zurück
WÜRZBURG
Hautkrebs: Das dritte Leben des Peter B.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:43 Uhr

Krebs. Eine bleischwere Diagnose, die Menschen zu Boden reißt. Ein Schlag ins Genick, ein Moment für Gedankengewitter und Gefühlsdonner. Jeder zweite Deutsche erkrankt mittlerweile irgendwann im Laufe seines Lebens an Krebs.

Chancen bei Krebserkrankungen haben sich deutlich verbessert

Dabei sind die mehr als 300 bekannten Formen so unterschiedlich wie ihre Häufigkeit. Und – meist abhängig vom Zeitpunkt der Erkennung: Ein Todesurteil ist die Krebsdiagnose heute nicht mehr, die Überlebenschancen sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Fortschritte in der medizinischen Forschung machen es möglich.

Zum Glück für Patienten wie Peter B. (Name von der Redaktion geändert) aus der Region Würzburg. Seine Geschichte ist die einer zweifachen Auferstehung – eine, die Mut macht, an das Leben und an sich selbst zu glauben. Sich Sucht und Krankheit nicht zu ergeben, sondern sie anzunehmen. Sich dem Kampf zu stellen und ihn zu gewinnen.

Peter B.'s Kampf gegen den Schwarzen Hautkrebs

B. gibt sehr persönliche Einblicke in seine Krankengeschichte, auch in seine familiäre Situation. Namentlich will er deshalb in diesem Beitrag nicht erkennbar werden. Seiner Botschaft tut dies keinen Abbruch.

B.'s erste Bekanntschaft mit dem Kontrahenten Krebs datiert aus dem Jahr 1992. Ein Fleck auf dem Oberschenkel, so groß wie ein halber Fingernagel, war dem heute 57-Jährigen aufgefallen. Der Befund: ein malignes Melanom. Im Deutschen klingt er drastischer: „Schwarzer Hautkrebs“, er gilt als aggressivste Form des Hautkrebses. Peter B. hat Glück. Chirurgen schneiden das Melanom heraus, Metastasen werden nicht festgestellt. Auch in den Jahren danach: keinerlei Auffälligkeiten mehr.

Erste Auferstehung nach Sieg über die Alkoholsucht

Doch B. hat mittlerweile andere Probleme. Über die Jahre rutscht er immer tiefer in eine Alkoholsucht, trinkt am Ende exzessiv – bis ihn seine Frau vor die Tür setzt. „Körperlich und psychisch war das die Hölle“, erinnert er sich heute. B. schafft den Ausstieg.

Eineinhalb Jahre lang unterzieht er sich einer ambulanten Therapie – und stellt sein Leben auf neue Beine. Seit zwölf Jahren ist er nun trocken, ohne Rückfall. Man könnte von Glück reden, doch Glück ist ein flüchtiger Geselle. Das musste Peter B. im August 2010 auf bittere Weise erfahren. Der Krebs ist zurück, 18 Jahre nach dem ersten Befund.

Krebs kehrt nach fast 20 Jahren zurück

Diesmal sind Lymphknoten in der linken Leiste befallen. Nur eine leichte Schwellung weist darauf hin. Einer ersten Operation folgt eine zweite im Februar 2012, mit weiteren Untersuchungen und lokalen Bestrahlungen. Es ist wie in einem Ringkampf: Auch diese Runde gewinnt Peter B. Doch der Kampf ist nicht zu Ende, er geht im Herbst 2015 erst in seine schicksalhafte Phase.

Bei Routineuntersuchungen zeigt sich eine erhöhte Konzentration von Tumormarkern. Über die Ursache können die Ärzte zunächst nur rätseln. B. wird mit Computertomografie (CT), mit Magnetresonanztherapie (MRT) durchgecheckt. Als er mit der Familie in Urlaub fährt, liegt der Befund noch nicht vor.

Dramatische Diagnose im Urlaub

Sie sind gerade in Berlin, als ihn der Anruf der betreuenden Ärztin aus der Dermatologie der Uniklinik Würzburg ereilt: Der Krebs sei so weit fortgeschritten, dass er nicht mehr zu operieren ist. „Es sieht nicht gut aus.“ Man müsse über andere Therapien nachdenken. Für B. ist diese Nachricht ein Schock. „Ich musste mich setzen. Alles um mich herum hat sich gedreht“, erinnert er sich an den unwirklichen Moment.

Den gebuchten Urlaub abbrechen? Nein. Peter B. will die Zeit mit seiner Frau bewusst verbringen. Die beiden sprechen über alles, außer den Krebs. Es ist eine gezielte Verdrängung, „ein dunkler Schleier hat sich plötzlich über mein Leben gelegt“, alles wird negativ – und dann die latente Angst: Ist es der letzte gemeinsame Urlaub, die letzte gemeinsame Fahrradtour?

Emotionaler Ausnahmezustand und quälende Ungewissheit

„Du läufst gefühlsmäßig gegen eine Wand“ beschreibt B. den emotionalen Ausnahmezustand, der auch die Ehefrau erfasst. Der Patient versucht, in sich hineinzuhören, er hat keine Schmerzen, der Krebs ist nicht greifbar – „das ist das Schlimme daran.“

B. stellt sich der Diagnose nach dem Urlaub. Beim Termin in der Würzburger Uniklinik erfährt er die volle Wahrheit: Der gesamte Oberkörper ist übersät mit tumorbefallenen Lymphknoten. Eine Operation? Sinnlos, ausgeschlossen. Im schriftlichen Befund steht wörtlich: „In diesem Stadium selten heilbar“.

Unheilbarer Krebs? Was ist noch wichtig im Leben?

Es ist der Satz, der B.'s Leben umdreht. „Dir zieht es alles zusammen, Du fängst an zu heulen“ – und vieles, was vorher wichtig war, wird plötzlich ganz unwichtig. Gewichte verschieben sich. Und manche Diskussion um Nichtigkeiten wirkt für einen Betroffenen wie B. nun surreal.

Eine Chemotherapie kommt für Peter B. nicht mehr in Frage. Die letzte Hoffnung ist eine Immuntherapie. Vereinfacht gesagt: Das Immunsystem wird durch ein Medikament derart auf Höchstleistung getrimmt, dass es Krebszellen erkennt und sie bekämpft.

Letzte Hoffnung: Neuartiges Medikament zur Immuntherapie

Die Würzburger Klinikärzte schlagen das Medikament Nivolumab vor, es ist in Deutschland gerade erst zugelassen worden. Das vermeintliche Todesurteil vor Augen geht Peter B. auf das Angebot ohne Zögern ein – trotz vier Seiten möglicher Nebenwirkungen, von Durchfall bis Unfruchtbarkeit.

Alle 14 Tage werden ihm intravenös 100-Milliliter-Beutel verabreicht, drei Milligramm Nivolumab pro Kilogramm Körpergewicht. Es ist eine teure Behandlung. Laut B. kostet ein Beutel rund 5000 Euro. Die Krankenkasse bezahlt, bis auf eine Eigenleistung von zehn Euro pro Infusion. Ein Beitrag, den Peter B. nur zu gerne aufbringt.

Zwei Jahre lang alle zwei Wochen in die Klinik zur Infusion

Jeweils eine Stunde lang hängt der Patient am Tropf, trotzdem gehen ganze Vormittage in der Klinik drauf, 54 Infusionen und zwei Jahre lang bleibt Peter B. in dieser Behandlung. Eine Knötchenflechte am Fuß bekommt er als Nebenwirkung in den Griff. Viel schlimmer ist die psychische Belastung: „Dass der Krebs nicht mehr heilbar ist – dieser Gedanke taucht immer wieder auf.“

B. ist einer der ersten Patienten, der an der Uniklinik mit Nivolumab behandelt wird, die Ärzte sind gespannt. Sechs Wochen nach der ersten Infusion kommt das Ergebnis der neuerlichen Tumoruntersuchung. Es ist ein Hoffen und Bangen. „Ich bin auf und ab gelaufen, habe nur auf diesen einen Anruf gewartet“, blickt Peter B. zurück. Dann das Ergebnis: Partielle Remission! Der Krebs zieht sich zurück, das Mittel schlägt an, die Blutwerte sind in Ordnung.

Medikament schlägt an, „es gibt eine Chance!“

Was für ein Moment, was für eine Erleichterung! B. weiß: Es ist erst ein Anfang – aber es ist einer. Tränen des Glücks fließen bei ihm, bei seiner Frau, die es von ihrem Mann am Telefon erfährt und einer Arbeitskollegin um den Hals fällt. „Ich habe versucht zu kämpfen“, sagt Peter B., „kannte aber den Gegner nicht. Jetzt ist er ans Tageslicht getreten. Es tut sich was, das hat meinen Kampfgeist geweckt. Ich habe gemerkt: Es gibt eine Chance!“

Der positive Befund weckt den Lebensmut. B. stellt begleitend zu den Infusionen die Ernährung um, geht joggen und fährt Fahrrad. Er reduziert Stress, lehnt manchen Auftrag ab und schafft sich Ruhenischen mit seiner Frau – gemeinsame Wochenenden, Kurzurlaube.

Krebs zieht sich zurück: Das dritte Leben des Peter B.

Wie viele Krebspatienten spürt auch B. das so genannte Fatigue-Syndrom – eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung. Das Leben darauf einzurichten, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, „das tut mir heute noch gut“, sagt B.

Heute, das ist gut zweieinhalb Jahre nach der ersten Infusion von Nivolumab und dem Beginn der Immuntherapie. Im Oktober 2017 hört Peter B. von der Universitätshautklinik einen Satz, der seinem Leben – wie er selbst sagt – wieder einen Sinn und eine Perspektive gibt: „In den aktuellen Untersuchungen zeigte sich eine komplette Remission.“ Die Krebszellen sind vollständig verschwunden, B. soll das Medikament testweise für einige Wochen absetzen.

Bewussteres Leben nach dem Blick in den Abgrund

Und als danach, Anfang dieses Jahres, die komplette Remission bestätigt wird, ist Peter B. überzeugt: Sein Immunsystem hat durch die Behandlung „gelernt“. Er ist glücklich: „Ich sehe den Krebs als besiegt an, er kann mir nichts mehr. Und wenn er zurückkommt – dann wissen wir, was zu tun ist.“ Peter B. ist gewappnet. Und all die Zeit, die nun für ihn und seine Familie noch kommt, nimmt er als Geschenk und verspricht: „Ich werde sie nicht vergeuden.“

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Andreas Jungbauer
Alkoholsucht
Hautkrebs
Immuntherapie
Infusionstherapien
Krebsdiagnosen
Krebszellen
Lymphknoten
Melanom
Universitätskliniken
Urlaub und Ferien
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top