
Margot Friedländer hat den Holocaust überlebt. Zurückgekehrt in ihre Heimatstadt Berlin, erlebt sie dort in diesen Tagen erneut offenen Antisemitismus. Er wolle sich gar nicht ausmalen, wie sehr der Hass und die Hetze nach dem Terrorangriff der Hamas die 102-Jährige aufwühlen, ja aufwühlen müssen, hat unser Autor in einem "Samstagsbrief" an Margot Friedländer geschrieben. Jetzt hat sie geantwortet.
Sehr geehrter Herr Czygan,
liebe Leserinnen und Leser der Main-Post,
über den Samstagsbrief und über die Glückwünsche zu meinem 102. Geburtstag habe ich mich sehr gefreut. Besonders freut mich, dass meine Worte auch über meine Heimatstadt Berlin hinaus so viel Gehör finden!
Wir erleben gerade wieder schwierige Zeiten. Als ich vor mehr als 14 Jahren mit 88 Jahren nach Deutschland zurückgekommen bin, nach 64 Jahren im Exil in den USA, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass der Antisemitismus jemals wieder ein derart erschreckendes Ausmaß annehmen würde – ausgerechnet in Deutschland!
Damals, nach meiner Rückkehr, habe ich angefangen, in Schulen zu gehen und öffentliche Lesungen zu halten, um zu berichten, über das, was jenes unmenschliche Regime getan hatte. Denn ich spreche für die, die nicht mehr sprechen können. Für die sechs Millionen Menschen – Männer, Frauen und Kinder –, die man umgebracht hat, nur weil sie Juden waren. Dazu weitere Millionen von Menschen, die das Regime nicht als Menschen betrachtet hat.
Was war, können wir nicht mehr ändern. Aber es darf nie wieder geschehen. Nie wieder soll auch nur einem Menschen das zugefügt werden, was damals Menschen getan haben, weil sie Menschen nicht als Menschen anerkannt haben. Eine Mahnung, die in diesen Tagen wieder eine besonders erschreckende Aktualität bekommen hat.
Margot Friedländer: Wehret den Anfängen
Dies ist auch der Grund, weswegen ich vor wenigen Monaten die Margot Friedländer Stiftung gegründet habe, die mein Lebenswerk fortführen wird. Ich hoffe sehr, dass meine Stiftung viele Unterstützer und Spender finden wird. Denn es ist die Aufgabe von uns allen, den Anfängen zu wehren und gegen Antisemitismus einzutreten – gerade auch im privaten Umfeld. Darum bitte ich Sie alle herzlich!
Ich kann nicht sagen, wie viel Zeit mir noch bleiben wird. Aber so lange ich noch die Kraft habe, werde ich weiterhin alles tun, um für Menschlichkeit und Toleranz einzutreten. Vor allem werde ich weiterhin Schulen besuchen, vor allem auch Schulen mit einem hohen Anteil an Schülern, deren Eltern nicht in Deutschland geboren wurden. Ich sage dabei immer allen das gleiche: Es gibt kein jüdisches, christliches oder muslimisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut! Seid Menschen, denn wir sind alle gleich!
Mit herzlichen Grüßen
Ihre
Margot Friedländer, Ehrenbürgerin von Berlin
Spendenkonto der gemeinnützigen Margot Friedländer Stiftung:
IBAN: DE69 1005 0000 0191 2629 27 bei der Berliner Sparkasse
Mehr Informationen: www.margot-friedlaender-stiftung.de