Sämtliche große Anschläge erfolgen aus dem salafistischen Milieu, sagt Christiane Nischler-Leibl vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration. Sie leitet die Organisationseinheit „Radikalisierungsprävention“. Sie war es auch, die die Idee vom interkommunalen Präventionsnetzwerk (Stadt und Landkreis Würzburg) vorangetrieben hat. Denn ihrer Meinung nach geschieht die eigentlich wichtige Präventionsarbeit auf kommunaler Ebene. Vor Ort werde entschieden, was im Vorfeld eines Anschlags passiert. Hier müsse man ansetzen – „bevor etwas passiert“.
Insgesamt gibt es in Bayern 900 Salafisten. Bundesweit sind es etwa 10 000 Personen. 20 Prozent von ihnen gelten als „Gewalt befürwortend“. Insgesamt sind 90 Jugendliche aus Bayern ins Ausland ausgereist, um in Kriegsgebieten zu kämpfen. Momentan sei der Salafismus „die erfolgreichste Ideologie auf dem extremistischen Markt“, sagt Nischler-Leibl. Der Grund sei einfach: „Der Salafismus beruft sich auf das Erbe und die jahrhundertelange Praxis einer Weltreligion.
“ Dabei habe er wenig mit dem Islam gemein und puzzele sich seine Wahrheit in einer Art „Lego-Islam“ zusammen. Muslime, die religiös gefestigt sind, seien weniger anfällig für diese Ideologie. Daher sei Aufklärung so wichtig, so Nischler-Leibl.
Was tun, wenn sich jemand radikalisiert hat?
Immer dann, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt, jemand könnte sich radikalisieren oder wenn sich Angehörige und Freunde um jemanden sorgen, greift in Bayern die Arbeit des Violence Prevention Network (VPN), der Beratungsstelle Radikalisierung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, von Polizei und Verfassungsschutz.
Doch genauso wichtig wie die Repression sei die Prävention, um Radikalisierung bereits im Vorfeld zu verhindern. „Dafür brauchen wir eine bayernweite Strategie gegen Salafismus, aber auch gegen Rechtsextremismus“, sagt Nischler-Leibl. Denn: Die Radikalisierungsprozesse in die eine wie in die andere Richtung verlaufen ähnlich: oft unerkannt, aber im nach hinein erklärbar.
Fast immer kommen fünf Gründe zusammen, wenn sich Jugendliche radikalisieren: das Umfeld, die emotionalen Bedürfnisse der Jugendlichen, die Gruppedynamik, die Ideologie und die Gewalt.
Radikalisierung verlaufe nicht im luftleeren Raum. Das soziale und politische Umfeld sind wichtig. Menschen, die sich radikalisieren, fühlen sich oft ausgegrenzt, beispielsweise am Arbeitsmarkt. Wirtschaftliche Armut dagegen spiele eine untergeordnete Rolle.
Hinzu kommen die emotionalen Bedürfnisse von Jugendlichen. Viele von ihnen suchen eine Gruppe, zu der sie sich zugehörig fühlen, die ihnen Orientierung und Halt gibt. Manche wollen sich von der Gesellschaft, ihrer eigenen Familie und deren Religionsverständnis abgrenzen. Salafismus sei ebenso wie Rechtsextremismus häufig eine Form der Protestkultur, die in Symbolen, Lebensstil und Kleidung sichtbar werde. Hinzu komme ähnlich wie bei rechtsextremen Konzerten der Spaßfaktor.
Hassprediger und Online-Netzwerke nicht überschätzen
Radikalisierungsprozesse verlaufen sowohl on- als auch offline. Doch man sollte die Rolle des Internets nicht überschätzen. Ohne persönliche Kontakte in die reale Welt hätte sich noch niemand radikalisiert. Es reiche aber nicht, die „bösen Buben aus dem Spiel zu nehmen.“ Hassprediger allein seien nicht verantwortlich für die Radikalisierung von Jugendlichen. Denn diese finde oft in kleinen Grüppchen in den unterschiedlichsten Milieus statt.
Intellektuelle würden mit der „Ungerechtigkeit der Welt“ geködert, junge Männer, aber auch emanzipierte Frauen als „Kämpfer und Kämpferinnen“ rekrutiert, Mädchen als „Frauen der Kämpfer“ oder zukünftige „Mütter“ angesprochen. In vielfältigen Milieus herrsche die unterschiedlichste Propaganda. Die Ideologie, in diesem Fall der Salafismus, halte die Milieus wie eine Art Kitt zusammen.
Als letzten Punkt sieht Nischler-Leibl den Faktor der Gewalt. Gewalt werde in allen extremistischen Strömungen „unterschiedlich sexy verpackt und verkauft“.
Jugendliche sollen andere Jugendliche aufklären
Den wirksamsten Schutz vor Radikalisierung sieht Nischler-Leibl darin, diskriminierungsfreie Räume zu schaffen und Jugendliche darüber aufzuklären, dass Ideologie keine Religion sei. Jugendliche selbst sollten andere Jugendliche ansprechen und vermitteln.
Ferner müsse es eine muslimische Seelsorge geben („damit Salafisten nicht die besseren Seelsorger sind“), ebenso wie Apps, Online- und Offline-Angebote für Kleinkinder und Mädchen. Bei der Prävention seien alle gefragt: Der Staat, die Gemeinden, aber auch die Zivilgesellschaft.