Sein Markenzeichen sind die Kunst - und die langen Haare. Galerist Gerd Michel ist aus dem kulturellen Leben Würzburgs nicht wegzudenken. Seit 40 Jahren betreibt der heute 64-Jährige sein Kunsthaus in der Semmelstraße und hat das Auf und Ab des Kunstmarktes ebenso lange beobachtet. Seit acht Jahren ist Michel immer freitags mit seinen Afternetwork-Veranstaltungen am Start.
Frage: Wir sitzen hier im „schönsten Innenhof Würzburgs“ – so nennen Sie Ihren Hof am Kunsthaus in der Semmelstraße jedenfalls. Hat Ihnen den Titel schon mal jemand streitig gemacht?
Gerd Michel: Nein, das ist noch nicht vorgekommen. Den Hof haben wir gleich am Anfang umgestaltet: Vor 40 Jahren, als ich hier angefangen habe, stand hier ein Auto neben dem anderen. Wir haben dann einfach Betonringe genommen, haben die mit Erde befüllt und bepflanzt. Somit konnte kein Auto mehr rein – und wir hatten einen schönen Innenhof. Und hier hinten habe ich ja auch angefangen.
Zurück zu den Wurzeln?
Michel: Wenn man so will. Es gab mal eine Zeit, wo es für eine Galerie dazu gehörte, ein Schaufenster zu haben hat. Da sind dann die Leute am Sonntag nach dem Mittagessen entlang spaziert. Aber diese Zeit ist vorbei. Heute setzt man sich vor den Bildschirm und schaut im Internet nach.
Ob mit Schaufenster vorn an der Straße oder hinten im Hof: Seit 40 Jahren sind Sie immer am selben Standort. Sie scheinen sich ziemlich wohl zu fühlen im Mikrokosmos Semmelstraße...
Michel: Die Semmelstraße ist toll, heute noch, aber früher noch mehr. Als ich hier angefangen habe, gab es viele kleine Läden, mit verschiedensten Angeboten. Vor allem am Samstag war die Straße richtig voll, da kamen die Leute zum Teil von Bad Kissingen her und haben eingekauft. Für uns hatte das den Vorteil, dass auch zu uns in die Galerie ständig neue Leute kamen. Und da waren schöne Schaufenster natürlich wichtig.
Aber vor sechs Jahren haben Sie sich aus dem Ladenlokal an der Straße wieder in die Galerie im Hof zurückgezogen.
Michel: Inzwischen hatte sich da viel verändert. Die Leute, die Kunst eingekauft haben, wollen gar nicht mehr gesehen werden. Und die Aufenthaltsqualität ist im Innenhof und der weitläufigen Galerie einfach besser als im stickigen Ladenlokal.
Bei den Afternetwork-Veranstaltungen, die Sie 2010 begonnen haben, treten immer freitags Künstler auf, es gibt Musik und Literatur. Wie oft ist das Format jetzt schon über die Bühne gegangen?
Michel: Am 14. September - da feiern wir als Kunsthaus übrigens unser 40-Jähriges - gibt es die nächste Veranstaltung. Dann werden es genau 304 gewesen sein.
Finden Sie da überhaupt noch Künstler, die noch nicht da waren?
Michel: Mehr denn je. Mittlerweile ist das Afternetwork ein richtiger Geheimtipp unter den Künstlern und Literaten. Ich bekomme inzwischen nicht nur aus ganz Deutschland Anfragen, sondern bei der Musik auch aus Frankreich, bei der bildenden Kunst aus ganz Europa. Da läuft viel über Mund-zu-Mund-Propaganda.
Und gibt es nach acht Jahren bei den Besuchern ganz treue Fans, die jeden Freitag kommen?
Michel: Ja wir haben natürlich Besucher, die fast zu jeder Veranstaltung kommen. Aber auf der anderen Seite haben wir auch jedes Mal neue Leute da. Wir hatten aber auch früher schon, vor dem Afternetwork, teils hohe Besucherzahlen. Ich kann mich erinnern, dass 1979 bei einer Lesung von Gerhard Zwerenz (Schriftsteller, 1925-2015 - d. Red.) mal eine Frau ohnmächtig geworden ist. Die konnte aber nicht umfallen, weil es so voll war.
Das Afternetwork steht aber auch im direkten Zusammenhang mit Ihrer Galerie. Braucht es heute eigentlich immer ein Event, um die Leute in eine Galerie zu locken?
Michel: Das Problem ist die Schwellenangst: Heute traut sich fast niemand mehr in eine Galerie, weil er Angst hat, er müsste gleich was kaufen. Aber wenn man diese Zugaben anbietet, wie eben die Afternetworks, dann kriegt man auch mal Leute herein, die sonst nie kommen würden. Es gibt Besucher, die schauen während der Veranstaltung die ganze Zeit ein Bild an. Und danach sagen Sie: Das will ich haben!
"Galerist" wird man als Berufswunsch wohl eher selten hören. Wie sind Sie dazu gekommen?
Michel: Ich bin ja eigentlich Maler und Grafiker. In den ersten Jahren habe ich in der Galerie mehr meine eigenen Sachen an den Kunden befördert. Aber in dem Bereich, der mich besonders anspricht, also Originalgrafik und Aquarell, da gab es so tolle Leute in der Szene, dass ich mir sagte: 'Da brauche ich nicht auch noch mitzumischen.'
Gibt es ein Kunst-Erfahrung, die Sie entscheidend geprägt hat?
Michel: Mit zwölf Jahren habe ich von meinem Papa zu Weihnachten ein Buch über das Impressionistenmuseum im Pariser Louvre bekommen, das heutige Musée d’Orsay. Die Impressionisten haben mich immer inspiriert und letztlich auch zur Kunst gebracht. Inzwischen war ich übrigens 17 Mal in dem Museum, und es ist immer noch das schönste, das es gibt.
Als Sie 1978 angefangen haben: Wie leicht oder wie schwer war es, mit der Galerie in Würzburg Fuß zu fassen?
Michel: Geschäftlich relativ einfach, weil mein Spezialgebiet, die Originalgrafik, damals eine riesige Nachfrage hatte. Womit ich Probleme hatte, war etwas anderes. Gleich 1979 hatte ich eine Ausstellung mit Werken von Klaus Böttger, der unter anderem für seine erotischen Darstellungen bekannt war. Da habe ich Beschimpfungen zu hören bekommen. "Hängen Sie diese Schweinereien ab", hieß es da zum Beispiel. Aber auch das habe ich überstanden.
Ist Würzburg heute ein gutes Pflaster für bildende Kunst - für Künstler und für Händler?
Michel: Für beide ist es eigentlich kein gutes Pflaster. Aber das ist kein Würzburger Phänomen. Das gilt momentan für alle Städte. Hier in Würzburg teilen sich auch relativ wenige den Markt. In Berlin, Düsseldorf oder Köln ist zwar die Kundschaft größer, aber es gibt auch deutlich mehr Anbieter.
Macht da der Kunstmarkt überhaupt noch Spaß?
Michel: Doch, macht er. Die Herausforderung besteht darin, dass man sich ständig etwas Neues einfallen lassen muss. Und noch fällt uns immer etwas Neues ein! Zum Beispiel unser "ArtDesignCouncil Förderverein für Kunst und Design", der gerade seine Gemeinnützigkeit bestätigt bekommen hat. Da geht es um einen kunstpädagogischen Ansatz, in dem wir zum Beispiel Workshops veranstalten.
Neues hin oder her: Beständiges Markenzeichen des Kunsthauses Michel ist ein Hund. Den wievielten haben Sie inzwischen?
Michel: Zurzeit Nummer sieben. Den braucht es einfach, auch für unsere Besucher. Schon bei den Vorgängern von Vila, unserem aktuellen Hund, war es immer so, dass sich mancher Besucher einfach mal aufs Sofa gesetzt und den Hund gestreichelt hat. Dann ist er aufgestanden und hat gesagt: "So, jetzt geht es mir besser."
Aber auch für Sie selbst spielen Tiere ja offenbar eine wichtige Rolle. Auf Ihrer Facebookseite sind immer mal wieder Hühner zu sehen...
Michel: Es gibt nichts Entspannenderes, als am Sonntagnachmittag Hühnern zuzuschauen! Deshalb halten wir uns in unserem Zuhause in Oberdürrbach auch welche. Im Moment sind es acht - und die haben alle einen Namen!
Stichwort Entspannung: Wohin fahren Sie in den Urlaub?
Michel: Urlaub haben wir in den vergangenen 15 Jahren keinen mehr gehabt. Den brauche ich nicht und meine Frau auch nicht. Vor 14 Jahren haben wir das Haus von Lothar Forster übernommen, das ist der Künstler, der am Sternplatz den Brunnen gemacht hat. Das ist in Oberdürrbach ganz oben auf dem Berg. Und wenn wir abends dort um die Ecke fahren, dann ist das wie Südfrankreich.
Sie sind jetzt 64, haben seit über 40 Jahrzehnten mit Kunst, mit kreativen Dingen zu tun. Gibt es irgendwas, das Sie unbedingt noch machen möchten?
Michel: Ich habe da so einen Traum, den ich schon länger vor mir her schiebe: ein ganz kleines Restaurant, wo ich vielleicht 15 Gäste betütteln kann, ganz stressfrei. Ich koche nämlich unheimlich gern!
Woher rührt die Leidenschaft fürs Kochen?
Michel: Wir waren daheim fünf Kinder, und meine Mama hat am Sonntag immer gesagt: "Wer in der Küche hilft, der muss nicht in die Kirche." Und da war ich immer der Erste, der mitgeholfen hat!
Das war bei Ihnen zu Hause in Euerbach, im Schweinfurter Land. Waren dort damals die langen Haare, die Sie heute immer noch tragen, eigentlich erlaubt?
Michel: Das war ganz schwierig. In der Schule kam das in den 60er Jahren gar nicht gut an, und auch mein Vater war überhaupt nicht begeistert. Als ich 14 war, hat er zum letzten Mal gemeint, dass ich besser kurze Haare tragen sollte. Da habe ich mich aber erfolgreich durchgesetzt. Seitdem sind die Haare lang - nur meine Frau schneidet mir ab und zu die Spitzen.
Für unsere "Sommerinterview" haben wir Menschen aus der Region Würzburg gebeten, sich mit uns an ihrem Lieblingsplatz zu treffen.