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Würzburg
Experte: Es gibt viele Mythen um die 68er-Bewegung
Wolfgang Kraushaar (70) ist Chronist der 68er-Bewegung. Im Interview  spricht er über deren gesellschaftlichen Einfluss und entlarvt gängige Klischees.
Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar: Kulturell war die 68er-Bewegung erfolgreich, ihre politischen Ziele hat sie verfehlt.
Foto: Angie Wolf | Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar: Kulturell war die 68er-Bewegung erfolgreich, ihre politischen Ziele hat sie verfehlt.
Aaron Niemeyer
 |  aktualisiert: 12.09.2022 15:01 Uhr

Frage: Die 68er werden bis heute mit einer Abkehr von den Werten der Elterngeneration und dem Anspruch, die Gesellschaft radikal zu verändern, assoziiert. Was davon spielt heute noch eine Rolle?

Wolfgang Kraushaar: Man muss unterscheiden zwischen politischen und soziokulturellen Effekten der 68er. Von ihren politischen Zielen haben diese kaum etwas erreicht. Kulturell waren sie hingegen in vielerlei Hinsicht maßgeblich. Den 68ern verdanken wir einen Zuwachs an individueller Freiheit, auch der Schutz sexueller Minderheiten ist mit ein Verdienst der 68er.

Prominente Protagonisten der 68er Bewegung wurden später RAF-Terroristen, andere gingen ins Dschungelcamp. Gibt es hier einen gemeinsamen Nenner?

Kraushaar: Nein, die 68er waren eine heterogene Bewegung. Es gab damals schon prominente Persönlichkeiten, die die Medien für ihre individuelle Karriere genutzt haben. So hatetwa Rainer Langhans, der später ins Dschungelcamp ging, versucht, nach der Kommune 1 eine Popkommune aufzubauen. Verallgemeinern kann man das allerdings nicht.

Sie arbeiten auch an einer Entmystifizierung der 68er. Was kann man sich darunter vorstellen?

Kraushaar: Es gibt viele Mythen um die 68er-Bewegung. Einer davon ist, dass diese gewaltfrei waren. Rudi Dutschke etwa wurde als Pazifist bezeichnet, sah sich selber jedoch nicht so, sondern sympathisierte mit dem bewaffneten Widerstand der Guerillas in der Dritten Welt. Ein weiterer Mythos ist, dass die 68er die heutige demokratische Bundesrepublik quasi neu gegründet hätten. Die Grundlage hierfür wurde jedoch schon Ende der 40er Jahre durch demokratische Institutionen geschaffen.

Ihre Publikationen scheinen einen Nerv zu treffen, für ihre Kritik wurde Ihnen mitunter sogar Mobbing vorgeworfen.

Kraushaar: Einigen, die von mir entmystifiziert werden, tut dies natürlich weh, man trifft da wunde Punkte. Weil ich selber Mitglied der damaligen Studentenbewegung war, fühle ich eine gewisse Verantwortung für historische Korrektheit. Meine Arbeit am Hamburger Institut für Sozialforschung ermöglicht mir da einen Zugang, der über persönliche Erinnerungen hinausgeht. Manchmal muss man sich von vermeintlichen Erinnerungen lösen.

Apropos Studentenbewegung: Heutigen Studierenden wird häufig vorgeworfen, unpolitisch zu sein. Stimmen Sie dem zu?

Kraushaar: Ich sehe hier vor allem die Gefahr eines Klischees. Klar ist jedoch, dass sich das Koordinatensystem der Studierenden durch den Bolognaprozess entscheidend geändert hat. Studieren ist heute etwas völlig anderes, als in den 70er Jahren, Politisierung ist da gar nicht so einfach.

 
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