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WÜRZBURG
Hochgefühle in Zeiten des Prager Frühlings
Prager Frühling       -  Im August 1968 umringen Demonstranten in der Innenstadt von Prag sowjetische Panzer und stehen mit einer Fahne der Tschechoslowakei auf einem umgekippten Militärfahrzeug. Reformpolitiker unter der Führung Alexander Dubèeks hatten vor 50 Jahren versucht, in der Tschechoslowakei einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen. In der Nacht zum 21. August 1968 marschierten Truppen des Warschauer Pakts unter Führung der UdSSR in der Tschechoslowakei ein und beendeten den „Prager Frühling“ mit Waffengewalt. Foto Libor Hajsky CTK via epa, dpa
Foto: Libor Hajsky (CTK via epa) | Im August 1968 umringen Demonstranten in der Innenstadt von Prag sowjetische Panzer und stehen mit einer Fahne der Tschechoslowakei auf einem umgekippten Militärfahrzeug.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:12 Uhr

Die Hochzeit wird gerne als der schönste Tag im Leben bezeichnet. Die Weihe gilt als wichtigster Moment im Werdegang eines Priesters. Das Ehepaar Ute und Endre Koncsik erlebt beides im gesellschaftlich und politisch umwälzenden Jahr 1968. So haben sie zum Beispiel den Prager Frühling miterlebt – allerdings nicht direkt in der damaligen Tschechoslowakei beziehungsweise CSSR. Sie spürten die Auswirkungen in den sozialistischen Bruderländern DDR und Ungarn.

Seine Frau hatte der Ungar Endre Koncsik Mitte der 1960er Jahre auf einer Studienreise in der DDR kennengelernt – in Halle.„Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagen beide. „Und wir würden heute alles noch einmal genauso machen.“ In einigen Dingen würden sie aber das Rad der Zeit doch gerne zurückdrehen.

Endre Koncsik feiert Goldene Priesterweihe

Als die beiden ab Januar 1968 ihre Hochzeit in ihren jeweiligen Heimatländern vorbereiten, beginnt „nebenan“ unter dem neuen tschechoslowakischen KP-Generalsekretär Alexander Dubèek eine Reformbewegung, die dem Sozialismus ein menschlicheres Gesicht geben will. Als die Koncsiks Ende April in der DDR standesamtlich und danach in Ungarn kirchlich heiraten, steht der „Prager Frühling“ in voller Blüte.

In der griechisch-katholischen Kirche sind Ehen für Priester erlaubt, wenn die Hochzeit vor der Weihe stattfindet. Als Endre Koncsik am 18. August – also vor genau 50 Jahren – in der ostungarischen Stadt Nyíregyháza das Sakrament der Weihe empfängt, laufen in Moskau die letzten Vorbereitungen, um jegliche Frühlingsgefühle zu beenden. Truppen des Warschauer Pakts setzen sich kurz darauf unter russischer Führung mit Panzern in Bewegung, um die demokratisch-freiheitlichen Ansätze brutal niederzuwalzen.

Das Jahr 1968 ist also für die Koncsiks aufregend – aus persönlicher und auch aus politischer Sicht. Sie verfolgen die Ereignisse aus östlicher Perspektive, eben von der DDR und von Ungarn aus. Seit 1980 leben sie in Würzburg. Jetzt, anlässlich ihrer Goldenen Hochzeit und der Goldenen Priesterweihe des langjährigen Vizeoffizials, kommen schöne, aber auch schmerzliche Erinnerungen hoch.

Viele bürokratische Schwierigkeiten vor der Hochzeit

„Wir haben in der DDR nicht viel gehört, außer dass in der Tschechoslowakei eine Art Revolution im Gange ist“, erzählt Ute Koncsik. „Bedingt durch die vielen bürokratischen Schwierigkeiten wegen unserer Hochzeit, habe ich das damals nicht alles sofort zu Kenntnis genommen.“ Sie habe jedoch gemerkt, dass die DDR-Regierung unter Walter Ulbricht argwöhnisch nach Prag blickt.

Endre Koncsik war gefühlsmäßig stärker in die politischen Umwälzungen involviert. Er hatte als 14-Jähriger in seiner Heimatstadt Buda am 23. Oktober 1956 den Beginn und Anfang November hautnah das Ende der ungarischen Revolution erlebt. Für den Jugendlichen war plötzlich Krieg. Die gewaltsame Niederschlagung empfindet er bis heute als traumatisches Erlebnis. Der Priester steht seither dem Kommunismus skeptisch gegenüber. 1968 hofft er, dass es dieses Mal die Revolution in der CSSR besser ausgeht.

Bis zur seiner Weihe sieht es ganz danach aus. Intern wird Alexander Dubèek allerdings bereits seit Monaten von Russlands Staatschef Leonid Breschnew und den Machthabern der „sozialistischen Bruderstaaten“ unter Druck gesetzt. Er soll die „Konterevolution“ in seinem Land beenden. Er tut es nicht.

Das gewaltsame Ende des Prager Frühlings

Zwei Tage nach der Weihe von Endre Koncsik in Ungarn, beginnt in der Nacht des 20. August 1968 in der CSSR die Invasion. Am 21. August kommt es in Prag zur großen Demonstration auf dem Wenzelsplatz. Menschen stehen vor den Panzern, wollen mit den Soldaten diskutieren. Es fallen Schüsse. 105 Menschen verlieren in der Tschechoslowakei in den folgenden Tagen ihr Leben, 500 werden zum Teil schwer verletzt.

Direkt konfrontiert mit den dramatischen Ereignissen werden die davon völlig überraschten Koncsiks erstmals am Bahnhof von Budapest. Die Eltern der Braut, die von Halle zur Priesterweihe nach Ungarn gereist waren, wollen nach der Zeremonie zurück in die DDR. Doch am Bahnhof herrscht Chaos, erzählen sie. Es habe kaum Informationen gegeben, nur dass in der Tschechoslowakei ein Umsturz im Gange sei. Man könne den „Bruderstaat“ nicht mehr passieren. Deshalb würden keine Züge mehr fahren und keine Flugzeuge starten.

Ute Koncsik hat die Bilder noch im Kopf: von den vielen Menschen, die nicht wissen wie es weitergeht. Sie beschreibt die Unruhe, die Ratlosigkeit. Aber auch die straffe Organisation von Unterkünften für die Gestrandeten, darunter viele Westtouristen.

„Erneut wurde eine Hoffnung der Menschen nach Freiheit zerstört“

Das griechisch-katholische Priesterehepaar Ute und Endre Koncsik feierte im April Goldene Hochzeit. Vor genau 50 Jahren wurde Endre Koncsik in Ungarn zum Priester geweiht. Seit 1980 leben sie in Würzburg.
Foto: Theresa Müller | Das griechisch-katholische Priesterehepaar Ute und Endre Koncsik feierte im April Goldene Hochzeit. Vor genau 50 Jahren wurde Endre Koncsik in Ungarn zum Priester geweiht. Seit 1980 leben sie in Würzburg.

Von Ungarn aus sei es leichter gewesen, die Entwicklungen zu verfolgen, dort habe es im Gegensatz zur DDR Westzeitungen gegeben. „Wir haben die Daumen gedrückt, dass die Revolution in Prag nicht ganz zerschlagen wird“, sagt Ute Koncsik. „In der Slowakei waren viele Ungarn“, fügt Endre Koncsik hinzu, „deshalb hat unsere ungarische Armee zum Beispiel in Bratislava nicht zu den Waffen gegriffen. Das erfüllt mich noch heute mit Stolz.“

Doch alles Hoffen und Bangen ist vergeblich. Der helle Prager Frühling wird zum düsteren Herbst. Es folgen dort die Jahre der „Normalisierung“. So nennen die für den Einmarsch Verantwortlichen die Phase nach der vermeintlichen „Konterrevolution“. Sie sehen sich als Helfer, nicht als militante Angreifer. „Erneut wurde in der CSSR wie 1956 in Ungarn die Hoffnung der Menschen nach mehr Freiheit und Mitspracherecht mit Waffengewalt zerstört“, bedauert Endre Koncsik.

Am 25. August 1968 findet dann in Buda seine Primiz, der erste von ihm zelebrierte Gottesdienst, statt. Seine Schwiegereltern, die immer noch nicht aus Ungarn ausreisen konnten, sind gerne dabei, trotz der unsicheren Lage. Ebenso die ungarischen Verwandten, darunter viele Priester.

„Verhütung und freie Liebe waren damals in der DDR kein Thema“

Die Freude über ihr persönliches Glück, aber auch die Sorge, wie und wann die Eltern zurück nach Halle kommen und wie es in der CSSR weitergeht, sorgen für ein Wechselbad der Gefühle. „Im Kommunismus ist ja sonst alles geordnet gewesen, so sind wir ja aufgewachsen“, beschreibt Ute Koncsik die für sie und ihre Familie aus den Fugen geratene Welt.

Dass im Westen die katholische Kirche durch das Verbot der Pille durch Papst Paul VI. ebenfalls in Aufruhr ist, interessiert die beiden damals nur am Rande. „Verhütung und freie Liebe waren zu dieser Zeit in der DDR kein Thema“, sagt Ute Koncsik. Das kam erst in den 1970ern unter Erich Honecker.

Die Wartezeit der Eltern von Ute Koncsik in Budapest ist nach kurzer Zeit vorbei. Ein Zug fährt über Russland in die DDR. „Sie waren zwei Tage unterwegs nach Halle.“ Kurz nach der Ankunft erleidet der Vater einen Gehirnschlag und stirbt. Glück und Leid liegen oft nah beieinander.

Heimliche Religionsunterrichtsstunden in Ungarn

Ihr gemeinsames Leben in Ungarn beginnt in der Stadt Miskolc. Ute Koncsik empfindet es nach ihren Erfahrungen in der DDR als eine Art Befreiung. Alles habe offener, großzügiger gewirkt. Doch sie merkt bald: Bespitzelungen gibt es auch dort, „in der scheinbar fröhlicheren Baracke des Kommunismus“. Sogar durch die eigene Familie. Die Stasi ist überall, und die Kirche hat keinen guten Stand. Dennoch organisieren sie heimlich Religionsunterrichtsstunden.

Als ihre Lage sich in Ungarn immer mehr zuspitzt, flieht das Paar mit seinem elf Jahre alten Sohn Imre 1980 nach Westdeutschland. „Wir mussten alles zurücklassen.“ In Würzburg nimmt Bischof Hans-Werner Scheele sie mit offenen Armen auf. Ein neues Leben beginnt. Für Endre Konscik als Kirchenrichter, Vizeoffizial und Seelsorger der ungarischen Gemeinschaft, für seine Ute als zurückgezogen lebende Ehefrau, die auf Wunsch der damaligen Bistumsverantwortlichen ihren Beruf als Sprachlehrerin und Dolmetscherin aufgibt und als unbezahlte Haushälterin ihres Mannes fungiert, aber nicht nur. „Meine Frau hat mich immer unterstützt, sei es bei der Ungarnseelsorge oder auch bei meinen Vertretungen; sie war immer an meiner Seite“, sagt der Priester.

50 Jahre gemeinsames Leben als Priesterehepaar

Als Ute Koncsik vor einigen Jahren bewusst wird, dass sie, falls ihr Mann vor ihr sterben sollte, keinen kirchlichen Versorgungsanspruch hat, kämpfen beide erneut. Doch selbst als CSU-Landtagspräsidentin Barbara Stamm sich für ihren besonderen Fall innerhalb der katholischen Kirche einsetzt, will sich die Bistumsverwaltung bis heute nicht festlegen. Das Ehepaar fragt sich, „warum ist im Gegensatz zu anderen Bistümern in Würzburg eine Witwenrente für Priesterfrauen nicht möglich?“

Das Ehepaar lebt seit einem halben Jahrhundert glücklich zusammen. Es hat etliche Probleme gemeistert, existenzielle Bedrohungen überstanden, auf Gott vertraut und immer seinen Glauben verteidigt. Es hat Neuanfänge gewagt und keine Kämpfe gescheut. Aufgeben kommt für beide nicht in Frage, egal, welche Hürden sich ihnen noch in den Weg stellen sollten.

Goldene Hochzeit und Goldenes Priesterjubiläum

Endre Koncsik, geboren 1942 in Gáva in Ungarn, studierte Theologie an der griechisch-katholischen Hochschule in Nyíregyháza. Nach der Heirat wurde er am 18. August 1968 zum Priester des griechisch-katholischen Ritus geweiht. Seine Promotion erfolgte an an der Katholisch-Theologischen Akademie in Budapest.

Ab 1968 war Koncsik Kaplan in Miskolc. Er arbeitete zudem ab 1972 am Kirchlichen Gericht der Diözese Hajdúdorog als Prosynodalrichter.

1980 floh er mit Frau und Sohn politisch bedingt aus Ungarn. 1981 wurde er als Priester in die Diözese Würzburg aufgenommen, Prosynodalrichter am Kirchlichen Gericht und Ehebandverteidiger sowie Seelsorger für ungarische Katholiken.

Von 1990 bis 2013 wirkte Endre Koncsik als Vizeoffizial der Diözese. Seit dem Ruhestand hat er Aufträge als nebenamtlicher Diözesanrichter und für die Ungarnseelsorge. pow

 
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Kommentare
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  • Lebenhan1965
    Diese Verlogenheit

    der katholischen Kirche löst in mir immer wieder einen Brechreiz aus.

    Da ist ein glückliches Paar und er darf Priester sein auf Grund einer Sonderregelung. So ein Mann mit erfülltem Privatleben ist kaum gefährdet sich wie eine große Anzahl seiner Amtsbrüder, sich an Kindern zu vergreifen.

    Wenn er über die Probleme des Ehelebens und der Kindererziehung spricht ist er sicher glaubwürdiger als 99% seiner Amtsbrüder, und kann dem gläubigen Katholiken in dem Sinn echte Lebenshilfe geben.

    Aber dann muss sich seine kirchlich angetraute Ehefrau Sorgen um ihre Altersversorgung machen obwohl sie zeitlebens aktiv kirchlich mit gearbeitet hat?

    Wie falsch und verlogen kann eine Organisation denn noch sein?

    Pfarrer und Würdenträger dieses Haufens namens katholische Kirche können Kinder missbrauchen und die Kirche vertuscht und die Täter behalten Pensionsansprüche.

    Da lebt ein Ehepaar nach den Regeln und die Frau muss um ihr Auskommen bangen!

    Ich pack es nicht!
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  • giacomo
    Diesem Kommentar kann ich nur voll zustimmen!!! "...die auf Wunsch der damaligen Bistumsverantwortlichen ihren Beruf als Sprachlehrerin und Dolmetscherin aufgibt und als unbezahlte Haushälterin ihres Mannes fungiert..." Was um alles in der Welt sollte das? Selbst 1980 wollte die Kirche die Frauen immer noch als Heimchen am Herd. Hätte Frau Koncsik weiterhin als Sprachlehrerin und Dolmetscherin gearbeitet, dann hätte sie jetzt Anspruch auf eine Rente. Dies hat man ihr verwehrt. Warum auch immer. Konsequenterweise muss nun die Kirche ihr eine Rente zahlen. Das ist sie ihr schuldig. Von "Gottes Lohn" wird niemand satt. Schande über die damaligen Kirchenoberen einschließlich Bischof, die verhinderten, dass sie weiter arbeitet.
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