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Würzburg
Gemeinsam beten, während sich die Verwandten bekämpfen: Würzburgs russisch-orthodoxe Gemeinde und der Krieg
Russen und Ukrainer besuchen gemeinsam die Messen in Würzburg: Priester Vladimir Bayanov findet deutliche Worte zum Krieg und zum russischen Patriarchen Kyrill.
Vladimir Bayanov, Priester der russisch-orthodoxe Gemeinde, in der Würzburger Don-Bosco Kirche.
Foto: Thomas Obermeier | Vladimir Bayanov, Priester der russisch-orthodoxe Gemeinde, in der Würzburger Don-Bosco Kirche.
Lara Meißner
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:07 Uhr

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine fordert täglich neue Tote. Und auch wo keine Bomben fallen, sind die Menschen aus beiden Nationen zu Feinden geworden. Was viele von ihnen dennoch eint: ihr Glaube. Rund 60 Prozent der Ukrainer und rund 75 Prozent der Russen bekennen sich zum orthodoxen Glauben.

Überall auf der Welt hat die russisch-orthodoxe Kirche Gemeinden in der Diaspora, auch in Würzburg. Gegründet vor 30 Jahren von einem deutschen Konvertit, hat die Würzburger Gemeinde heute einige Hundert Mitglieder. Die Gläubigen kommen aus Russland, Weißrussland, Ukraine, Moldawien, Georgien, Kasachstan oder Kirgisien und auch einige Deutsche gehören zur Gemeinde. Die Gottesdienste finden auf Deutsch und Kirchenslawisch statt. Im Gespräch schildert der russisch-orthodoxe Pfarrer Vladimir Bayanov (45) die emotionale Stimmung in der Würzburger Gemeinde - und welche Meinung er zum putin-treuen Kirchenoberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., hat.

Frage: Herr Bayanov, Sie haben lange mit sich gehadert, ob Sie ein Interview geben wollen. Warum?

Vladimir Bayanov: Der Krieg hat uns mittlerweile alle erreicht. Die Stimmung durch die Ereignisse in der Ukraine war sehr aufgeheizt. Wir als Gemeinde haben viele emotionale Briefe und Emails bekommen, aber auch handfeste Anfeindungen von verschiedenen Leuten. Unser Schaukasten wurde mit politischen Parolen und Beleidigungen beschmiert. Wir verstehen uns als Gemeinde als ein Ort, an dem verschiedenste Leute zusammentreffen, an dem Brücken zwischen Menschen geschlagen werden. Der Zeitpunkt für ein Interview erschien mir deshalb ungünstig, ich wollte erst etwas abwarten.

Wie ist die Stimmung in Ihrer Gemeinde jetzt?

Bayanov: Die Stimmung ist emotionsgeladen. Fast jeder in der Gemeinde ist auf eine gewisse Weise betroffen, weil viele Menschen einen Bezug zum postsowjetischen Kulturraum haben. Manche haben Verwandte im Kriegsgebiet und machen sich große Sorgen um sie. Manche spüren auch die Sanktionen: Man kann nicht mehr nach Russland reisen oder Geld nach Hause überweisen. Einige haben auch direkten Kontakt ins Kriegsgebiet, bekommen Nachrichten von der Front - man hat einfach das Gefühl, das alles findet in der nächsten Gasse statt. Seit dem Beginn des Krieges sind viele aus der Gemeinde psychisch sehr belastet.

Friedensgebet in Würzburg kurz nach Kriegsbeginn Ende Februar: Vladimir Bayanov mit Pfarrer Matthias Leineweber und Dekan Wenrich Slenczka (von links) im Kiliansdom.
Foto: Markus Hauck, POW | Friedensgebet in Würzburg kurz nach Kriegsbeginn Ende Februar: Vladimir Bayanov mit Pfarrer Matthias Leineweber und Dekan Wenrich Slenczka (von links) im Kiliansdom.
Sie sind Russe und haben sich schon am Tag nach Russlands Einmarsch in die Ukraine an einem ökumenisches Friedensgebet beteiligt. Und Sie sprechen von "Krieg". Nicht alle Ihrer Landsleute denken so. Was entgegnen Sie denen?

Bayanov: Ich habe mich kurz nach dem Kriegsbeginn mit einer Botschaft an die Gläubigen der Gemeinde gewandt, sie ist auch auf der Internetseite der Gemeinde zu finden: Es bleibt für mich unbestritten, dass es sich um einen Krieg handelt, einen Angriffskrieg. In jedem Gottesdienst beten wir seit Beginn der Kriegshandlungen für den Frieden. Die Menschen versuchen natürlich, sich ein Bild der Lage zusammenzureimen auf der Basis von komplett widersprüchlichen Nachrichtenströmen. In den russischen Medien entsteht ein komplett anderes Bild als in den westlichen. Es ist offensichtlich, dass man nicht nur mit Kanonen kämpft, sondern auch vehement im medialen Raum: Die westlichen und russischen Medien kämpfen um die Deutungshohheit.

Was macht das mit Ihrer Gemeinde, in der Menschen mit russischen wie ukrainischen Wurzeln sind?

Bayanov: An dem Thema kann selbst eine kleine Gemeinschaft zerbrechen. Sogar in engsten familiären Kreisen verfeinden sich Menschen, weil sie den Krieg unterschiedlich begreifen. Mir kommt es so vor, dass der Hass jetzt nicht wenige Menschen innerlich umtreibt. Man kann aber den Hass nicht mit Hass besiegen, man kann Feuer nicht mit Feuer bekämpfen. Ich hoffe, dass der Krieg bald mit einem Friedensvertrag beendet wird - und nicht deshalb, weil sich die Kriegsparteien gegenseitig ausgelöscht haben.

Das Kirchenoberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, sieht das anders.Erst leugnete er, dass es überhaupt einen Krieg gibt, jetzt nennt er ihn einen "heiligen Krieg". Bekommen Sie da keine Probleme, wenn Sie sich so kritisch äußern?

Bayanov: Ich persönlich distanziere mich von allem, was diesen Krieg noch weiter anheizt. Wir sehen doch, welche schrecklichen Folgen er mit sich bringt, deshalb muss er möglichst bald beendet werden.

"Jeder vor Gott Rede und Antwort stehen müssen für seine Taten und Worte - da bin ich mir absolut sicher."
Vladimir Bayanov, russisch-orthodoxer Pfarrer in Würzburg
Der Name des Patriarchen wird aber weiterhin in den Gebeten erwähnt?

Bayanov: Ja. Dass der Name genannt wird, hat vor allem die Funktion, die jurisdiktionelle Zugehörigkeit der Gemeinde zu der russischen orthodoxen Landeskirche kenntlich zu machen. Dass es Menschen gibt, die die Meinung des Patriarchen nicht teilen, verändert nicht den kirchenrechtlichen Status der Gemeinde. Und schließlich wird jeder vor Gott Rede und Antwort stehen müssen für seine Taten und Worte - da bin ich mir absolut sicher.

Wie eng sind Sie in Ihrem Kirchenalltag an die Kirche in Russland angebunden?

Bayanov: Relativ wenig. Bei uns wird viel auf Deutsch gebetet und gesungen. Der Großteil der Menschen, die in unsere Gottesdienste kommen, haben ihren Lebensmittelpunkt hier in Deutschland. Viele leben und arbeiten hier seit über 20 Jahren. Gleichzeitig fühlen sich die Leute trotzdem ihrer Herkunftsregionen mehr oder weniger verbunden. Wir als Kirchengemeinde sehen uns aber nicht als einen russischen Kulturtreffpunkt, nicht als einen Heimatverein.

Sondern?

Bayanov: Wir verstehen uns als einen Ort des Gebetes. Die Menschen, die in den Gottesdienst gehen, suchen vor allen Dingen die Stille und die Spiritualität. Viele kommen in die Kirche, weil sie Trost durch Gebet erhoffen. Nicht wenige sind froh, einen Raum zu haben, in dem sie seelisch aufatmen können und wo nicht über die Politik gestritten wird.

Es sind auch einige Flüchtlinge aus der Ukraine zu Ihnen in die Gemeinde gekommen.

Bayanov: Ja, es sind vielleicht 30 bis 40 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder.

Und dann beten Menschen gemeinsam, deren Angehörigen an unterschiedlichen Fronten sterben? Das kann doch nicht funktionieren?

Bayanov: Doch. Vor Ostern kamen zwei Frauen in die Kirche. Die eine hat für ihren gefallenen Sohn gebetet, die andere für ihren gefallenen Cousin. Es stellte sich heraus, dass der eine für die Ukraine kämpfte, der andere auf der Seite der Separatisten fiel…

Die russisch-orthodoxe Gemeinde in Würzburg hält ihre Gottesdienste in der Don-Bosco Kirche am Schottenanger. 
Foto: Thomas Obermeier | Die russisch-orthodoxe Gemeinde in Würzburg hält ihre Gottesdienste in der Don-Bosco Kirche am Schottenanger. 

Wie können sich in so einer Situation die Gläubigen begegnen, ohne aufeinander loszugehen?

Bayanov: Diejenigen von den Flüchtlingen, die es in unsere Kirchengemeinde schaffen, sind wahrhaft fromme Seelen. Zuhause gingen sie jeden Sonntag in die Kirche. Eine Frau ist sogar eine Nonne und musste ihr Kloster verlassen. Eine andere sang im Kirchenchor, sie erzählte mir, dass ihre Kirche nun im Krieg zerbombt wurde. Diese Menschen versuchen, ihre persönliche Situation mit Hilfe ihres Glaubens zu verarbeiten… Für mich gibt es Vieles zu bewundern: ihr tiefer und aufrichtiger Glaube und ihre Friedfertigkeit. Wir in der Gemeinde müssen unseren bescheidenen Beitrag zur Befriedung und Versöhnung zwischen den Menschen leisten.

Wie tun Sie das?

Bayanov: Wir versuchen, die Menschen aus der Ukraine herzlich zu empfangen und ihnen, soweit unsere Kräfte reichen, zu helfen: bei der Wohnungssuche, bei Übersetzungen, wo wir gebraucht werden. Bald möchten wir eine Stadtführung durch unsere schöne Stadt Würzburg anbieten und über ihre reiche Geschichte erzählen, angefangen bei den Frankenaposteln und ersten heiligen Bischöfen. Diese Heiligen werden übrigens auch in unseren Gottesdiensten angerufen.

 Patriarch Kyrill und der Krieg in der Ukraine

Kyrill I. ist der Kirchenoberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Der 75-Jährige, mit bürgerlichem Namen Wladimir Michailowitsch Gundjajew, wird international als einer der einflussreichsten Propagandatreiber Russlands gesehen.
Nach dem Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine sprach er von einem "metaphysische Kampf" des Guten gegen des Bösen, respektive gegen den Westen und seine sündhaften Werte. Wladimir Putins "Spezialoperation" in der Ukraine, wie der Krieg in Russland und auch von Kyrill I. stets genannt wird, schütze die Menschen dort vor "Schwulenparaden" und sonstigem westlichen Verderben.
Beziehung zum Staat: Die Beziehung zwischen dem Kirchenoberhaupt und dem Präsidenten ist eng: 2012 und 2018 sprach der Geistliche Dankesgebete für die Wiederwahl Putins. Die beiden verbindet mehr als der gemeinsame Glaube:Beide waren zu Sowjetzeiten Mitarbeiter des Geheimdienstes KGB. In den Jahrzehnten des Kommunismus wurde die russisch-orthodoxe Kirche von staatlicher Seite unterdrückt, nach dem Zerfall der Sowjetunion erlebte sie eine Renaissance. Fast 30 000 Kirchen wurden wiedereröffnet, große Kathedralen mit Geld vom Staat wiederaufgebaut. Stark abhängig von staatlichen Geldern ist die Kirche heute noch.
Landeskirchen: Innerhalb der orthodoxen Kirche bildeten sich eigene Landeskirchen. Die Kirchen Weißrusslands, Moldawiens und die der Ukraine behielten zunächst die Zugehörigkeit zum Moskauer Patriarchat, andere Landeskirchen lösten sich von der russischen Führung. 2018 sagten sich Teile der ukrainisch-orthodoxe Kirche von Moskau los, seitdem gab es in der Ukraine zwei Kirchen: die unabhängige ukrainisch-orthodoxe Kirche und die dem Moskauer Patriarchen treuen Gemeinden. Seit Beginn des Angriffskrieg kehrten viele Gemeinden Kyrill I. und seinen kriegstreibenden Parolen den Rücken. Am 27. Mai beschloss ein Landeskonzil, dass auch alle restlichen Gemeinden sich vom Moskauer Patriarchat lossagen und es nur noch eine eigenständige ukrainisch-orthodoxe Kirche gibt. 
lar
 
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  • K. F.
    denke ich auch, dass der orthodoxe priester in würzburg sehr deutlich gesprochen hat und sich gegen putin und dem patriarchen kyril in russland ausgesprochen hat. es kann nicht sein, dass auch bei der orthodoxen kirche das wort "frieden" an höchster stelle steht und man sich dann in russland mit einem mörderischen diktator m.o.w. verbündet. denke aber eher, die russische kirche hat angst vor diesem menschenverbrecher, da er auch sich nicht davor scheut, priester im eigenen land töten zu lassen, wenn diese nicht nach seiner pfeife tanzen oder predigen. armes volk russland und ukraine
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Dass Pfarrer Bayanov so klare und deutliche Worte findet, ist ein mutiges, starkes Hoffnungszeichen.
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