Laut Lexikon ist eine Expedition "eine Entdeckungsreise oder Forschungsreise in eine entlegene oder unerschlossene Region". Mit vier Konzerten an zwei Abenden hat der Pianist Kit Armstrong beim Mozartfest eine "Expedition Mozart" unternommen. Nun sollte man annehmen, dass Mozart wohl kaum mehr als "unerschlossene Region" gelten kann, eine Annahme, die die ersten beiden Konzerte am Dienstag im Kaisersaal zumindest teilweise widerlegten.
Armstrong hatte sich eine Expeditionsmannschaft aus hochqualifizierten Musikerinnen und Musikern zusammengestellt: die Streichquartette Schumann, Hermès und Minetti, dazu den Konzertmeister Andrej Bielow und eine Riege brillanter Bläserinnen und Bläser. Auf dem Programm die Klavierkonzerte A-Dur KV 488 und c-Moll KV 491, die Klaviersonaten F-Dur KV 332 und D-Dur KV 284, die Maurerische Trauermusik, "Adagio und Fuga" für Streichtrio KV 404a/3 und die Ouvertüre zur "Hochzeit des Figaro".
Während Maurerische Trauermusik und Streichtrio tatsächlich ein wenig abgelegenere Mozart-Regionen sind, ist die "Figaro"-Ouvertüre ein nur allzu bekannt schweres Stück. Die Ouvertüre mit dem vielleicht heikelsten Anfang überhaupt: wuselnde Achtel aus dem Nichts, die schon manchem Dirigenten Kopfzerbrechen bereitet haben dürften. Weil sie nicht nur wuseln, sondern auch zusammen sein sollen.
Kammermusikalische Transparenz und sinfonischer Glanz
Das Expeditionsorchester zog sich - ohne Dirigent - mehr als achtbar aus der Affäre, ab der zweiten Hälfte hatten sich die Musikerinnen und Musiker, die sonst ja immer nur ihre eigene Stimme spielen, zu einem gemeinsamen Atem und zu dem süffigen Gesamtklang zusammengefunden, der dann auch den Klavierkonzerten bei aller kammermusikalischen Transparenz einiges an sinfonischem Glanz verlieh.
Kit Armstrong am Flügel reihte sich bewusst ins Ensemble ein, sein Instrument stand im Gegensatz zur sonstigen Gepflogenheit am hinteren Rand der Bühne. Die Passagen mit Orchester wurden so ganz natürlich zu Tutti-Passagen, es waren die unbegleiteten Abschnitte und die improvisierten Kadenzen, in denen der 32-jährige Pianist wieder zum Solist wurde und immer wieder ausgesprochen pointierte Akzente setzte. Etappenziele auf der Expedition, wenn man so will. Neuentdeckungen noch nicht wirklich.
Kit Armstrong dekonstruiert schon mal einen ganzen Variationssatz
So war es wenig überraschend, dass es die Klaviersonaten im zweiten Konzert zu vorgerückter Stunde waren, die dem Motto am meisten gerecht wurden. Bei Kit Armstrong gibt es keinerlei Belanglosigkeiten oder gar Unbestimmtheiten. Kein Ton ist überflüssig. Jeder Wechsel von Dur nach Moll ist ein Ereignis, jeder motorische Abschnitt eine Chance für pulsierenden Swing. Jähe Brüche, unvermittelte Stopps, komplett gegen den Strich gebürstete Passagen, wuchtiges Fortissimo und dann wieder aufs Äußerste reduziertes Pianissimo - plötzlich war da jede Menge Neuland.
Kit Armstrongs Expedition ist also eine ins Innere jedes der Werke, die er spielt. Dabei stellt er systematisch Gewissheiten infrage, beleuchtet vermeintlich Naheliegendes komplett neu, spürt improvisatorische Elemente auf und dekonstruiert schon mal einen ganzen Variationssatz. Das Ergebnis ist ein Mozart, der weit näher an Beethoven liegt als an Haydn. Und der offensichtlich noch Ziele für viele weitere Expeditionen bereithält.