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Reichenberg
Hausarzt hört auf: "Ein weinendes Auge ist mit dabei"
Die Reichenberger Praxis von Dr. Walter Meyer-Spelbrink wird gerade leer geräumt, dann wird renoviert. Wie es weitergeht.
Hausarzt Dr. Walter Meyer-Spelbrink geht nach 35 Jahren in den Ruhestand.
Foto: Wilma Wolf | Hausarzt Dr. Walter Meyer-Spelbrink geht nach 35 Jahren in den Ruhestand.
Wilma Wolf
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:27 Uhr

Jetzt ist Schluss: Nach 35 Jahren geht Hausarzt Dr. Walter Meyer-Spelbrink in den Ruhestand.

Ende dieser Woche wird er seine letzten Arbeitstage als Facharzt für Allgemeinmedizin beendet haben. Parallel läuft das große Ausräumen der Praxis. Wie fühlt man sich an diesem Wendepunkt? Meyer-Spelbrink sitzt an seinem Schreibtisch in der Praxis. Hinter ihm eine große Bücherwand, voll gepackt mit Fachliteratur.

Viele Patienten haben Tränen in den Augen

"Im Moment ist sehr viel zu tun mit der ganzen Übergabe und dem Leeren der Schränke", sagt er nach kurzem Innehalten und seufzt. Da komme man kaum zum Nachdenken. Aber, so fügt er an: "Sicher ist ein weinendes Auge mit dabei." Vor allem, wenn sich seine Patienten von ihm verabschieden - viele mit Tränen in den Augen. Das sei manchmal nicht ganz einfach.

Denn viele von ihnen kommen schon von Anfang an zu ihm, halten ihm die Treue seit seinem Start im Januar 1985, als er die Reichenberger Zweigpraxis des Geroldshäuser Arztes Dr. Hanskarl Mühlhäuser übernahm. Mit einem Stamm von rund 200 Patienten. "Dann ging es relativ schnell bergauf, meine Praxis wurde gut angenommen", erinnert sich der gebürtige Münchner. Und das trotz der gleichzeitigen Niederlassung einer zweiten Hausärztin in Reichenberg.

Auch Blockpratika für Medizinstudenten

In fast 35 Jahren hat er einiges erlebt. Tage geprägt von regulären Sprechzeiten, vielen Hausbesuchen und jeder Menge Bürokratie, die "einen täglich Stunden in der Praxis hält". Dazu hielt er in seiner akademischen Lehrpraxis der Uni Würzburg Blockpratika für Medizinstudenten ab. "Jedes Jahr kamen 12 bis 14 Studenten jeweils zwei Wochen. Denen haben wir gezeigt, wie man Allgemeinmedizin macht", erzählt er stolz.

Ergebnis von Unruhen waren bessere Rahmenbedingungen

Viel Freude habe ihm auch die Ausbildung von jungen Ärzten im praktischen Jahr (PJ) gemacht. Die durfte er dann auch im Staatsexamen prüfen. Wirklich aufregende Zeiten außerhalb seiner medizinischen Tätigkeit hat er aber auch erlebt: Bei zahlreichen Demonstrationen der Hausärzte und dem Zurückgeben der Kassen-Zulassungen im Jahr 2010. Nach großen Unruhen kehrte schließlich Ruhe ein und die Rahmenbedingungen für Hausärzte wurden verbessert, berichtet er.

"Wir Hausärzte waren früher Tag und Nacht für unsere Patienten zuständig, bis auf Mittwoch Nachmittag und das Wochenende"
Hausarzt Dr. Meyer-Spelbrink

Dazu kam, zumindest vor einigen Jahren noch, die ständige Rufbereitschaft. "Wir Hausärzte waren früher Tag und Nacht für unsere Patienten zuständig, bis auf Mittwoch Nachmittag und das Wochenende, wenn man nicht gerade selbst Dienst hatte", erzählt er. Durch die Aufhebung der ständigen Rufbereitschaft vor einigen Jahren sei vieles leichter geworden.

Leicht war für ihn auch die Frage der Nachfolge. "Da hatte ich Riesenglück, eines Tages kam Frau Dr. Reim hier rein und fragte mich, ob ich die Praxis verkaufen würde", berichtet Meyer-Spelbrink. Schnell sei man sich einig geworden, und so wird sein Lebenswerk trotz Ärztemangel auf dem Land in gute Hände kommen.

Nun wird es also ernst. Abschied nehmen vom Praxisalltag. Die Schränke hat der Landarzt bereits leergeräumt. In den kommenden Tagen sind die Bücher dran. Für die wird es einen eigenen Raum in seinem Haus in Reichenberg geben.

Was macht ein Arzt ohne Praxis und Patienten?

Bleibt die Frage, was ein Arzt ohne Praxis und Patienten machen wird. "Jetzt freue ich mich auf den Ruhestand. Vor zwei, drei Jahren war ich noch nicht soweit, los zu lassen", sagt der 69jährige. Reisen will er auf jeden Fall mit seiner Frau. Und wenn's den beiden irgendwo gefällt, wollen sie auch mal länger bleiben. Denn bisher seien immer nur maximal zwei Wochen Urlaub am Stück möglich gewesen.

Und dann ist da auch noch eine Briefmarkensammlung, die seit 30 Jahren vernachlässigt wurde. Oder einfach mal zwei, drei Stunden nur lesen, oder im Garten arbeiten: All das kommt für ihn in Frage. Und noch etwas hat er sich fest vorgenommen: "Kochen will ich lernen." Das habe sich gut ergeben, denn seinFreund Harald Schimmer, Koch und langjähriger Pächter des Reichenberger Brunnenbäcks, ist auch vor kurzem in den Ruhestand gegangen. Bei ihm will der Lehrarzt jetzt in die Lehre gehen.

Und sollte es ihm trotz alledem doch noch langweilig werden, dann "mache ich ein Studium Generale an der Uni Würzburg". Einfach mal in alle möglichen Fachbereiche reinschnuppern, das findet er auch interessant.

Zwei Wochen wird die Praxis nun für Renovierungsarbeiten geschlossen sein. Ein Appartement mit 40 Quadratmetern Fläche direkt daneben soll mit einbezogen werden, so dass die Räumlichkeiten etwas großzügiger werden. Denn in Zukunft werden hier Dr. Lena Reim und Dr. Verena Löwe gemeinsam die Praxis leiten. Alle drei Mitarbeiterinnen werden übernommen. Die Wiedereröffnung wird am Montag, 1. April, sein.

So kann die Gemeinde Reichenberg sich glücklich schätzen, dass zwei junge Ärztinnen die Nachfolge Meyer-Spelbrinks antreten. Denn seit Jahren schon schließt in Bayern jede Woche eine Hausarztpraxis für immer ihre Türen.

 
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