"Die Töpferei ist überlastet." Diese Worte richtete das Jugendkulturhaus Cairo in Würzburg im vergangenen November an seine Abonnenten auf Instagram. Schon vor der Corona-Pandemie sei die Nachfrage nach dem Töpfereiangebot stetig gewachsen. Seit Herbst 2022 sei der Ansturm auf die wöchentlichen Termine jedoch völlig außer Kontrolle. Auf Anfrage der Redaktion gab das Cairo bekannt, dass sie 15 Plätze pro Kurs anböten, nicht selten aber 40 Personen für eine Teilnahme Schlange stünden. "Im November 2023 wurde unsere Töpferei von etwa 300 Personen genutzt", so eine Mitarbeiterin des Cairo, Madlen Will.
Stellt sich die Frage: Warum ist das Töpfern so beliebt? Dieter Zerwes ist seit 29 Jahren als Ergotherapeut im Tageszentrum für Seelische und Soziale Gesundheit in Würzburg tätig. Er selbst begeistert sich für das Töpferhandwerk und hat mit einigen Klientinnen und Klienten des Tageszentrums in therapeutischer Form mit Ton gearbeitet. Er erklärt, warum die Arbeit mit Ton wie eine Auszeit von alltäglichen Gedanken wirkt, körperliche Entspannung dabei aber oftmals ausbleibt.
Wie wirkt das Töpfern auf den Menschen?
Jedes getöpferte Objekt startet als amorpher Tonklumpen. Er fühlt sich kalt und starr an. Nun liegt es wortwörtlich in den Händen des Bearbeiters, was damit geschieht. Der Kreativität sind beim Modellieren und Gestalten keine Grenzen gesetzt. Der Klumpen wird zu Beginn geschlagen und geknetet, damit er geschmeidig und formbar wird. "Das Spüren einer Veränderung der Konsistenz ist ein Erlebnis für die Hände", so Ergotherapeut Zerwes.
Aber was passiert im Kopf während des Töpferns? Zerwes beschreibt den Prozess wie das Versinken in einem Buch. Beim Töpfern passiere dies, wenn sich der Fokus komplett auf Material und Objekt verlagere. Das Gehirn werde gezielt mit einer Herausforderung, in diesem Fall der Herstellung des Objekts, beschäftigt. "Das Gehirn kann nur eins: denken." Und richtig intensiv könne es sich nur mit einer Sache allein befassen. Die volle Konzentration wird also auf einen Gegenstand gerichtet, der mit der alltäglichen Gedankenwelt nichts zu tun hat. So distanziert laut Zerwes der laufende Prozess den Menschen immer weiter von bestehenden oder auch belastenden Gedanken. Blutdruck und Herzfrequenz sinken. Dieser Vorgang in Körper und Gehirn wirkten auf den Menschen heilsam und erholend.
Der Mensch wird durchgehend körperlich und gedanklich gefordert
Auch wenn das Töpfern den Menschen von belastenden, alltäglichen Situationen gedanklich weit entfernen kann, entspannt sich der Körper dabei nicht völlig. Denn laut Zerwes ist der gesamte Prozess des Töpferns nicht nur geprägt von der Vorfreude auf das Endprodukt, sondern auch von Anspannung. Durchgehend müsse während der Bearbeitung das Objekt beobachtet und dementsprechend gehandelt werden, damit dieses nicht in sich zusammenbreche. Bis zuletzt müsse damit gerechnet werden, dass der getöpferte Gegenstand den Brennvorgang bei Temperaturen bis zu 1000 Grad nicht überlebt. "Ton verzeiht nichts", sagt der 63-jährige. Es könne schnell passieren, dass die beruhigende Tätigkeit in Frustration übergehe, "sobald man seinem inneren Anspruch nicht mehr gerecht wird".
Der Schlüssel zum Erfolg liegt beim Töpfern in emotionalen Qualitäten
Wer mit einem erfolgreichen Endprodukt nach Hause gehen möchte, der muss nicht nur ein Händchen bei der Formgebung und Gestaltung haben. Ausdauer, Geduld, Sorgfalt und eine lange Aufmerksamkeitsspanne sind besonders wichtig. Die Hände und der ausgeübte Druck müssen kontrolliert werden. Fingerspitzengefühl ist gefragt.
Für Ergotherapeut Dieter Zerwes bedeutet das Töpfern, einen Teil seiner Lebenszeit in einem ganz individuell gestalteten Objekt zu konservieren. Sein Fazit: Der eigentliche mentale Ausgleich liege darin, seinen Fokus komplett zu verschieben, aber nicht in einer reinen körperlichen Entspannung.