorlastig - auf italienische Art. Schließlich spielen Kinder die zentralen Rollen und bekommen somit wenigstens noch eine Spur von Mitgefühl ab, das die Regisseure den Zuschauern offenbar unbedingt austreiben wollten. Dazu ist der Film abgründig und immer auf der Kippe zum Surrealen... Da lässt sich irgendwie kein Appetithäppchen daraus zubereiten. Trotzdem ein aufregender Film. Am besten anschauen!
Nur schade, dass die Mainpost im Vorfeld keine Ankündigungen gebracht hat, wenn schon in WÜ eine derart großartige Verranstaltung läuft. Die Planung für Besucher wäre einfacher geworden.
Trotzdem großer Dank an alle (ehrenamtlichen!) Organisatoren eines bedeutenden Würzburger Kultureereignisses