Was typisch ist für die fränkische Hecke? Hermann Schmitt muss nicht lange überlegen: "Das Enge, die Gemütlichkeit, die Wärme und dass man schnell mit anderen Leuten ins Gespräch kommt", sagt der Geschäftsführer des Fränkischen Weinbauverbands. Früher wurden Scheunen, Wohnzimmer oder manchmal sogar das Schlafzimmer ausgeräumt, um für eine begrenzte Zeit Gäste mit eigenem Wein und fränkischer Hausmannskost zu bewirten. Heute, schätzt Schmitt, gibt es noch etwa 180 Heckenwirtschaften in Franken. Etwa die Hälfte davon arbeitet ohne gaststättenrechtliche Konzession und darf an 16 Wochen im Jahr Wein und Brotzeit für Gäste anbieten.
Heckenwirtschaften gehören zu Franken wie der Main und die Weinberge. Im Frühjahr und vor allem im Herbst nach der Weinlese öffnen viele ihre Tore. Als Kulturgut sind sie eng mit der Geschichte der Region verbunden: "Sie sind in keinem anderen deutschen Weinbaugebiet in der Vielfalt und in der persönlichen Art zu finden, wie in den Dörfern am Main", schrieb vor über 100 Jahren schon Josef Balduin Kittel, Würzburger Jurist und Mitbegründer des Fränkischen Weinbauverbands, in seinem "Buch vom Frankenwein".
Was das Besondere an Frankens Heckenwirtschaften ist
Doch was ist das Besondere an den Heckenwirtschaften? "Früher räumten die Winzer ihr Wohnzimmer aus, um für eine gewisse Zeit Tische und Bänke für Gäste dort aufzustellen", sagt Hermann Schmitt. In der Heckenwirtschaft Bauer in Remlingen bei Würzburg wird das auch heute noch gemacht. Die Bauers arbeiten ohne Konzession: Den selbst erzeugten Wein dürfen sie an vier Monaten oder insgesamt 16 Wochen im Jahr ausschenken, maximal 40 Sitzplätze sind erlaubt. Serviert werden dürfen in Heckenwirtschaften ohne Konzession laut Gaststättengesetz einfache kalte oder warme Speisen.
Im Sommer wurden wieder für drei Wochen die Möbel zur Seite gerückt, erzählt die 86-jährige Senior-Chefin Greta Bauer: "Die ganze Familie hilft dann zusammen."
Seit wann es Heckenwirtschaften in Franken gibt
Die ältesten Nachweise von Weinbau in Franken stammen aus dem 8. Jahrhundert. Laut Deutschem Weininstitut ließ bereits Karl der Große den Anbau der Reben, die Weinbereitung und den anschließenden Verkauf regeln. Daher vermutet Hermann Schmitt, dass zu dieser Zeit bereits die ersten Heckenwirtschaften in Franken entstanden sind. Im Hochmittelalter erlebte der Weinbau einen enormen Aufschwung, spätestens ab dem 15. Jahrhundert war der Weinverkauf dann auch in den ländlichen Regionen behördlich geregelt. Jeder Dorf- oder Stadtherr verlangte ein sogenanntes Umgeld, eine Art Getränkesteuer. Ohne die Abgabe Bier und Wein zu servieren war verboten - und so fand der Ausschank wohl häufig heimlich, "hinter der Hecke", statt.
Woher der Name Heckenwirtschaft stammt
Der Name "Heckenwirtschaft" hat noch eine andere Bedeutung: Im Rheinland spricht man von Straußenwirtschaft, in Baden-Württemberg von Besenwirtschaft, in Österreich nennt man sie Buschenwirtschaft - gemeint ist aber das Gleiche: ein saisonal oder tageweise geöffneter Gastbetrieb, in dem Winzer ihren selbst erzeugten Wein direkt vermarkten. Kennzeichen für eine geöffnete Heckenwirtschaft ist von jeher ein Zweig, Besen oder Kranz über der Tür. In Wiesenbronn (Lkr. Kitzingen) diente einst ein Fichtenbäumchen an einer Stange als Kennzeichen, sagt Volkskundler Reinhard Hüßner. Der Leiter des Kirchenburg-Museums in Mönchsondheim (Lkr. Kitzingen) hat sich immer wieder mit der Geschichte der Heckenwirtschaften beschäftigt und verweist beispielsweise auch auf das Volkacher Salbuch aus dem Jahr 1504, in dem eine Schankwirtschaft mit Bäumchen über der Tür abgebildet ist.
Was in der Heckenwirtschaft auf den Tisch kommt
Ursprünglich gab es nur Wein, sagt Herrmann Schmitt. Später wurden eine kalte Brotzeit, angemachter Käse, Hausmacherwurst oder Bratwürste dazu serviert. Jeder Betrieb hatte seine Spezialität. So serviert Greta Bauer in Remlingen traditionell "Schnickerli", in Rotwein gekochte und in Streifen geschnittene Pansen von Kälbern oder Rindern. Wie Kutteln einst ein typisches Arme-Leute-Essen, "heutzutage eine kulinarische Spezialität", sagt Schmitt. Gewürzt wird der Pansen mit Curry, Thymian und Piment und dann mindestens eineinhalb Stunden gekocht.
In den 1990er Jahren seien einem Lebensmittelkontrolleur die Schnickerli zu aufwendig - also nicht "einfach" genug - gewesen, erzählt Greta Bauer. Als sie das Gericht von der Karte nehmen sollte, protestierte die Winzerin mit Unterschriften der Gäste und einer Petition im Landtag dagegen. Erfolgreich.
Wer die Heckenwirtschaft besucht
Hecken waren schon immer Treffpunkt für alle Generationen. "Man trifft dort Leute in jedem Alter und mit jeder Herkunft", sagt Bernd Küffner vom Fränkischen Weinbauverband. Und verweist auf Leinach im Landkreis Würzburg: Also dort 2009 die letzte Heckenwirtschaft schloss, hat die Freiwillige Feuerwehr mit ihren jungen Leuten die Tradition übernommen. Unter dem Namen "Weinwoche" werden jetzt einmal im Jahr im alten Feuerwehrhaus in Oberleinach Weine aus der Umgebung ausgeschenkt.
"Man setzt sich zusammen, auch wenn man sich nicht kennt", beschreibt Winzerin Monika Bauer die typische Atmosphäre einer Heckenwirtschaft. "Jung und alt finden so schnell zueinander und kommen ins Gespräch", so sagt Bauer, die in Thüngersheim (Lkr. Würzburg) die Heckenwirtschaft "Weinträume" betreibt. Das sei natürlich jetzt eineinhalb Jahre durch die Corona-Pandemie kaum möglich gewesen.
Was die Stimmung in der Hecke ausmacht
"Sämtliche Gewährspersonen" hätten ihm "unabhängig voneinander immer wieder die Mordsgaudi in den Heckenwirtschaften" bestätigt, sagt Volkskundler Reinhard Hüßner. In der Barockscheune Volkach (Lkr. Kitzingen) ist derzeit die Sonderausstellung "Damals an der Mainschleife - Gasthäuser in Volkach" zu sehen - da spielen die Heckenwirtschaften eine große Rolle. Weil dort neben dem Schoppen auch kleine Speisen wie Käse, Wurst und Heringe angeboten wurden, sei es auch schon mal vorgekommen , dass bei guter Stimmung "Heringsgräten an der Decke landeten". Das Publikum kam fast ausschließlich aus Volkach selbst. Auch wenn zuhause Wein im Keller lagerte, traf man sich gern in geselliger Runde, sagt Hüßner: "Entweder damit mer a mal därt wor oder wegen der schon erwähnten Mordsgaudi."
Wo es besonders viele Hecken gibt
Heckenwirtschaften erstrecken sich von Ramsthal (Lkr. Bad Kissingen) im Norden bis nach Ippesheim (Lkr. Neustadt an der Aisch) in Mittelfranken. In Nordheim (Lkr. Kitzingen), Frankens größter Weinbaugemeinde, ist die Heckendichte sehr hoch. Als besonders urig wird der Gewölbekeller vom Weingut Keller in Ramsthal beschrieben. "Schon der Ur-Urgroßvater hat 3,5 Morgen Weinberge bewirtschaftet", sagt Karin Keller, die auch immer wieder Weinbergsführungen anbietet.
Und besonders in Churfranken sind die Hecken verbreitet. "In Großheubach bei Aschaffenburg gibt es etwa 60 solche Winzerbetriebe mit Ausschank", sagt Andreas Göpfert vom Fränkischen Weinbauverband. Längs durch Churfranken erstreckt sich von Großwallstadt nach Bürgstadt der 79 Kilometer lange Fränkische Rotwein-Wanderweg. Entlang der Route kommt man an zahlreichen Hecken vorbei. "In jeder kann einem die Wirtin oder der Wirt bei einem guten Tropfen erzählen, wie dieser von der Rebe ins Glas gewandert ist", sagt Göpfert. "Und oft noch, von welcher Sau die Blutwurst stammt, die auf den Tisch kommt."
Was Sinn und Zweck der Hecke ist
Auch hier am Untermain würden viele Einheimische den Wein nicht für zuhause kaufen, sondern lieber direkt in der Häckerwirtschaft trinken, sagt Göpfert. Viele kleine Betriebe setzten damit einen Großteil ihres Weins ab.
"Die Hecke ist der kürzeste Weg zum Verbraucher", sagt auch Hermann Schmitt. Viele junge Weingüter hätten auf diese Weise angefangen, und gerade für Kleinstbetriebe sei der Ausschank immer noch der beste Absatzweg. "Eine bessere Gewinnspanne als durch die Direktvermarktung kann man kaum erzielen." Auch für den Gast hat die Heckenwirtschaft Vorteile, sagt Schmitt: "So lernt man den Wein und den Winzer kennen."
Wie eine Heckenwirtschaft auch aussehen kann
Unter den vielen Heckenwirtschaften in der Region gibt es ein paar besonders auffällige – wie das Weingut Hirn in Untereisenheim (Lkr. Würzburg). Winzer Matthias Hirn ist ein großer Fan von Friedensreich Hundertwasser - und schickte vor gut 20 Jahren kurzerhand eine Bauanfrage an das Wiener Büro des Künstlers und Architekten. Hundertwasser gefiel die Idee, ein Weingut zu gestalten, und begann 1998 mit der Planung. Als er zwei Jahre später starb, vollendete sein Büro das Werk in Unterfranken. "Für mich ging damit ein Traum in Erfüllung", sagt Hirn, der im Hundertwasser-Weingut immer wieder auch Führungen für Architektur-Interessierte anbietet. Und auf der Karte der bunten Hecke stehen neben der klassischen Brotzeit auch Wraps, vegane Gemüsepfanne oder Burger.
Auch anderswo sind die Gasträume mehr als Wohnzimmer-Wirtschaft: In der Kategorie "Excellent Architecture – Interior Architecture" ist die WeinOase Huppmann in Würzburg-Heidingsfeld gerade mit dem "German Design Award 2020" ausgezeichnet worden. Die Eibelstädter Architekten Edmund und Stephan Haas hatten die Heckenwirtschaft mit Vinothek neu gestaltet - durch einen Anbau an das elterliche Wohnhaus der Winzerfamilie. Das Lob der Jury: "Durch die charakteristische Holzverkleidung erinnert die gewölbte Decke an ein klassisches Weinfass und lässt ein Gefühl von Offenheit und Großzügigkeit entstehen."