
Selten hat ein "Samstagsbrief" dieser Redaktion einen derart donnernden Widerhall gefunden wie der Beitrag vom vergangenen Wochenende. Der Adressat – der vom Autor zum Retter im Heizungsstreit mit den Grünen erkorene FDP-Chef Christian Lindner – hat zwar bislang nicht auf den offenen Brief geantwortet. Dafür erreichten die Redaktion Dutzende Mails und Briefe sowie mehr als 120 Kommentare unter dem Online-Artikel.
Die Bandbreite schwankt von völliger Zustimmung bis totaler Ablehnung. Die Hauptvorwürfe an den Autor und die Redaktion: populistische Anbiederung an die FDP, mutwillige Beugung der Realität, Vorspiegelung falscher Tatsachen. Der Samstagsbrief ist kein normales nachrichtliches Format, er ist ein persönliches Meinungsstück eines Redakteurs oder einer Redakteurin, vielleicht das persönlichste, das die Redaktion zu bieten hat. Direkt, pointiert, zugespitzt, mal emotional, mal scharfzüngig, mal launig lädt der Brief zum Austausch und zur Debatte ein.
Klar ist: Die transportierten Fakten müssen dabei stimmen. Für die Redaktion waren die vielen Zuschriften auf den jüngsten Brief Anlass zu kritischer Selbstreflexion – und zu diesem Faktencheck: Sind die im Samstagsbrief aufgeworfenen Thesen und Aussagen richtig oder falsch?
1. These: Eigene Kernkraftwerke sind abgeschaltet, aber Deutschland bezieht Kernkraft aus Frankreich
Die Abschaltung der drei letzten Kernkraftwerke bedeutet nicht, dass kein Atomstrom mehr ins deutsche Stromnetz fließt. Wie das Bundeswirtschaftsministerium auf eine Anfrage von tagesschau.de mitteilte, stammte 2022 der Großteil des importierten Atomstroms aus Tschechien mit 2,7 Terawattstunden (TWh), das entspricht etwa 0,5 Prozent der deutschen Stromerzeugung. Frankreich lieferte laut dieser Quelle 2,1 TWh Atomstrom nach Deutschland. Der Rest des Atomstroms kam aus der Schweiz, Belgien, den Niederlanden und Schweden. Betrachtet man alle Energiequellen, lieferte Deutschland im Jahr 2022 laut Bundesnetzagentur 15,3 TWh mehr Strom nach Frankreich, als es von dort bezog. "Das Jahr 2022 war auch das erste Jahr seit Beginn der Statistik im Jahr 1990, in dem Deutschland mehr Strom nach Frankreich exportierte als Strom aus Frankreich zu importieren", heißt es auf der Seite des Statistischen Bundesamts.
Fazit: Die Menge des aus Frankreich importierten Atomstroms im Jahr 2022 war gering und für das deutsche Stromnetz eher vernachlässigbar.
2. These: Der Ausstieg aus der Atomkraft kommt deutsche Stromkunden teuer zu stehen
Auf die Strompreise für Haushaltskunden erwartet das Vergleichsportal Verivox kurzfristig keine konkreten Auswirkungen. "Mittel- bis langfristig könnte die Abschaltung schon Auswirkungen haben, da mit der Kernkraft günstige Stromkapazitäten aus dem Markt genommen werden, die vor allem in Zeiten hoher Nachfrage ersetzt werden müssen", wird Energieexperte Thorsten Storck bei tagesschau.de und anderen Medien zitiert.
Vor allem Wirtschaftsverbände machen sich größere Sorgen um das Kernkraft-Aus in Deutschland. Markus Jerger, Vorstand des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), sagte der Funke Mediengruppe, dass der Atomstrom bisher relativ günstig und der versorgungssicherste gewesen sei. Und Manuel Frondel vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen sagte im April, der Weiterbetrieb der deutschen Meiler sei insofern hilfreich gewesen, als dass französische Atomkraftwerke in großer Zahl noch immer nicht am Netz seien. Der Weiterbetrieb deutscher Akw habe nicht nur zur Versorgungssicherheit beigetragen, sondern auch geholfen, dass teure Erdgaskraftwerke weniger zum Einsatz kamen.
Fazit: Pauschal lässt sich heute noch nicht abschätzen, wie sich der Strompreis hierzulande ohne selbst produzierten Atomstrom entwickeln wird.
3. These: Der deutsche Staat schreibt den Bürgern vor, ihre Heizung jetzt zu tauschen
Einen Tausch funktionierender Öl- und Gasheizungen in Bestandsgebäuden sieht die Reform des Gebäude-Energiegesetzes (GEG) zunächst nicht vor. Erst ab 2045 dürften demnach fossil befeuerte Heizungen nicht mehr betrieben und Gaskessel nur noch eingebaut werden, wenn sie zu 100 Prozent mit grünen Gasen befeuert werden. Bei all dem, was derzeit diskutiert wird, handelt es sich allerdings erst um einen Gesetzentwurf, der zwar vom Kabinett verabschiedet, aber noch nicht vom Bundestag beschlossen ist.
Geht die Heizung nach dem 1. Januar 2024 kaputt oder wird sie aus anderen Gründen getauscht, gilt nach dem Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums, dass jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden muss. Außer der reinen Wärmepumpe sind dann auch Hybridkombinationen aus Wärmepumpe und Gasheizung möglich. Auch mit einem Anschluss an erneuerbare Fernwärme könnten die Vorgaben erfüllt werden. In gut sanierten Häusern wären zudem Stromdirektheizungen eine Option. Pellet- oder Holzheizungen sind laut Entwurf im Neubau nur noch zulässig, wenn sie mit einer Solaranlage gekoppelt werden.
Kann die bestehende Heizung nicht mehr repariert werden, greifen Übergangsfristen. Für bis zu drei Jahre kann dann eine fossil betriebene Heizung installiert werden – wenn danach auf eine klimafreundliche Anlage umgestellt wird, die die Erneuerbaren-Vorgabe erfüllt. Beim Umstieg soll es staatliche Zuschüsse geben.
Fazit: Die These ist falsch. Eine Austauschpflicht für funktionierende Öl- und Gasheizungen zum "jetzigen" Zeitpunkt ist im Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Fossil betriebene Heizungen sollen erst einmal weiter repariert werden können.
Sie zeigt wie missgeleitet der Autor durch populistische Aussagen ist - und nicht nur der Autor des Samstagsbriefes.
Ähnliche Gesetze gibt es in skandinavischen Ländern schon mehrere Jahre. Der viertgrössten US- Bundesstaat New York(20Mio Einwohner) hat gerade den Einbau fossiler Heizungen(inkl Gasherd) in Neubauten verboten, in Kalifornien(40Mio Einwohner) ist Ähnliches in Vorbereitung und ausgerechnet in Texas(fast 30Mio Einwohner, höchster pro Kopf Energieverbrauch aller Bundesstaaten) ist Windkraft mittlerweile nach Gas der zweitwichtigste Stromlieferant(Anteil>25%,stark steigend). Die Liste lässt sich weltweit beliebeig ergänzen, z.B. um die gigantischen Zubauzahlen bei Erneuerbaren in China(etwa 50% des weltweiten Zubaus). Allein Photovoltaik wurden da über 100GW letztes Jahr neu gebaut(Deutschland gut 5GW), bis zum Ende des Jahzehnts sollen es dort über 1200GW werden!
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management
Unter dem Titel „Ein erneuerbares Energiesystem für Deutschland ohne Atomkraft“ hat die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) sieben Studien aus unterschiedlichen Quellen verglichen und kommt zum Fazit, dass die Kernkraft kurzfristig keine Abhilfe gegen Engpässe in der Energieversorgung leisten kann.
Alle in der Metaanalyse verglichenen Studien – u.a. von Agora Energiewende, dem BDI, dem Bundesverband erneuerbarer Energien, dem Bundeswirtschaftsministerium und der Deutschen Energieagentur dena – kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis:
Energiewende und Klimaschutz sind ohne Atomkraft machbar. Auch der Kohleausstieg bis 2030 wäre demnach möglich, wenn die Erneuerbaren Energien zügig ausgebaut und weitere Maßnahmen in Sachen Energieeffizienz und Flexibilisierung ZÜGIG umgesetzt würden."
https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/energie/energiewende-kann-ohne-atomkraftwerke-gelingen/
Haben die Abschaltungen Auswirkungen auf die Strompreise im Großhandel und bei Haushaltskunden?
"Weder noch", sagt Energiemarkt-Expertin Christina Wallraf von der Verbraucherzentrale NRW. "Die Marktakteure haben sich bereits auf die neue Situation eingestellt. Strom wird bereits jetzt für die kommenden Wochen und Monate gehandelt, und es sind keine Preisanstiege an den Märkten erkennbar."
Aus Sicht von Mirko Schlossarczyk von der Beratungsgesellschaft Enervis wäre der Preiseffekt bei einer Verlängerung der Laufzeit bis Jahresende sehr überschaubar gewesen. Der Stromgroßhandelspreis hätte 2023 im Jahresmittel um drei Euro je Megawattstunde niedriger gelegen. "Für Haushaltskunden wäre das ein um 0,3 Cent je Kilowattstunde geringerer Preis, ein Rückgang von nicht einmal einem Prozent."
https://www.focus.de/finanzen/news/samstag-ist-schluss-wird-mein-strom-jetzt-teurer-die-wichtigsten-frage-zum-akw-aus_id_190967282.html
zur These 1 verschweigen sie das die BRD in 2022 mehr Strom an Frankreich geliefert hat wie aus Frankreich bezogen hat. (Quelle destatis.de)
zur These 2 lassen sie unwidersprochen Halbwahrheiten zu: "...da mit der Kernkraft günstige Stromkapazitäten aus dem Markt genommen werden," > Dies stimmt nur für die Großindustrie, welche nahzu nur die reinen Strom-Produktionskosten durch gereicht bekommen hatte. Die Protoypen der deutschen AKW's und die Endlagerung der AKW-Abfälle zahlt überwiegend der Steuerzahler und da entzieht sich kräftig die Großindustrie, so wie sie sich z. B, auch aus der EEG-Umlage mogeln konnte und und es jetzt auch wieder versucht aus aus allgemeinen Umwelt-Umlagen entziehen will.
Die Stromkosten für die Industrie für en Appel un en Ei waren auch der Grund , warum sich die Industrie nie mit eigner alternativen Energieerzeugung beschäftigt hat.
Ihre Gas- und Kohlekraftwerke sind natürlich sehr ökologisch und helfen uns ungemein bei der Energiewende und gegen den Klimawandel. Glückwunsch!
Der Rest der Welt ist nicht so dumm und baut fleißig Atomkraftwerke um den CO2 Ausstoß zu reduzieren.
Übrigens: Mir wäre ein Atomkraftwerk in Deutschland, wo wir die Gesetze zur Sicherheit vorgeben können, lieber, als eines in Frankreich, Polen oder Tschechien an der Grenze auf das wir keinerlei Einfluss haben.
Das ist nicht korrekt. Weltweit stagniert Atomkraft seit Jahrzehnten bzw. ist rückläufig. Massiv ausgebaut werden dagegen Erneuerbare.
"Der Rest der Welt ist nicht so dumm und baut fleißig Atomkraftwerke um den CO2 Ausstoß zu reduzieren"???
Nach Angaben der IAEA wurden/werden weltweit bisher 206 Reaktorblöcke vom Netz genommen während aktuell nur 57 in Bau oder Planung sind.
Darf hier jeder Quatsch veröffentlicht werden?
BRD hat 2022 mehr Strom exportiert wie durch AKW erzeugt! Quelle: destatis.de
Aber wo ist jetzt der Nachweis, dass genau dann AKWs aus dem Ausland für uns da einspringen?
Wer weiß, wie viele Leser des letzten Samstagsbriefes diesen Faktencheck auf Seite 11 heute überlesen, die Falschmeldungen aber haben sich eingeprägt. Diese Vorgehensweise kennt man von populistischen Politikern, die etwas rausposaunen, dann halb zurückrudern, aber die falschen Behauptung wabern weiter.
Eine Entschuldigung des Autors für seine populistischen Äußerungen und Verbreitung von Falschinformationen fehlt im Faktencheck ebenso.
Anton Sahlender, Leseranwalt