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Ochsenfurt
(Fast) die letzte ihrer Art: So hält sich die Videothek "Traffic Video" in Ochsenfurt über Wasser
Von einst über 6000 Videotheken in Deutschland sind gerade mal knapp 100 übriggeblieben. Eine davon ist "Traffic Video" in Ochsenfurt. Deren Überlebensrezept ist überraschend.
60.000 DVDs auf 500 Quadratmetern: Andrea Mader und Bernd Gaubitz von 'Traffic Video' in Ochsenfurt.
Foto: Thomas Obermeier | 60.000 DVDs auf 500 Quadratmetern: Andrea Mader und Bernd Gaubitz von "Traffic Video" in Ochsenfurt.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:59 Uhr

In der Blütezeit Anfang der 1990er-Jahre gab es in Deutschland über 6000 Videotheken. Heute sind es laut Branchenverband noch 80 bis 100. Eine beliebte Zeitungsüberschrift in den letzten Jahren lautete "Eine Branche stirbt". Noch ziemlich lebendig ist die Videothek "Traffic Video" von Bernd Gaubitz (53) in Ochsenfurt. Er und Andrea Mader (55), die von Anfang an dabei war, denken jedenfalls nicht ans Aufgeben.

Der Laden im Hafen hat zwar seit einigen Wochen nur noch von Mittwoch bis Samstag geöffnet, weil sich die beiden ein zweites Standbein im Dienstleistungsbereich aufgebaut haben, das sie montags und dienstags beschäftigt. Aber das Geschäft ist stabil, der Bestand an Filmen und Serien wächst stetig weiter. "Wir lassen uns nicht beeindrucken", sagt Gaubitz.

Bernd Gaubitz, damals 19, betrieb vor 34 Jahren in Ochsenfurt einen CD-Verleih. Da fragte ihn einer der fünf ortsansässigen Videotheken-Betreiber, ob er, Gaubitz, ihm nicht seinen Laden abkaufen wolle. Gaubitz kaufte und dann, 1989, noch drei weitere dazu. Der letzte verbleibende Konkurrent in Ochsenfurt machte 1996 zu, vor fünf Jahren schließlich die letzte Videothek in Würzburg.

'Sortieren, sortieren, sortieren. Aufräumen. Staub wischen.' So beschreibt Andrea Mader ihren Arbeitsalltag.
Foto: Thomas Obermeier | "Sortieren, sortieren, sortieren. Aufräumen. Staub wischen." So beschreibt Andrea Mader ihren Arbeitsalltag.

"Traffic Video" ist damit die einzige in weitem Umkreis. Früher kam die Kundschaft aus Stadt und Umland. Heute umfasst der Einzugsbereich einen Radius von 150 Kilometern. Laut Bernd Gaubitz ist sein Geschäft inzwischen eines der größten Deutschlands. Der Laden belegt seit 2015 zwei von fünf Fabrikhallen, die ehemals dem Projektoren-Hersteller Kindermann gehörten. Heißt: 500 Quadratmeter mit 60.000 DVDs  auf zwei Etagen, 20.000  davon im Verleih, darunter 2000 Serienstaffeln, 30.000 zum Verkauf, weitere 10.000 im Bereich Hardcore.

Die Ü-18-Abteilung fängt das Geschäft als Ganzes auf

Der Bereich, in dem Filme stehen, die nur über 18-Jährige sehen dürfen, hat einen eigenen Eingang und ist komplett abgeschirmt. Die Auflagen sind streng, Gaubitz und Mader halten sie genau ein. "Obwohl ja im Internet jeder jederzeit alles sehen kann", sagt Andrea Mader.

Die Erotik-Abteilung ist dennoch die einzige, die weiterhin boomt, völlig unbeeinträchtigt vom Internet übrigens. "Die Kunden hier kennen sich nicht so gut im Netz aus, außerdem fürchten sie, sich auf den entsprechenden Seiten einen Virus oder einen Trojaner einzufangen, was durchaus schon vorgekommen ist", sagt Gaubitz. In diesem Bereich wird auch weit weniger ausgeliehen, sondern vor allem gekauft: "Da kommt es ganz besonders auf eine große Auswahl an."

Zusammengehöriges, Ähnliches, Verwandtes steht beisammen - so wie hier etwa Dramen mit historischem Hintergrund.
Foto: Thomas Obermeier | Zusammengehöriges, Ähnliches, Verwandtes steht beisammen - so wie hier etwa Dramen mit historischem Hintergrund.

Während die Ü-18-Abteilung das Geschäft als Ganzes "auffängt" (Gaubitz), hat sich das Leihverhalten der restlichen Kundschaft dramatisch verändert. Neue Filme werden vor allem dann auf DVD ausgeliehen, wenn sie bei den Streaming-Diensten wie Netflix, Apple-TV oder Amazon Prime noch gekauft werden beziehungsweise vergleichsweise teuer geliehen werden müssen. Der neue James Bond etwa.

Und: Raritäten, Oldies, Klassiker, Nischen-Produktionen. Hitchcock-Filme, Jackie Chan, Western mit John Wayne sind Evergreens. Alles, was sonst nirgends mehr zu sehen ist. Wer bei einer Suche im Streaming-Portal die Meldung "Vorschläge auf der Basis von..." erhalten hat, weil eben genau der Wunschfilm nicht verfügbar ist, kennt das.

"Game of Thrones" oder "The Walking Dead" gehen immer noch

Ansonsten waren bis zum Start des Streamings vor allem Serien beliebt. "Game of Thrones" oder "The Walking Dead" gehen immer noch, sagt Andrea Mader. Netflix war wohl noch zu verschmerzen, der "Game Changer" sei Amazon Prime gewesen, sagt Gaubitz. Er selbst hat daheim aus Prinzip keinen Zugang zu Filmen oder Serien im Netz. Andrea Mader auch nicht: "Mein Mann wird auf der Arbeit gelegentlich ausgelacht, weil er wieder mal das und das nicht gesehen hat."

Das ficht sie beide nicht an. Im Gegenteil: Gaubitz und Mader stellen immer wieder fest, dass die Menschen, die sich mal eben ganze Serien oder Filmreihen am Stück reinziehen, gar nicht mehr so richtig wahrnehmen, was sie da eigentlich sehen. "Die Wertschätzung für einzelne Werke geht immer mehr verloren", sagt Gaubitz. "Ich habe damals sechs Jahre gebraucht, bis ich alle Beatles-Songs gehört hatte, heute ist mit Spotify alles sofort verfügbar. Das verändert die gesamte Wahrnehmung."

Filmreihen sollen auf einen Blick auffindbar sein. Gelegentlich hilft ein Maskottchen bei der Suche.
Foto: Thomas Obermeier | Filmreihen sollen auf einen Blick auffindbar sein. Gelegentlich hilft ein Maskottchen bei der Suche.

"Die Leute wollen immer, immer mehr. Die kommen mit Listen, die sie auf dem Smartphone zusammengestellt haben", sagt Andrea Mader. "Oder sie haben auf Youtube den Trailer eines Films gesehen, der erst ein halbes Jahr später herauskommt." Dass sie der Videothek zutrauen, den Film schon parat zu haben, kann man durchaus als Vertrauensbeweis sehen. Tatsächlich ist "Traffic Video" auch eine Anlaufstelle für viele, die daheim ein wenig allein sind. "Wir sind hier für manche wie eine Stammkneipe", sagt Gaubitz. "Wir kennen ganz viele Lebensgeschichten."

Wer ansonsten noch in die Videothek kommt, ist meist ein wenig älter und Stammkunde. "Wir haben unsere Kundenkartei ganz bewusst noch auf Karteikarten. Wir kennen alle mit Namen, bei uns sind sie keine Nummern", sagt Gaubitz. Mittlerweile kommen auch Kinder und Kindeskinder von langjährigen Stammkunden, die gewissermaßen mit "Traffic Video" aufgewachsen sind. Und die eben schätzen, dass man hier Filme entdecken kann, die kein Algorithmus vorschlägt. Ganz zu schweigen von den Zeiten, in denen mal das Internet ausfällt. Auch das sei schon vorgekommen, erzählt Gaubitz, und habe dann immer Kunden ins Haus gebracht.

Die 70-er Jahre sind in: Gerade rollt die Vintage-Welle durch die Videothek

Das weitläufige, funktional ausgetüftelte System aus Regalen auf zwei Etagen ist in Kategorien wie "Klassiker", "Fantasy", "Sci-Fi" oder "Drama – anspruchsvoll" gegliedert. Wobei streng darauf geachtet wird, dass Verwandtes, Ähnliches, Zusammengehöriges auch beisammen steht. Also zum Beispiel alles, was jemals zum Thema Vampire, Zombies oder Godzilla gedreht wurde, vom antiquierten Trash bis zur aufwändigen Hollywood-Produktion. Andrea Mader beschreibt ihren Alltag so: "Sortieren, sortieren, sortieren. Aufräumen. Staub wischen."

Apropos antiquiert: Gerade rollt die Vintage-Welle durch die Videothek – in beiden Bereichen übrigens. Erotik aus den 1970-ern ist ebenso gefragt wie Familienkomödien aus dieser Zeit. "Das kann mit Nostalgie zu tun haben", vermutet Bernd Gaubitz, "aber vielleicht hat man auch einfach nur Spaß daran, sich darüber lustig zu machen."

Videothek "Traffic Video", Mainau B3, 97199 Ochsenfurt. Geöffnet Mittwoch bis Samstag, 12 bis 18 Uhr. Filmdatenbank unter traffic-video.de

9 Filmtipps abseits des Offensichtlichen

Bernd Gaubitz und Andrea Mader sind natürlich selbst Filmfans. Sein Favorit: "James Bond, alles davon." Ihr Favorit: "Flash dance". Hier geben sie ein paar Tipps für Filme abseits der ausgetretenen Pfade, alle auf DVD ausleihbar:
Klassiker
  • "Wer die Nachtigall stört", USA 1962: Ein Gerichtsprozess in Alabama - der aufrechte Anwalt Atticus Finch (Gregory Peck) wird Pflichtverteidiger eines schwarzen Farmarbeiters , der – zu Unrecht – beschuldigt wird, eine Weiße vergewaltigt zu haben.
  • "Mein Freund Harvey", USA 1950: James Stewart und sein unsichtbarer Freund Harvey, angeblich ein riesiger weißer Hase, erteilen der Welt eine Lektion in Menschlichkeit.
  • "Der Hofnarr", USA 1955: Der großartige Komiker Danny Kaye als mittelalterlicher Hofnarr, der plötzlich in einem Turnier kämpfen muss.
Familienfilme
  • "Sein letztes Rennen", Deutschland 2013: Dieter Hallervorden spielt einen ehemaligen Marathon-Oympia-Sieger, der es im hohen Alter nochmal wissen will.
  • "Lola auf der Erbse", Deutschland 2014: Lola, die auf dem Hausboot "Erbse" wohnt, lebt seit dem Verschwinden ihres Vaters in einer Fantasiewelt. Das lernt sie Rebin kennen...
  • "Hachiko", USA 2009: Die Geschichte eines Hundes, der seinem Herrchen weit über dessen Tod hinaus treu ist. Mit Richard Geere.
Horror / Thriller
  • "64 Minuten – Wettlauf gegen die Zeit", USA 2019: Die elfjährige Tochter des Polizeichefs wurde entführt, Polizist Frank Penny soll das Lösegeld übergeben. Die Übergabe verläuft jedoch nicht nach Plan...
  • "Crawl", USA 2019: Die junge Schwimmerin Haley rettet ihren verletzten Vater vor einem Hurrikan und einer Brut ausgehungerter Alligatoren.
  • "Der Mandant", USA 2001: Der Anwalt Mick agiert selbst in der Grauzone am Rande des Gesetzes. Das bekommt er es mit einem ausgesprochen gefährlichen Mandanten zu tun.
Quelle: Andrea Mader, Bernd Gaubitz
 
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