Am 24. April 1942 sitzen in einer Bamberger Wohnung Nazi-Gegner beisammen und beraten sich. Als einer die Ängste schildert, die er während einer Vernehmung durch die Gestapo ausgestanden hat, und meint, nun sei nur noch das Überleben der „gegenwärtigen Dinge“ wichtig, fährt der Jurist und Theologe Georg Angermaier auf und widerspricht: Er bitte Gott, dass er „uns lieber einen ganzen Tod als ein halbes Leben begehren lässt“.
Angermaier ist Würzburger, Justitiar der Diözesen Würzburg und Bamberg, und Akteur im katholischen Widerstand gegen das NS-Regime. An diesem Sonntag, am 6. Januar, wäre er 100 Jahre alt geworden. Er starb am 27. März 1945 32-jährig, unter ungeklärten Umständen nach einem Verkehrsunfall. Seine Biografin, die Tübinger Historikerin Antonia Leugers, hält einen Mordanschlag der SS für möglich.
Angermaier war mit dem gleichaltrigen Julius Döpfner, dem späteren Bischof von Würzburg, befreundet. Der sagte über ihn, er habe „mit einer seltenen Überlegenheit und verbissenen Zähigkeit für die Rechte der Kirche gekämpft“ und sei „der unheimliche, aber in seiner Klugheit unantastbare Gegner einer brutalen Gewaltherrschaft gewesen“.
Angermaier gehört dem „Kreisauer Kreis“ an, der Widerstandsorganisation um Helmuth James Graf von Moltke. Er, der katholische Laie, ist Mitglied im „Ausschuss für Ordensangelegenheiten“, der die deutsche Bischofskonferenz berät und dem auch die Bischöfe von Fulda und Berlin angehören.
Und er sieht, wie seine Kirche versucht, sich mit dem Regime zu arrangieren. Joseph Godehard Machens, der Bischof von Hildesheim etwa mahnt 1940, die Gläubigen müssten alles vermeiden, „was als Störung der Einheit und Schwächung der Volkskraft durch uns erscheinen könnte“.
Aber auch die Geduld der deutschen Bischofskonferenz hat Grenzen. Sie protestiert, als das Regime Kruzifixe entfernen lässt und Kloster-Eigentum beschlagnahmt. Angermaier vertritt das Benediktinerklosters in Münsterschwarzach und scheut dabei, berichten die Benediktiner, vor nichts zurück und setzt „oft sein Leben und die Existenz seiner Familie aufs Spiel“.
Die Bischofskonferenz greift das Euthanasie-Programm der Nazis – die planmäßige Ermordung behinderter Menschen – an, mit Erfolg. Hitler gibt ihrem öffentlich ausgeübten Druck nach und lässt das Morden einstellen.
Am 15. Oktober 1941 beginnen die Nationalsozialisten und ihre Mitläufer mit der Verschleppung der jüdischen Deutschen in die KZ. Maßgeblich beeinflusst von Angermaier, fordert der Ordensausschuss die radikale Anklage des Regimes durch die Bischöfe.
Julius Döpfner über Georg Angermaier
Er entwirft ein Hirtenwort, in dem steht, auch der nichtchristliche Teil in Deutschland, „der unter der Last der Rechtlosigkeit und seiner eigenen Ohnmacht gegenüber Unrecht und Gewalt leidet“, erwarte Hilfe und Verteidigung. Aber die Bischöfe schweigen. Angermaier notiert, die Kirche glaube, „sie könnte durch Taktik und Anpassung erreichen, dass sie durch die Zeit kommt“. Und meint: „Das geht nur durch Übergriffe auf die christliche Substanz“.
Erst im September 1943 erinnert der Episkopat, wesentlich inspiriert vom Kreisauer Kreis, daran, dass es unrecht sei, Unschuldige zu töten, auch wenn das „angeblich im Interesse des Gemeinwohls“ geschehe, wie im Falle der „Menschen fremder Rassen und fremder Abstammung“.
Die katholische Kirche bedrohte Gläubige, die Duelle austrugen oder ihren Leichnam verbrennen lassen wollten, mit der Exkommunikation. Die Beteiligung ihrer Schäfchen am Judenmord sanktionierte sie nicht. Angermaier analysierte bitter, der Kampf zwischen Nazis und Kirche sei „ein reiner Konkurrenzkampf insoweit, als beide einen totalen Anspruch auf totale Gläubigkeit ihrer Anhänger erheben“.
Der Benediktiner Jonathan Düring beschreibt Angermaier als einen „unbequemen Menschen“ und als das „Gewissen der Bischöfe“. Gut möglich, dass Angermaier bis heute auch das schlechte Gewissen der Bischöfe ist. Einen Gedenkgottesdienst oder eine Veranstaltung zu seinen Ehren gibt es in der Diözese nicht.
Literaturempfehlung: Antonia Leugers, „Georg Angermaier (1913-1945). Ein Europäer aus Würzburg im Widerstand gegen die NS-Diktatur“, Universitätsverlag des Saarlandes.