Stephan M. kämpft verzweifelt um sein Leben. Obwohl er bereits hilflos auf dem Rücken liegt, versucht er noch seinem Peiniger zu entkommen. Er robbt mit letzter Kraft auf seinen Ellenbogen über den Boden. Doch er hat keine Chance, der Angreifer lässt nicht ab, schlägt immer und immer wieder mit einem Hammer zu - an die 20 Mal, bis der alte Mann sich nicht mehr rührt. Mehrere Minuten dauert es, ehe erst die Bewusstlosigkeit und schließlich der Tod das Martyrium des 83-Jährigen beenden.
Der alte Mann kennt seinen Mörder. Er hat ihn ins Haus gelassen, er hat ihm vertraut. So wie er vielen vertraut hat. Stefan M. hatte viel Geld, er verlieh es großzügig, weil er sich damit Freundschaft erkaufte. Denn Stephan M. war einsam, halbblind und schwer gehbehindert, also auf die Hilfe anderer angewiesen. Er vertraute, weil er vertrauen musste. Das kostete ihn am 5. Mai 2003 das Leben.
Laute Schreie in der Nachbarschaft
Die lauten Schreie, die an diesem späten Mai-Nachmittag aus dem Anwesen in der Ortsmitte von Thüngersheim (Lkr. Würzburg) gellen, schrecken die Nachbarschaft auf. Ein Bekannter ruft über das Hoftor: „Stephan, ist was?“. Als eine Stimme antwortet, es ist alles in Ordnung, geht der Mann wieder. Doch nichts ist in Ordnung. Stephan M. ist zu diesem Zeitpunkt vermutlich bereits tot.
Gegen 22.30 Uhr macht die Polizei die grauenvolle Entdeckung: Stephan M. liegt mit eingeschlagenem Schädel im Hof seines Anwesens in einer riesigen Blutlache. Die Nachricht von der Gewalttat erschüttert die kleine Winzergemeinde. Jeder im Ort kennt den alten Mann. Und sofort machen auch Gerüchte die Runde. Denn Stephan M. hatte nicht nur viel Geld, und verlieh es regelmäßig, er bekam - trotz seines hohen Alters - regelmäßig Besuch von Prostituierten.
Eine 26-köpfige Sonderkommission übernimmt die Ermittlungen
In Thüngersheim weiß das fast jeder. Denn weder Stephan M. noch die Damen gehen besonders diskret vor. Mindestens einmal pro Woche parken sie direkt vor dem Anwesen. Wegen seiner „Weibergeschichten“ wollen manche im Ort nichts mehr mit dem alten Mann zu tun haben. Mit anderen soll er sich zerstritten haben, weil „man ihm nichts recht machen konnte“. Doch reicht das als Motiv für einen Mord? Hat sich Stephan M. mit den falschen Leuten eingelassen? Ist er ins kriminelle Milieu abgerutscht? Aus dem Ort kann es ja schließlich keiner gewesen sein...
Eine 26-köpfige Sonderkommission übernimmt die Ermittlungen, sucht in Thüngersheim nach Spuren, befragt die Anwohner. Immer wieder stehen die Menschen zusammen und rätseln, wer den hilflosen Mann so brutal niedergestreckt haben könnte. Unter die Trauernden, Fassungslosen und Neugierigen mischt sich auch Arno B, gibt sich entsetzt und erschüttert. Der 68-jährige Rentner aus der Pfalz lebt zwar erst seit gut einem Jahr in Thüngersheim, aber er kannte Stephan M. gut. Auch er hatte sich von ihm Geld geliehen und war ihm bei verschiedenen Arbeiten zur Hand gegangen.
Der Tatverdächtige verstrickt sich in Widersprüche und türmt
Doch Arno B. ist ein Lügner. Er weiß ganz genau, wer der Mörder ist, er weiß, mit welcher Waffe der Täter zugeschlagen hat, und er weiß, warum der 83-Jährige so qualvoll sterben musste. Auch die Polizei belügt Arno B. Allerdings nicht besonders geschickt. Der 68-Jährige, der im Ort gern mal erzählt, dass er in der Fremdenlegion war, verstrickt sich in Widersprüche und macht unrichtige Angaben zu seinem Alibi. Der Verdacht der Beamten erhärtet sich schnell.
Nur fünf Tage nach dem Mord stehen sie vor der Tür von Arno B., um ihn zu verhaften. Aber der 68-Jährige ist getürmt. Wieder ist Thüngersheim in Aufruhr. Wieder rückt die Polizei an. Mit Hundestaffeln und einem Hubschrauber suchen die Beamten nach dem Flüchtigen, Kleidungsstücken und der Mordwaffe. Schließlich trifft ein Brief bei der Polizei ein, in dem Arno B. die Tat gesteht, und ankündigt, dass er sich stellen will, aber vorher erst noch ein paar Tage in Spanien verbringen möchte. Doch aus diesen Plänen wird offenbar nichts. Denn nur drei Tage später, acht Tage nach dem Mord an Stephan M., stellt er sich.
Der alte Mann soll seine Mörder sexuelle Avancen gemacht haben
Arno B., der hilfsbereite Rentner aus der Pfalz, hat Stephan M. umgebracht, ihn mit einem Hammer erschlagen. Allerdings will er den alten Mann nicht aus Habgier umgebracht haben, sondern im Affekt. Der 83-Jährige habe ihn sexuell bedrängt, ihm Geld für Analverkehr geboten, als er ihm dann auch noch an den Hintern gegriffen habe, sei er „ausgerastet“ und habe zugeschlagen, zunächst nur mit der Hand. Als sich der alte Mann mit einer Säge und zur Wehr gesetzt und ihn damit verletzt habe, habe er zum Hammer gegriffen. In Thüngersheim herrscht Fassungslosigkeit, als die Nachricht von der Verhaftung die Runde macht: Der freundliche Rentner ein Totschläger? „Das ist Wahnsinn. Der hat so mit uns gespielt, ich verstehe die Welt nicht mehr“, sagt ein Anwohner.
Fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem brutalen Mord steht Arno B. vor Gericht, er hält noch immer an seiner Version der Ereignisse fest. Auch wenn Staatsanwaltschaft und Gerichtsmedizin anhand der Beweise ein anderes Bild der Ereignisse zeichnen, und davon überzeugt sind, dass der inzwischen 69-Jährige hinsichtlich seines Motivs lügt. Es ist zum Streit gekommen zwischen den beiden Männern, so viel ist sicher. Ein Gutachter sagt aus, dass Arno B., der selbst von Sozialhilfe und einer kleinen Rente lebt, dem alten Mann sein prall gefülltes Bankkonto und seine sexuellen Kontakte neidete. Es kam zum Streit ums Geld, entweder wollte der alte Mann Arno B. nichts mehr leihen, oder er habe bereits geliehenes Geld zurückgefordert. Im Verlauf der Diskussion schlägt er dem 83-Jährigen ins Gesicht. Der alte Mann fängt an zu bluten, ruft um Hilfe und droht Arno B. anzuzeigen, das ist sein Todesurteil.
Das Gericht bezeichnet die Version des Angeklagten als „grotesk“
Denn, was in Thüngersheim niemand weiß, der freundliche Rentner mit dem graumelierten Haar, der dicken Brille und der Stirnglatze ist mehrfach vorbestraft wegen Banküberfalls und Betrugs. Er saß bereits 15 Jahre im Gefängnis. Auch stand er zum Zeitpunkt der Tat unter Führungsaufsicht, eine Anzeige wegen Körperverletzung hätte ihn in den Knast zurück gebracht, das konnte und das wollte er wohl nicht riskieren. Als die Nachbarn am Nachmittag des Mordes über das Hoftor rufen, ist es Arno B., der antwortet. Während Stephan M. im Hof seines Anwesens qualvoll stirbt, wäscht sich B. im Bad das Blut von den Händen, schnappt sich die 1500 Euro, die der alte Mann am Vormittag von der Sparda-Bank geholt hat und verschwindet.
Dass Stephan M., dem Rentner sexuelle Avancen gemacht hat, dass er bisexuell oder gar homosexuell war, können Zeugen nicht bestätigen. Im Gegenteil, eine Prostituierte wird aussagen, dass sich der 83-Jährige von Arno B. sexuell bedrängt gefühlt habe. Die Version von Arno B. bezeichnet das Gericht als „grotesk“. Vor allem, weil sich der Angeklagte bei seinen Schilderungen immer wieder in Lügen verstrickt.
Arno B. ist heute 83 Jahre alt, genauso alt wie Stephan M., als er ihn erschlagen hat
Schon vor seiner Festnahme nimmt er es mit der Wahrheit nicht genau. Für die Behauptung, dass er in der Fremdenlegion war, lassen sich keine Belege finden. Auch kann das Würzburger Landgericht nicht abschließend klären, ob Arno B. bei einer Pflege- oder seiner Stiefmutter groß geworden ist, ob er Automechaniker oder Schlosser ist, ob er Vater ist oder nicht, ob er verheiratet war oder nicht.
Im Laufe des Prozesses wird der Angeklagte immer stiller, vor allem als der forensische Gutachter das lange Martyrium des alten Mannes und seinen Todeskampf schildert. Auch die Fotos vom Tatort mag er sich nicht anschauen. Am Ende nimmt Arno B. sein Urteil gefasst entgegen. Lebenslange Haft für den Mord an einem Mann, der auf seine Hilfe angewiesen war und der ihm vertraut hat, weil er ihm vertrauen musste. Inzwischen sitzt der Rentner aus der Pfalz nicht mehr im Knast. Ihm wurde Vollzugsuntauglichkeit beschieden, und er lebt in einer Senioreneinrichtung. Arno B. ist heute 83 Jahre alt, also genauso alt wie Stephan M., als er ihn am 5. Mai 2003 brutal erschlagen hat.
Ab sofort beginnen sämtliche Hobby-Derricks mit der Suche nach 83 jährigen Mitbewohnern ihrer Seniorenunterkunft.
Das gibt es wohl nur in Deutschland!