Man muss wissen, wo sich die Inschrift befindet, um eine Chance zu haben, sie zu entdecken. „Hier muss sie irgendwo sein“, sagt Willi Dürrnagel und starrt angestrengt die Fassade hinauf. Und dann ist sie gefunden: Sehr klein, grün auf braunem Grund, steht im unteren Bereich eines kleinen Erkers geschrieben: "Hier stand die von J. Georg Christoph Siebold gegründete erste Würzburger Frauenklinik 1790-1805. „Dass die Frauenklinik so frühe Ursprünge hat, ist weitgehend unbekannt“, erzählt der Stadtrat. Und wer würde denken, dass hier 1792 der erste Kaiserschnitt in Würzburg durchgeführt wurde?
Johann Georg Christoph von Siebold ließ seinen ersten Vornamen meistens weg und nannte sich Georg Christoph oder auch nur Christoph. Ob nun Johann, Georg oder Christoph: Der beeindruckende Mann war jedenfalls ein echter Würzburger: Hier kam er 1767 zur Welt, und als er 1798 in der Stadt am Main seinen letzten Atemzug tat und im Alter von gerade einmal 31 Jahren an Tuberkulose verstarb, hatte er mehr erreicht als manch anderer in der dreifachen Lebenszeit.
Durch seine Erfolge während des Studiums hatte Siebold Aufsehen erregt
Im Oktober 1790 ernannte ihn der Würzburger Fürstbischof zum Extraordinarius für allgemeine Heilkunde, Diätetik und Geburtshilfe: „Durch seine Erfolge während des Studiums hatte er Aufsehen erregt, und Vater Siebold konnte deshalb den Fürstbischof von Würzburg bewegen, dem Sohn am 28. Oktober 1790 die außerordentliche Professur für allgemeine Heilkunde, Diätetik und Geburtshilfe an der Universität Würzburg zu übertragen. Dafür erhielt Christoph Siebold 200 Taler von der Universitätskasse. Außerdem war ihm freigestellt, Privatvorlesungen aus allen Teilen der medizinischen Wissenschaft anzukündigen“, ist im Buch "Die Würzburger Siebold" zu lesen.
Schon im gleichen Winter begann er an der Universität zu lehren und sorgte dafür, „daß das Freihaus am Inneren Graben, in dem die Stadthebamme wohnte, provisorisch als Geburtshaus eingerichtet wurde“. Die Eröffnung fand am 17. Dezember 1791 statt, „vier Tage später kam die erste Geburt vor, am 2. Februar 1792 führte Siebold den ersten Kaiserschnitt aus“, ist dem Buch über die Siebolds zu entnehmen. Und weiter: „Für gewöhnlich konnten acht arme Schwangere aufgenommen werden, die aus der Kasse der Medizinstudenten Unterstützung für Kost und Wäsche erhielten. Jährlich fielen zwischen 24 und 30 Geburten vor.“
Und Siebold half in dem Geburtshaus nicht nur Frauen, ihre Kinder auf die Welt zu bringen, er erteilte seinen Studenten auch praktischen Unterricht in Entbindungskunde. Dass seine Schützlinge eine gute Ausbildung erfuhren, war Siebold extrem wichtig. Er legte zum Beispiel gesteigerten Wert darauf, dass die Medizinstudenten in einem klinischen Tagebuch ihre Beobachtungen über die Patienten festhielten.
Der Würzburger machte eine steile medizinische Karriere
Auch sich selbst bildete er fort: Er verschaffte sich Eindrücke von anderen Krankenhäusern, indem er unter anderem die Hospitäler von Wien, Verona, Venedig und Padua besuchte, später verfasste er das Standardwerk "Systematische Darstellung der Manual- und Instrumental- Geburtshülfe". Mit der Karriere ging es immer weiter bergauf. 1795 wurde Siebold zum ordentlichen Professor der Medizin und Geburtshilfe und zum Zweiten Arzt am Juliusspital berufen, es folgte ein Lehrstuhl in Physiologie, 1796 wurde er Erster Spitalarzt, nebenher betrieb er auch noch eine Privatpraxis und kümmerte sich um die Patienten in der sogenannten Irrenabteilung. Dass seine Frauenklinik umzog, sollte er nicht mehr mitbekommen, denn dieser Umzug ereignete sich sieben Jahre nach seinem Tod.
„1805 war die Klinik im Inneren Graben zu klein geworden, Elias von Siebold, sein jüngster Bruder verlegte sie in das Haus Klinikstraße 6, auch eine Hebammenschule war fortan angegliedert“, sagt Willi Dürrnagel. Und diese Klinik erarbeitete sich in den Folgejahren einen guten Ruf: 1819 wurden hier Mittel gegen Kindbettfieber entwickelt. 1855 bekam die Klinik eine Außenstelle, als sechs bis acht Plätze für Frauen auch im Juliusspital zur Verfügung gestellt wurden. „Wilhelm Scanzoni von Lichtenfels, der Erfinder der Geburtszange, stellte die Plätze zur Verfügung“, erklärt Dürrnagel.
Anfang der 1930er Jahre wurde der Grundstein der heutigen Frauenklinik gelegt
Scanzoni war es auch, unter dem 1857 der erneute Umzug der Frauenklinik in das benachbarte Gebäude Klinikstraße 8 erfolgte, das immer weiter ausgebaut wurde: 1890 wurde ein Hörsaaltrakt angebaut und das Haus aufgestockt. Trotz aller Erweiterungen wurde es auch hier zu eng, weshalb sich der Lehrstuhlinhaber für Frauenheilkunde, Carl Joseph Gauß, dafür einsetzte, dass in den Jahren 1932 bis 1934 ein Neubau erfolgte: „In diesem Augenblick wartet die Würzburger Universität noch auf das ihr zum bevorstehenden Jubiläum verheißene Geschenk der Grundsteinlegung einer neuen Frauenklinik. Sie würde den Beginn eines neuen geburtshilflich- gynäkologischen Weiterstrebens an der ‚Academia Sieboldiana‘ darstellen“, schrieb Gauß.
Das Geschenk kam: Das Ministerium genehmigte 1932 den Neubau, im Juli 1932 erfolgte der Spatenstich, im Dezember des gleichen Jahres wurde Richtfest gefeiert und im November 1934 zog man in den Anbau nordöstlich des Luitpoldkrankenhauses um. 180 Patientinnen fanden darin Platz, die Presse feierte die Klinik damals als „modernste Frauenklinik Deutschlands“ – 2017 verzeichnete die Frauenklinik pro Jahr 1983 Geburten und hatte 47 Mitarbeiter. Was für einen wichtigen Grundstein der gar zu früh verstorbene Johann Georg Christoph von Siebold da doch 1790 gelegt hatte!
Text: Eva Bast
Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.