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WÜRZBURG
Gedenken an ermordete Sinti und Roma
Kranzniederlegung zum Gedenken an Genozid
an Sinti und Roma       -  Die Holocaust-Überlebende Rita Prigmore sprach am Mittwoch beim Mahnmal am Paradeplatz in Würzburg anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an den Genozid an Sinti und Roma. Foto: Daniel Peter
Foto: Daniel Peter | Die Holocaust-Überlebende Rita Prigmore sprach am Mittwoch beim Mahnmal am Paradeplatz in Würzburg anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an den Genozid an Sinti und Roma. Foto: Daniel Peter
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:24 Uhr

Am Paradeplatz, fast verborgen von Sträuchern und dem Laub eines Baums, steht das Mahnmal zum Gedenken an die Würzburger Sinti, die dem nazistischen Völkermord an den Sinti und Roma zum Opfer fielen. Porajmos“ – „das Verschlingen“ – nennen die Roma diesen Genozid. Die Stadt und der Verband Deutscher Sinti und Roma legten jetzt Kränze nieder, zum internationalen Porajmos-Gedenktag am 2. August.

Karl Winterstein, 1896 geboren nahe Rastatt, ist 18 Jahre alt und Korbmacher, als er fürs Kaiserreich im Ersten Weltkrieg kämpft. Im Dezember 1918 darf er die Armee verlassen. Er folgt seiner Mutter, der Schirmflickerin Johanna Winterstein, nach Würzburg, in die Korngasse im Reurerviertel. Karl Winterstein heiratet und zieht mit seiner Familie innerhalb des Viertels, in die ehemalige Kaserne in der Straße Am Pleidenturm, in die Hausnummer 6.

Als „Zigeunermischling“ eingestuft.

Er arbeitet als Heizer auf dem Flugplatz am Galgenberg. Im August 1942 stellt die Gestapo fest, er sei aus „abwehrpolizeilichen Gründen für die Verwendung in Dienststellen der Wehrmacht und in geschützten Betrieben ungeeignet“. Die „Rassenhygienische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes“ hat ihn als „Zigeunermischling“ eingestuft und damit den Juden gleichgestellt. Die Nazis nehmen ihm die Arbeit, zwangssterilisieren ihn und bringen ihn im April 1944 im Vernichtungslager Auschwitz um.

Vor der Tür Am Pleidenturm 6, wo er wohnte, sind 16 Stolpersteine verlegt, gewidmet Mitgliedern der Sinti-Familien Heumann und Winterstein. Alle wurden im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau umgebracht. 13 von ihnen waren keine zehn Jahre alt. Der Jüngste, Karl Wintersteins Enkel Waldemar, war ein Säugling. Sie gehören zu einer halben Million europäischer Sinti und Roma, die von den Nationalsozialisten und ihren Mitläufern ermordet wurden.

Sinti ausgegrenzt, verleumdet und denunziert.

Gut zwei Dutzend Menschen waren zur Kranzniederlegung am Paradeplatz gekommen, Ratsmitglieder von CSU und Grünen unter ihnen. Sie hörten, wie Bürgermeisterin Marion Schäfer-Blake über das hiesige Geschehen sprach: Würzburgerinnen und Würzburger hätten die Sinti ausgegrenzt, verleumdet und denunziert. Als „ihre Nachbarn und Kollegen verfolgt und verschleppt wurden“, hätten sie weggeschaut, tatenlos zugesehen oder mitgemacht und davon profitiert.

Nichts davon könne ungeschehen gemacht werden, „aber wir können und müssen dafür sorgen, dass sich die Gräuel der NS-Zeit nicht wiederholen“. Deshalb habe die Stadt 2005 das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma errichtet. „Wir wollen den gedemütigten, gequälten und getöteten Menschen ihre Würde zurückgeben“. Vor allem aber wolle die Stadt ein Zeichen setzen, „damit heute und in Zukunft nicht wieder Menschen zu Opfern rassistischer Gewalt werden“.

Systematische Vernichtung psychisch kranker Menschen.

Im März 1943 bringt die Würzburger Sintiza Theresia Winterstein die Zwillinge Rita und Rolanda zur Welt. Einen Monat später stirbt Rolanda in der Uni-Klinik, Rita ist am Kopf verletzt. Die Mutter ist überzeugt, dass ihre Kinder dem größten Verbrechers in der Geschichte Würzburgs als Versuchsobjekte dienten: Werner Heyde, dem Leiter der Uni-Nervenklinik und Chef der Aktion T4, der systematischen Vernichtung psychisch kranker und behinderter Menschen. Theresia Winterstein nimmt Rita mit. Beide überleben die Nazis.

Theresia Winterstein: Kurze Karriere einer Tänzerin im Dritten Reich

Der Tod des Zwillingsmädchens Rolanda

Eine Sinti-Familie in Würzburg: Einblicke in eine unbekannte Welt

Rita heißt heute Prigmore. Sie ist eine der Initiatorinnen des Mahnmals am Paradeplatz. Die 74-Jährige ist in ganz Europa unterwegs, um, so sagte sie zur Kranzniederlegung, „die Geschichte unseres Volkes zu erzählen“. Jungen Deutschen sage sie immer, sie seien nicht verantwortlich für das Geschehene. „Aber sie sind dafür verantwortlich, dass es nie wieder passiert.“

Gemeinsam gegen jede Art von Rassismus kämpfen.

Aufgabe sei, gemeinsam gegen jede Art von Rassismus zu kämpfen. Ihre Geschichte erzähle sie, damit eine neue Generation von Jugendlichen heranwächst, „die Respekt vor jedem Menschen hat und weiß, dass jede Art von Vorurteil am Ende in einer Katastrophe wie Auschwitz enden kann“. Sie sei sicher, dass das Zusammenleben von unterschiedlichen Menschen ohne Diskriminierung möglich ist.

Am 2. August 1944 hat die SS die letzten rund 3000 Sinti und Roma im sogenannten Zigeunerlager in Auschwitz-Birkenau ermordet. Dieser Tag, berichtete Silvana Schneeberger vom Verband Deutscher Sinti und Roma vor dem Mahnmal, habe sich „tief in das kollektive Gedächtnis unserer Minderheit eingegraben“.

Massenmord als Ergebnis eines Rassenwahns.

Aller 500 000 Sinti und Roma, die zwischen 1933 und 1945 „gedemütigt, gequält und Opfer des Holocaust wurden“ erinnere sich die Gemeinschaft, „jedes Einzelnen der Vielen, die durch Rassenwahn und den Terror des Nationalsozialismus um Leben, Frieden und ein persönliches Glück auf Erden gebracht wurden“.

Schäfer-Blake beschrieb den Massenmord als Ergebnis eines Rassenwahns. Möglich sei er gewesen, weil „Vorurteile und Ressentiments gegenüber den sogenannten Zigeunern schon vor 1933 weit verbreitet waren“. Die NS-Propaganda sei auf fruchtbaren Boden gefallen.

Deshalb alarmiere sie das Ergebnis einer Studie der Universität München aus dem Jahr 2015. Demnach ist eine „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, die sich unter anderem gegen Sinti und Roma richtet, in Bayern „nach wie vor verbreitet“. Betroffen macht die Bürgermeisterin, „von Sinti und Roma zu hören, dass sie auch heute oft unter Diskriminierung und Ausgrenzung leiden“.

 
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