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WÜRZBURG
Töpfern: Mit Schwung an die Scheibe
Töpfern: Lange verpönt, ist Keramik wieder Trend – und Selbermachen angesagt. Viele zieht es in die Werkstätten. Weil das Tonen beruhigt. Und weil man da sogar Junggesellenabschiede feiern kann.
Potter       -  Selbstgemacht ist in: Immer mehr Menschen wollen an der Töpferschale drehen. Töpferkurse sind wieder sehr gefragt.
Foto: Bernhard Richter/Thinkstock | Selbstgemacht ist in: Immer mehr Menschen wollen an der Töpferschale drehen. Töpferkurse sind wieder sehr gefragt.
Jasmin Schindelmann
Jasmin Schindelmann
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:24 Uhr

Patrick Swayze und Demi Moore haben es 1990 in „Ghost“ allen Zuschauern gezeigt: Töpfern ist Leidenschaft. Die feuchte Masse, die unter dem Druck der Hände nachgibt. Die geschwungene Form, die man sanft und gefühlvoll berührt. Die Töpferscheibe, die durch ihre Geschwindigkeit leicht vibriert. Einst war Töpfern einfach nur Handwerk, Geldbeschaffungsmaßnahme also. Noch immer gibt es in Deutschland etwa 4000 Handwerksbetriebe, die davon leben.

Doch Töpfern ist natürlich auch Hobby. Und derzeit so angesagt wie schon lange nicht mehr. Auch in Stadt und Landkreis Würzburg setzen sich immer mehr Menschen an die Töpferscheiben. Stefanie Kiesel, Inhaberin von TonArt Kreativraum in Würzburg, kann den Trend bestätigen. Immer mehr junge Menschen kommen zum Töpfern in ihre Werkstatt, darunter auch Männer. Ihr Kundenstamm ist bunt durchgemischt, tendenziell sind die meisten Besucher im Alter von Mitte 20 bis Ende 30 Jahren, sagt sie.

Genereller Trend zum Selbermachen

Aber worum geht es eigentlich beim Töpfern? Um einen Trend, ein Lebensgefühl oder doch um die entspannende Arbeit mit den eigenen Händen? Kiesel spricht von einem generellen Trend zum Selbermachen. Ob Gärtnern, Basteln, Häkeln oder Töpfern – immer mehr Menschen wollen in ihrer Freizeit kreativ sein. Das Material Ton biete sich laut Kiesel gut an, da es für jeden zugänglich sei. Außerdem habe das Töpfern eine beruhigende Wirkung. In der TonArt-Werkstatt finden auch Veranstaltungen für Kindergeburtstage oder Junggesellenabschiede statt, bei denen Hochzeitsgeschirr bei einem Glas Prosecco selbst gemacht wird.

Werkstudentin Anna Weißenberger im Jugendkulturhaus Cairo bestätigt den Trend zum Selbermachen. Vor allem im Winter sei in der Werkstatt am Fred-Joseph-Platz oft so viel los, dass nicht alle einen Platz bekommen. Töpfern sei im Cairo schon immer beliebt gewesen. Für die erfahrenen Töpfer hat die Werkstatt jeden Tag geöffnet, für alle Anfänger gibt es dienstags und mittwochs von 18 bis 21 Uhr Kurse.

Margarethe Wendt, Inhaberin des Werkeltreffs in Kleinrinderfeld spricht ebenfalls von einer beruhigenden Wirkung des Tonens. Wendt: „Immer mehr junge Leute, besonders junge Mütter, kommen in die Werkstatt, um abzuschalten.“ Aber auch Männer jeder Altersklasse, vom Fließenleger, Medizinstudenten bis hin zum Lehrer, „werkeln“ bei ihr. Sie bietet schon seit fast vierzig Jahren Töpferkurse in ihrer offenen Werkstatt an, in die jeder ohne Vorkenntnisse kommen kann.

Töpfer-Trend zeigt sich auch im Fernsehen

„Aber ich bin doch gar nicht kreativ“, hört sie oft von Besuchern, die das erste Mal kommen. Wendt: „Am Ende verlassen sie die Werkstatt stolz wie Bolle mit ihrem Ergebnis.“ Viele haben das Töpfern negativ vom Handwerkunterricht zu Schulzeiten in Erinnerung, vermutet sie. Denn dort ginge der Einzelne oft unter.

Den Eindruck, dass Töpfern immer beliebter wird, hat auch Sabine Steinisch, Fachbereichsleiterin Kultur an der Volkshochschule Würzburg. Der Trend zum Selbermachen zeigt sich auch dort. Nicht nur die Töpferkurse, auch das Nähen sei wieder hip, berichtet Steinisch. Manche Töpferkurse sind restlos ausgebucht, so dass Zusatzkurse angeboten werden. An der VHS töpfern mehr Frauen als Männer, darunter alteingesessene Teilnehmer, die bereits seit vielen Jahren kommen, aber auch immer mehr Jüngere. Die VHS bietet regelmäßig Workshops und Kurse zum Töpfern und Tonen an.

Ton-Schlacht im britischen Fernsehen

Auch im Fernsehprogramm zeigt sich der Töpfer-Trend. „The Great Pottery Throw Down“ – frei übersetzt die große Töpfer-Schlacht – lief auf dem britischen Sender BBC 2. Zehn Hobby-Töpfer traten in sechs Episoden gegeneinander an. Wer töpfert den schönsten Eierbecher? „Töpfern ist fast so gut wie Sex“, lehrt die Jury. Währenddessen springen die Kandidaten im Dreieck, um ihre „Babys“ – wie sie zu ihren Schalen sagen – rechtzeitig zum Brennofen zu bringen. Bis zu 2,5 Millionen Zuschauer haben sich die Schlacht mit dem Ton angesehen.

Mal abgesehen vom Wettbewerbscharakter ist das gemeinsame Töpfern in großen Gruppen nichts Neues. Kurse und Werkstätten gibt es in jedem Ort. Nun entdecken aber auch immer mehr junge Erwachsene den Charme dessen, was früher als spießig galt und heute so rar geworden scheint: ein geordnetes Vorstadtleben mit selbst gemachter Marmelade und einer zerbeulten Keramik-Vase für die Kornblumen. Handarbeit gebe den Leuten das Gefühl, ihre Welt überschauen zu können, glauben Trendforscher.

Mit Ton Plastik aus dem Leben verbannen

Einige junge Frauen wollen mithilfe von Ton Plastik aus ihrem Leben verbannen. Teller, Näpfe, Eierbecher – was in den Werkstätten und Kursen erschaffen wird, ist kein Schnickschnack, sondern bodenständig und nützlich. Selbstgemachte Keramik-Gefäße sollen nun die Plastikdosen ersetzen. Mit diesem Hintergedanken schließen sich in vielen Städten immer mehr Frauen zum gemeinsamen Töpfern zusammen – nach dem Motto: Töpfer-Parties sind die neuen Tupper-Parties.

Wie wertvoll Selbstgemachtes inzwischen ist, zeigt eine Trendanalyse, die anlässlich der Handarbeitsmesse h+h cologne in Köln erhoben wurde: Demnach liege das Marktvolumen bei rund 1,3 Milliarden Euro. Selbermachen sei inzwischen mehr als ein Zeitvertreib, es sei Ausdruck für einen modernen Lebensstil, eine Lebensphilosophie. Der Stempel „Selbstgemacht“ habe sich zu einer Art Statussymbol entwickelt, das für ein neues Luxusverständnis steht, sagen die Messeveranstalter. Sie sprechen von einem Wertewandel – von Werten weit jenseits von materiellem Reichtum.

Selbstgemacht: Die Blume aus Ton: Die Frau  im Ballkleid
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