Wie in vielen anderen Lebensbereichen hat auch in der Pflege die Digitalisierung Einzug gehalten. Roboter sind in Heimen keine Exoten mehr. Ob das gut oder schlecht ist, darüber scheiden sich die Geister. Für den auf Pflege 4.0 spezialisierten Rechtsanwalt Florian Münch sind die digitalen Helfer eher ein Segen – wenngleich sie seiner Ansicht nach den Menschen nie ersetzen können.
Frage: Pflege 4.0 – was gibt es auf dem Markt, was wird eingesetzt?
Florian Münch: Da ist zunächst die Robotik zu nennen. Es gibt beispielsweise sogenannte Kuschel-Roboter, die zunächst in Japan aufgekommen sind. Sie werden mittlerweile auch in deutschen Pflegeheimen eingesetzt. Hier ist etwa die Roboter-Robbe Paro zu nennen, die täuschend echt aussieht. Es gibt aber auch Roboter für spezielle Aufgaben, zum Beispiel Transportroboter. Diese Maschinen ähneln weder Menschen noch Tieren.
Was genau machen die?
Münch: Sie transportieren zum Beispiel in Krankenhäusern schmutzige Wäsche oder schmutziges OP-Besteck. Diese Geräte dienen dazu, das Personal bei einzelnen Arbeiten zu entlasten.
Gibt es auch Roboter, die Patienten zum Beispiel umbetten?
Münch: Ja, da gibt es auch schon Geräte. Sie helfen beispielsweise, adipöse Patienten – die also schwerer sind als der Durchschnitt – aus dem Bett raus und wieder rein zu heben. Auch hierdurch werden Pflegekräfte entlastet.
Und wo genau fallen bei diesen Transportrobotern und beim Kuschelroboter Daten an?
Münch: Bei dem Kuschelroboter im eben genannten Beispiel ist es noch nicht so weit, dass er Daten im datenschutzrechtlich relevanten Sinn verarbeitet. Dieses Gerät reagiert zwar auf den Benutzer, tut dies aber ähnlich wie ein Spielzeug. Es ist jedoch denkbar, dass sich ein solcher Kuschelroboter in ferner Zukunft auf einen einzelnen Anwender einstellt und die gepflegte Person diesem Roboter etwas Persönliches anvertraut, ihre Sorgen vielleicht. Sie spricht dann mit dem Roboter wie jemand, der mit seinem Hund spricht. Bei den Transportrobotern könnten auch personenbezogen Daten zur Anwendung kommen. Wenn ein solcher Roboter zum Beispiel für den Transport der schmutzigen Wäsche die Anweisung hat, er soll sie aus dem Zimmer des Herrn Müller zur Wäscherei bringen, werden personenbezogene Daten gespeichert.
Welche?
Münch: Zum Beispiel steckt in der Anweisung, dass er in das Zimmer des Herrn Müller fahren soll, die Information, dass Herr Müller in diesem Zimmer in diesem Pflegeheim wohnt. Man kann solche Daten natürlich anonymisieren, indem man dem Roboter die Information gibt, er solle in das Zimmer Nummer zwölf fahren. Das wäre dann rein datenschutzrechtlich betrachtet deutlich weniger brisant, als wenn der Echtname des Patienten auftaucht.
Roboter transportieren Wäsche oder betten Patienten um: Das klingt noch nicht nach datenschutzrechtlicher Gefahr.
Münch: Ich hatte bis jetzt nur die Robotik genannt. Es gibt aber noch andere Bereiche. Wichtig ist hier aus meiner Sicht die künstliche Intelligenz. Das wird in den nächsten Jahren ein großer Trend werden. Es geht um Systeme, die sich selbstständig ihrer Umwelt anpassen, die selbstständig lernen und bestimmtes Wissen auch selbst verwalten. Hier spielt das Stichwort Big Data mit rein. Und es gibt schon jetzt Ambient Assisted Living, also sogenannte Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben auch im Alter. Das sind Systeme, die es alten Menschen ermöglichen, zu Hause länger selbstständig zu leben.
Wie funktionieren diese Systeme?
Münch: Es gibt zum Beispiel intelligente Fußböden. Sie sind mit Sensoren ausgestattet, die merken, wenn jemand hinfällt – und nicht mehr aufsteht. Dann holt dieser Fußboden automatisch Hilfe. Seine Sensorik läuft ständig und verwendet so ständig Daten. Man kann den Algorithmus, der erkennt, ob eine Person hingefallen ist, starr programmieren. Man kann ihn aber auch lernfähig programmieren. Wenn man ihn lernfähig programmiert, dann ist es so: Je mehr Daten ich habe, je länger also der Zeitraum ist, über den ich die Daten speichere, desto besser kann ein lernfähiges System lernen und sich anpassen. Es sammeln sich aber immer mehr Daten an.
Ich sehe noch nicht die Gefahr, die davon ausgehen soll.
Münch: Ich glaube, das ist auch eine kulturelle Sache, also von Land zu Land sehr unterschiedlich. In Deutschland ist man da grundsätzlich sehr skeptisch. Man fragt zum Beispiel: Was ist, wenn diese Daten irgendwo gespeichert werden – und irgendwann bekomme ich keinen Kredit mehr, weil über die Daten bestimmte Verhaltensformen offengelegt werden? Oder ich bekomme einen teureren Krankenkassentarif. Oder: Was ist, wenn sich jemand einhackt in ein solches System und mich dort von vorne bis hinten ausspionieren kann?
Nun sind Pflegepatienten für gewöhnlich in einer Lebenssituation, in der solche Fragen nicht mehr so sehr zum Tragen kommen. Diese Menschen sagen wohl eher: Soll der Roboter ruhig Daten sammeln – Hauptsache, er hilft mir.
Münch: Das sehe ich im Ergebnis genauso. Man muss hier auf jeden Fall immer eine Abwägung machen. Man darf diese Datenverwendung auf keinen Fall grundsätzlich verteufeln. Es gibt insbesondere in Deutschland technik-kritische Tendenzen. Es gibt Leiter von Pflegeheimen, die damit Werbung machen, dass man in ihren Heimen nie Pflegeroboter sehen wird. Ich halte das für den falschen Weg. Ich finde, man muss diesem Thema aufgeschlossen begegnen. Man muss auch die Chancen dieser Technik sehen und nicht nur die Risiken, die natürlich da sind und die es auch rechtlich zu bewältigen gilt.
Gutes Stichwort: Sind hierzulande Recht und Gesetz auf die schnelle Entwicklung bei der Digitalisierung und bei Pflege 4.0 eingestellt?
Münch: Grundsätzlich ja. Ich bin durchaus der Auffassung, dass das geltende Recht geeignet ist, den Herausforderungen beizukommen. Es gibt so eine Tendenz, immer nach neuen Spezialregelungen zu rufen. Dem stehe ich eher skeptisch gegenüber. Man läuft nämlich sehr leicht Gefahr, dass man die Anwendbarkeit einer Vorschrift durch einen kleinen technischen Kniff aushebelt. Ich halte deswegen abstrakte Gesetze für besser als ganz konkrete. Ich bin der Meinung, dass in strafrechtlicher Hinsicht kein Handlungsbedarf besteht. Auch im zivilrechtlichen und datenschutzrechtlichen Bereich sehe ich keinen Regelungsbedarf, also keinen Bedarf etwa an Robotergesetzen und dergleichen. Es lässt sich alles mit dem geltenden Recht bewerkstelligen.
Was sollten Menschen, die kurz vor der Pflege stehen, in puncto Digitalisierung beachten?
Münch: Die EU-Datenschutz-Grundverordnung wird 2018 kommen. Patienten werden dann noch besser und intensiver über die Verwendung ihrer Daten informiert werden. Man wird mit dieser Grundverordnung tendenziell noch mehr mit dem Thema Daten konfrontiert werden. Skepsis ist ein bisschen angebracht bei kostenlosen Angeboten, also Apps für das Smartphone und ähnliches. Hier muss man sich immer vor Augen halten, dass keines dieser Angebote wirklich gratis ist. Man bezahlt hier häufig mit seinen Daten. Man sollte seine Daten also nicht vorschnell preisgeben, etwa für Fitnessprogramme.
Sie haben kürzlich eine Datenverfügung ins Gespräch gebracht – parallel zur bekannten Patientenverfügung. Was soll der Sinn einer solchen Datenverfügung sein?
Münch: Bei der Patientenverfügung ist es ja so, dass man für den Fall, dass man seinen Willen nicht mehr klar äußern kann, zu Papier bringt, was mit einem geschehen soll. Meine Überlegung ist: Für den Fall, dass man beispielsweise dement wird und dann eben nicht mehr selbst über seine Daten entscheiden kann, könnte man vorbereitend eine Datenverfügung abgeben. Das Problem an dieser Überlegung ist freilich, dass man heute noch nicht weiß, über welche Datenverwendung man für die Zukunft sein Einverständnis benötigt.
Und das Einverständnis muss ja relativ konkret gefasst sein. Ich kann ja nicht sagen: Für den Fall, dass ich geschäftsunfähig werde, bin ich mit der Verwendung meiner sämtlichen Daten durch sämtliche Verwender einverstanden. Das muss konkreter sein. Es muss drin stehen, wer die Daten verwenden darf, für welchen Zweck sie verwendet werden dürfen und so weiter. Ich bin trotzdem der Ansicht, dass die Datenverfügung eine Idee ist, die man weiterverfolgen sollte.
Wohin sollte man sich als Betroffener wenden, wenn man mit der Datenverwendung bei der Pflege nicht einverstanden ist?
Münch: Zunächst sollte man mit dem jeweiligen Betreiber sprechen. Führt dies zu keinem Erfolg, kann ein Rechtsanwalt weiterhelfen.
Ihr Fazit: Ist Pflege 4.0 Fluch oder Segen?
Münch: Auf jeden Fall ein Segen. Es ist wichtig, dass Pflege 4.0 von allen Beteiligten akzeptiert wird. Dafür ist die Voraussetzung, dass sämtliche Beteiligten die neue Technik als zusätzlichen Nutzen erkennen und dass menschliche Pflege nicht ersetzt, sondern nur sinnvoll unterstützt wird. Denn eines müssen wir uns klarmachen: Ein System kann noch so intelligent sein – ich halte es für ausgeschlossen, dass eine Maschine menschliche Nähe und Zuwendung ersetzen kann.