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BAD NEUSTADT/WÜRZBURG
Ilse Aigner: „Siemens will den Standort halten“
Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner beim Redaktionsbesuch in Würzburg
Foto: Theresa Müller | Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner beim Redaktionsbesuch in Würzburg
Benjamin Stahl
 und  Achim Muth
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:50 Uhr

Ilse Aigner ist optimistisch, was den Wirtschaftsstandort Bayern angeht. In der Flüchtlingsfrage sieht sie dagegen noch viele Herausforderungen. Ob die aktuelle bayerische Wirtschaftsministerin diese in zwei Jahren als erste Ministerpräsidentin des Freistaats angehen will?

Frage: Die Lage ist gut, die Zukunft unsicher. So fasste diese Woche vbw-Präsident Alfred Gaffal die wirtschaftliche Situation in Bayern zusammen. Gleichzeitig fordert er eine „zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik“. Was muss die Politik tun, damit es der bayerischen Wirtschaft weiter gut geht?

Ilse Aigner: Es stimmt, dass wir momentan eine gute wirtschaftliche Lage haben, wir müssen aber daran arbeiten, dass es so bleibt. Es gibt viele und teilweise globale Unsicherheiten. Um Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, brauchen wir mehr Investitionen, intelligente Produkte, Forschung und Technologie und natürlich fleißige Arbeitnehmer und innovative Unternehmen.

Das Stichwort Innovation spielt derzeit beim Würzburger Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer (KBA) eine große Rolle. Dort wird gerade versucht aus dem analogen ins digitale Zeitalter zu kommen. Wie war Ihr Eindruck bei Ihrem Besuch heute?

Aigner: Die Firma ist durch eine schwierige Phase gegangen, hat aber den Mut gehabt, sich neu aufzustellen und Kooperationen einzugehen – etwa im Bereich Digitaldruck mit dem US-Konzern HP. Das war notwendig, weil das die Existenzfähigkeit der Firma sichert. Es zeigt sich, dass der Strukturwandel mit Mut zu schaffen ist.

Ist der digitale Transfer, der gerade bei KBA vollzogen wird, modellhaft für andere Unternehmen?

Aigner: Es ist auf jeden Fall ein gutes Beispiel. In allen Branchen werden sich mit der Digitalisierung die Geschäftsmodelle und Produktionsprozesse verändern. Mir ist es wichtig, dass unsere Unternehmen die Chancen nutzen – und dabei unterstütze ich sie. Etwa mit dem Digitalbonus, den ich ab Herbst ausgeben werde.

Weniger gute Nachrichten kommen in der Region von Siemens. Am Standort Bad Neustadt sollen 370 wegfallen, IG Metall und Betriebsrat befürchten bis 2020 die Streichung von bis zu 900 Arbeitsplätzen. Wie sicher ist der Standort in Bad Neustadt?

Aigner: Siemens hat mir versichert, dass der Standort erhalten bleibt. Wir hatten beim letzten Stellenabbau vor einigen Jahren vereinbart, dass nicht unter 1700 Arbeitsplätze abgebaut werden (derzeit hat Siemens in Bad Neustadt rund 2300 Beschäftigte; Anm. d. Red.). Diese Zusage steht heute auch noch. Die Firmenleitung hat mir gegenüber außerdem betont, dass die Befürchtung des Betriebsrates nicht den Planungen entspricht. Auch das nun verabredete Joint Venture mit Valeo soll demnach keine Auswirkungen auf den Standort Bad Neustadt haben.

Das Joint Venture soll den Standort für drei Jahre garantieren. 1995 gab es aber im oberfränkischen Bad Rodach schon einmal ein Joint Venture zwischen Siemens und Valeo – 1998 zog sich Siemens zurück.

Aigner: Das ist nicht vergleichbar. In Bad Neustadt hat man viel im Bereich E-Mobilität investiert, deswegen ist der Standort für Siemens sehr wichtig. Es gibt die klare Aussage, dass der aktuelle Fall eine dauerhafte Investition mit Wachstumspotenzial sein soll.

Was Siemens an Kompetenzen in Bad Neustadt hat, gibt es bei Valeo nicht. Das woanders aufzubauen, ist weder wirtschaftlich noch standortpolitisch sinnvoll.

Die Flüchtlingssituation beschäftigt auch die bayerische Wirtschaft. Anfangs hatten viele die Hoffnung, Flüchtlinge könnten unseren Fachkräftemangel decken. Sie sagten kürzlich, 90 Prozent der Flüchtlinge seien für den deutschen Arbeitsmarkt unzureichend qualifiziert. Was ist also zu tun?

Aigner: Die Menschen, die zu uns kommen, müssen anständig behandelt und integriert werden. Und Integration funktioniert am besten über Arbeit. Für mich ist klar, dass der Flüchtlingszustrom unser Fachkräfteproblem nicht eins zu eins lösen kann, deshalb habe ich die Euphorie von Anfang an nicht geteilt. Natürlich sind unter den Flüchtlingen einige gut ausgebildete Fachkräfte. Aber die berufliche Qualifikation von Facharbeitern, wie wir sie haben, gibt es in vielen Ländern gar nicht. Wir müssen in den meisten Fällen viel nachholen. Das zweite Problem ist die Sprache. Was wir jetzt brauchen, ist Zeit, und wir müssen viel in die Menschen investieren. Das versuchen wir mit unserem Integrationspaket, das der Freistaat mit 500 Millionen Euro ausgestattet hat.

Die bayerische Staatsregierung sorgt etwa für zusätzliche Lehrkräfte und Klassen an Berufsschulen zur Qualifikation für eine Ausbildung. Darüber hinaus braucht es natürlich entsprechende Ausbildungsplätze bei den Unternehmen. Hier gibt es die Zusage der bayerischen Wirtschaft von zusätzlichen 60 000 Plätzen bis 2019. Das ist eine enorme Anstrengung und Leistung.

In der Flüchtlingsfrage gehen die Positionen von CSU und CDU teils weit auseinander. Könnte die Zusammenarbeit daran zerbrechen?

Aigner: Wir haben ein gemeinsames Interesse, das Problem zu lösen. Da sind wir uns zu 95 Prozent einig, nur beim Thema Begrenzung gibt es Unterschiede. Die Frage, ob Integration gelingt, hängt aber an der Frage, wie viele integriert werden müssen. Die Bereitschaft ist groß, aber die Aufgabe muss machbar sein. Hier müssen wir uns einigen, und daran wird sich zeigen, wie wir gemeinsam mit der CDU Politik machen können.

Hängt das nur an der Flüchtlingsfrage?

Aigner: Nein, auch die Themen Arbeitsmarktsituation und Erbschaftssteuer müssen geklärt werden.

Ist es möglich, dass die CSU mit einem eigenen Wahlprogramm im kommenden Wahlkampf geht?

Aigner: Ja, aber das hängt davon ab, ob man sich bei den wesentlichen Punkten einigen kann. Das Ziel bleibt, gemeinsam in den Bundestagswahlkampf zu gehen. Für die CSU ist jedoch immer entscheidend, wie wir bayerische Positionen bestmöglich vertreten können.

Bayerische Positionen formuliert Horst Seehofer gerne sehr pointiert, manchmal drohend. Steckt da etwas dahinter oder ist das nur ein Mittel, um rhetorisch der AfD zu begegnen?

Aigner: Nein, das ist das Einbringen von bayerischen Positionen. Die CSU ist die einzige Partei, die das kann: Bei vielen Verhandlungen in der Koalition sitzen nicht nur drei Parteien, sondern auch ein Bundesland mit am Tisch. Das gefällt außerhalb Bayerns nicht allen, aber der bayerischen Bevölkerung.

Ist es ein Modell, als CSU bundesweit anzutreten?

Aigner: Das halte ich für keine kluge Idee. Unser Erfolgsrezept ist, dass wir bayerische Politik als bayerische Partei machen können.

Horst Seehofer hat für 2018 seinen Rückzug angekündigt. Sie und Markus Söder gelten als aussichtsreichste Nachfolger. Bayern ist reif für eine Ministerpräsidentin, oder?

Aigner: Spätestens seit Angela Merkel ist eine Regierungschefin in Deutschland keine Besonderheit mehr. In Bayern stellt sich die Frage allerdings derzeit nicht, alle Personalspekulationen liegen auf Eis. Für uns ist vor allem wichtig, dass an der Spitze des Freistaates auch in Zukunft eine Person steht, die der CSU angehört, damit wir die Jahrzehntelange erfolgreiche Arbeit für Bayern fortsetzen können. Dafür werden wir kämpfen.
 

 
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