12. März 1821. Frühmorgens um 1.53 Uhr kommt in der Würzburger Residenz ein Kind zur Welt. Es ist das fünfte Kind von Kronprinz Ludwig und Kronprinzessin Therese. Eilboten überbringen dem Vater, der gerade in Rom weilt, und dem königlichen Großvater Max I. Joseph die frohe Kunde. Noch am Abend wird der jüngste Wittelsbacher im Weißen Saal des Residenzschlosses getauft: Luitpold Karl Joseph Wilhelm Ludwig von Bayern. Zwei Monate später wird Kronprinz Ludwig, zurück in Würzburg, seinen Jüngsten freudig zum ersten Mal in den Arm nehmen.
Luitpold ist der dritte Sohn der Herrscherfamilie – und hat damit also kaum Aussicht auf den Thron. Doch als "Prinzregent" wird er in die bayerischen Geschichtsbücher eingehen. Eine ganze Ära wird nach ihm benannt werden. Und Rehakliniken, Wanderwege, Biere, Gasthäuser, Hotels, Hütten, Medaillen, Wohnheime, ein Fischerstechen, eine Stiftung, Straßen, Birnenbrand und Lederhose, Theater – und eine Torte, deren acht Schichten symbolhaft für die damals acht bayerischen Bezirke stehen! Für fast alles, was dem Menschen dienlich sein kann, wird er seinen Namen hergegeben. Als Verweser des Königreichs, Großvater Bayerns, Vertreter der guten alten Zeit. Bei seinem Tod im Dezember 1912 wird er der bayerische Herrscher gewesen sein, der am längsten regierte – ohne jemals die Krone getragen zu haben, ohne König gewesen zu sein.
Luitpolds Vater, Kronprinz Ludwig, hatte seit 1816 in der Würzburger Residenz Hof gehalten, Aschaffenburg war der zweite Wohnsitz. Nach der Inbesitznahme Würzburgs im Jahr 1814 hatte der König das verfügt, um den unterfränkischen Untertanen die Wittelsbacher Herrschaft sichtbar zu machen. Als Max I. Joseph 1825 starb, verlegte die Familie ihren Hauptwohnsitz wieder nach München. Nach Unterfranken, in die Residenzen zu Würzburg, Aschaffenburg und Bad Brückenau, kam sie indes jährlich für mehrere Wochen zurück.
Tragisch waren die Umstände, unter denen der gebürtige Würzburger Luitpold schließlich doch, ungeplant, zum Herrscher wurde. Mit 65 Jahren bekommt er ein Amt übertragen, dass es im Königreich Bayern bis dato nicht gegeben hatte. Schon seinem kränklichen, früh gestorbenen Bruder Maximilian II. hatte Luitpold Repräsentationstermine abgenommen. Auch dessen Nachfolger Ludwig II. lässt sich gerne von seinem Onkel vertreten.
Als der "Märchenkönig" für seine Schlösser immer mehr Geld braucht, droht neben der Finanz- eine Regierungskrise. Die Minister wollen nicht mehr mitmachen, Luitpold lässt sich in die Verantwortung nehmen. Per medizinischem Gutachten wird dem Monarchen abgesprochen, seine Amtsgeschäfte ausüben zu können. Der Rangfolge nach wäre Ludwigs jüngerer Bruder Otto an der Reihe. Doch der ist, wegen Geisteskrankheit, seit Jahren entmündigt und unter Gewahrsam gestellt. Am 10. Juni 1886 übernimmt der verwitwete Onkel die königlichen Amtsgeschäfte. Als drei Tage später Ludwig II. im Starnberger See ums Leben kommt, bleibt Luitpold – auch unter dem formalen König Otto I. – an der Macht.
Der Tod Ludwigs II. ist für Luitpold anfangs eine schwere Hypothek. Er sorgt sich, dass die Leute ihn als Mörder sehen könnten. Bis dahin war das Leben des Wittelsbachers 64 Jahre lang eher weniger aufregend verlaufen - trotz Offizierslaufbahn und Karriere im Militär und gelegentlicher Übernahme von Repräsentationsaufgaben. Luitpold drängt sich nicht in den Vordergrund, gilt – das Gegenteil vom "Kini"! – als bescheidener, pflichtbewusster, zurückhaltender Mann.
Der König ist zu seiner Zeit kein Alleinherrscher mehr, er regierte die meiste Zeit mit liberalen Ministern. Und so harsch konservativ wie noch sein Vater in späteren Jahren ist er auch nicht. Luitpolds Verdienst wird es sein, so urteilen Historiker, nach den Schuldeneskapaden und dem mysteriösen Tod des Märchenkönigs Bayern vor dem Auseinanderbrechen bewahrt zu haben.
Seinen Untertanen beschert der Wittelsbacher eine friedliche Zeit, Wissenschaft, Technik und Kultur können sich im Königreich entfalten. Trotz seines hohen Alters eröffnet der Prinzregent die Wiesn, reist im Land umher und klappert Bayern ab, um die Krone wieder sichtbar zu machen. Bei offiziellen Terminen erscheint der "edle Fürstengreis" mit dem weißen Rauschebart meist in Uniform – und er wird für Bayern zu einer Integrationsfigur. Die Sympathie ist ihm sicher, wenn er sich leutselig beim Oktoberfest zeigt oder – mit kurzer Lederhose, abgetragenem Janker und Gamsbart-Hut – im Berchtesgadener Land und im Allgäu auf die Pirsch geht. Auch eine Entenjagd im Englischen Garten darf es mal sein.
Stets mit dabei: Zigarren. Ein Dutzend raucht Luitpold der Erzählung nach täglich, in der Residenz lagert stets ein Notvorrat an Havannas. Die ein oder andere davon verschenkt der Regent gerne im Volk – wie eine Reliquie wird sie dann in den Familien über Generationen hinweg verwahrt. Zu Fronleichnam schreitet der fromme Katholik mit einer Kerze hinter dem Allerheiligsten. Doch er unterstützt die liberale Regierung in ihrem Kurs gegen den politischen Katholizismus – zum Missfallen Roms und konservativer Kreise. Luitpold unterstützt Kunst und Künstler, fördert Reformen in allen Schularten und öffnet – seine Tochter Therese soll daran großen Anteil haben – 1903 in Bayern das Studium für Frauen.
Buchtipp: "Prinzregent Luitpold - Herrscher ohne Krone" von Dr. Stefan März, aus der Reihe "Kleine bayerische Biografien", Verlag Friedrich Pustet Regensburg, 160 Seiten, 14,95 Euro.