Alle Befürchtungen sind eingetreten: Weil das Wissenschaftsministerium den Numerus Clausus (NC) für das Grundschullehramt kassiert hat, bricht über die Uni Würzburg gerade eine Welle an Erstsemestern herein. Für die planmäßig 324 vorhandenen Studienanfänger-Plätze haben sich bislang bereits doppelt so viele Studierende eingeschrieben. Aktuell sind es schon weit mehr als 600. Bis Anfang November werden mindestens 750 erwartet. Doch der Uni fehlt es an Personal und Räumen, um die Menge zu bewältigen. Doch der Aufschrei scheint im Ministerium nicht angekommen.
"Das ist nicht tragbar und verantwortungslos gegenüber der Lehrerbildung. Es trifft letztlich die Kinder", kritisiert Professorin Sanna Pohlmann-Rother. Die Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik muss – inklusive 180 Studierenden der Sonderpädagogik – mit 950 Teilnehmern in ihrer Einführungsvorlesung rechnen. Die läuft zwar wegen der Corona-Beschränkungen nur online. Aber was wird aus den Vertiefungsseminaren? Hier soll eigentlich in kleineren Gruppen gelernt, gefragt und diskutiert werden. Doch eine ordentliche Betreuung der Studierenden ist bei Gruppen von 80 oder 100 Teilnehmern kaum zu machen. Pohlmann-Rother fürchtet um die Qualität der Ausbildung.
Bis zum Sommer galt an der Uni Würzburg mit 2,0 der strengste Numerus Clausus für das Grundschullehramt in Bayern. Doch dann schuf das Ministerium Fakten, über die Köpfe der Unis hinweg: Bayern brauche mehr Lehrer, Zulassungsbeschränkungen wurden kurzerhand gestrichen. Mehr Personal und Geld dafür gibt es allerdings kaum. In Würzburg kamen gerade einmal zwei zusätzliche Mitarbeiterstellen an – Anfang des Jahres, noch vor dem NC-Aus. Dieser trifft die Julius-Maximilians-Universität besonders. Denn auch wegen der Nähe zu Thüringen, Hessen und Baden-Württemberg – alles Bundesländer, die ihren NC behalten – ist hier die Nachfrage nach Studienplätzen für das Grundschullehramt besonders groß.
Uni fordert mehr Untersützung, Ministerium wehrt ab
Auf Anfrage verteidigt sich das Wissenschaftsministerium: "Die Kapazitäten für die Ausbildung junger Menschen zu Grundschullehrkräften wurden an allen Universitäten im Freistaat spürbar ausgebaut", so eine Sprecherin. Die Entscheidung, den Studiengang zu öffnen, habe man "sorgfältig abgewogen". Außerdem lägen die endgültigen Studierendenzahlen für das Wintersemester erst Anfang Dezember vor.
Das Ministerium stehe mit den Unis in Kontakt, auch mit Würzburg. "Dabei wurden uns mit Blick auf den Vorlesungsbeginn im Wintersemester bisher keine Schwierigkeiten signalisiert", heißt es aus München. Eine Aussage, die verwundert. Denn auch die Würzburger Hochschulleitung ist sauer und drängt nach eigenem Bekunden im Ministerium auf mehr Unterstützung. Uni-Vizepräsidentin Ulrike Holzgrabe hofft zum Beispiel auf Abordnungen von Lehrkräften zur Ausbildung des Nachwuchses an der Uni.
Auch ein befürchteter Kollateralschaden der NC-Streichung zeigt sich schon jetzt: Etliche Studierende, die zuvor auf den Studiengang für die Mittelschule ausgewichen sind, schreiben sich jetzt für die Grundschule ein oder wechseln den Studiengang. Verschärfte Engpässe an der Mittelschule drohen.
An der Uni Würzburg hofft man inständig, dass der NC ab dem nächsten Sommersemester wieder genehmigt wird. "Das muss eine einmalige Sünde bleiben", sagt Professor Thomas Trefzger, Direktor der Professional School of Education (PSE), die zentrale Anlaufstelle der Uni für das Lehramtsstudium. Die aktuelle Studentenwelle versuche man durch eine Verteilung des Lehrangebots über alle sieben Semester des Studiums zu glätten: Bestimmte Vorlesungen werden dann häufiger angeboten, bestimmte Kurse sollen von den Studenten nicht gleichzeitig, sondern in verschiedenen Semestern belegt werden.
In der Lehrerbildung fehlt es an Personal
Laut Physikdidaktiker Thomas Trefzger sind sieben Fakultäten betroffen: "Da fehlen jetzt Millionenbeträge." Denn angehende Grundschullehrer müssen auch künftige Unterrichtsfächer belegen – Deutsch oder Mathe sind verpflichtend, Englisch und Geografie sehr gefragt. Generell herrsche schon seit längerem Personalmangel in der Lehrerbildung, sagt Würzburgs designierter neuer Uni-Präsident Professor Paul Pauli.
In jedem Fall muss nun alles an Personal mobilisiert werden: Mehr Lehraufträge für Dozenten von außerhalb, die Aufstockung von halben Stellen – doch die aktuellen Studienanfänger müssen sich darauf einrichten, dass es voll wird in den Seminaren. Und dass sie möglicherweise länger brauchen bis zum Abschluss. Abgesehen von der Frage, wo sie in dieser großen Zahl das Unterrichten in der Praxis üben sollen. Man dürfe nicht nur die Studienplätze schaffen, warnt Trefzger. Es brauche auch die Praktikumsplätze an den Schulen.
Genügend "Lehrer" mögen ihren Stoff im Griff haben, sind aber eigentlich ungeeignet für den Unterricht.