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Würzburg/Ochsenfurt
Erzieher dringend gesucht
Sie sind auf dem Arbeitsmarkt begehrt wie nie zuvor - und werden in der öffentlichen Wahrnehmung doch oft noch unterschätzt: Erzieher. Vom Wandel eines Berufsbildes.
Lernen und spielen in der 'Sonnengruppe': Lea Stöckinger genießt die Abwechslung, die ihr Job mit sich bringt. Die angehende Erzieherin absolviert den praktischen Teil ihrer Ausbildung in der Vorschulgruppe des Würzburger Elisabethenheims.
Foto: Thomas Obermeier | Lernen und spielen in der "Sonnengruppe": Lea Stöckinger genießt die Abwechslung, die ihr Job mit sich bringt. Die angehende Erzieherin absolviert den praktischen Teil ihrer Ausbildung in der Vorschulgruppe des ...
Catharina Hettiger
 |  aktualisiert: 22.07.2020 23:05 Uhr

In Krippen und Kindergärten mangelt es an Fachkräften – und das, obwohl das Interesse am Beruf des Erziehers groß ist. „Seit 2006 hat sich die Zahl unserer Absolventen verdoppelt“, sagt Thomas Steigerwald, Leiter der Fachakademie für Sozialpädagogik St. Hildegard in Würzburg. Auch die Entwicklung der Einrichtungen, die eine Erzieherausbildung anbieten, spiegelt diesen Trend wider: Mittlerweile gibt es in Bayern 67 Fachakademien, vor einigen Jahren waren es noch 37.

Dass vielerorts pädagogisches Personal fehlt, hat laut Steigerwald unterschiedliche Ursachen. Da Eltern seit 2013 einen Rechtsanspruch auf eine Kindertagesbetreuung für ihr ein-oder zweijähriges Kind haben, entstehen immer mehr Krippen, die Personal benötigen. Gleichzeitig wird das Ganztagsangebot an Grundschulen ausgebaut – in den Horten sind ebenfalls Erzieher gesucht. Weiterer Bedarf ergibt sich durch die Arbeit mit geflüchteten Kindern sowie durch eine anstehende Verrentungswelle unter Erziehern. Auch qualitative Änderungen in der Betreuung der Kinder wie ein verbesserter Personalschlüssel führen dazu, dass die Nachfrage nach Fachkräften steigt.

Flexible Arbeitszeiten als Anreiz

Kein Wunder also, dass ausgebildete Erzieher auf dem Arbeitsmarkt begehrt sind. Vor allem in Ballungszentren wie München oder Nürnberg sei der Fachkräftemangel spürbar, „er ist aber auch in Würzburg angekommen“, so Steigerwald. Alle Absolventen seiner Einrichtung bekämen eine Stelle und könnten in der Regel zwischen verschiedenen Arbeitgebern wählen. „Bei uns sind gerade alle Stellen besetzt – wenn mir ein Erzieher wegbricht, kann ich aber nicht sicher sein, jemand Guten zu finden“, sagt Cornelia Eger, Bereichsleiterin Kindertagesstätten im Würzburger Elisabethenheim.

Nicole Arweiler, Leiterin des Maria-Theresia-Kindergartens in Ochsenfurt, hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Es ist nicht mehr so leicht, einen passenden Bewerber zu finden.“ Um Mitarbeiter für ihre Einrichtung zu gewinnen, bietet Arweiler weitgehend flexible Arbeitszeiten. „Wenn eine Kollegin zum Beispiel 50 Prozent arbeitet und ihr Kind immer um 13 Uhr in der Krippe abholen will, versuche ich, das in meiner Personalplanung zu berücksichtigen.“

Der Druck in der Gesellschaft steigt

Dass der Beruf des Erziehers vielseitig und fordernd ist, darin sind sich die Fachleute einig. Den ganzen Tag mit Kindern spielen? Dieses Klischee ist überholt, findet Cornelia Eger. Das Berufsbild habe sich gewandelt, neue pädagogische Ansätze wie etwa die Kleinkindpädagogik seien hinzugekommen, regelmäßige Entwicklungsberichte und Dokumentationen, außerdem die sogenannte Elternarbeit, eine Art Beziehungsmanagement mit den Eltern. „Eltern sind anspruchsvoller geworden“, so Eger. Oft seien beide Elternteile berufstätig, „da muss bei der Kinderbetreuung alles funktionieren“.

"Wer nicht mit Herzblut bei der Sache ist, macht die Erzieherausbildung nicht."
Nicole Arweiler, Leiterin Maria-Theresia-Kindergarten, Ochsenfurt

Durch den steigenden Druck, den das Schulsystem mit sich bringe, werde außerdem der Blick auf Kinder defizitärer: Wird mein Kind in der Schule bestehen, wenn es dieses und jenes im Kindergarten noch nicht kann? „In unserer Gesellschaft herrscht viel mehr Druck als früher – und wir in den Kitas fangen ihn am unteren Ende auf“, bestätigt Nicole Arweiler. Ihr Fazit: „Wer nicht mit Herzblut bei der Sache ist, macht die Erzieherausbildung nicht.“

Stressiger, aber abwechslungsreicher Alltag

Wie der Alltag in einem Kindergarten aussehen kann, erlebt gerade Lea Stöckinger. Sie hat im September ihre Ausbildung zur Erzieherin in St. Hildegard begonnen und arbeitet an zwei Tagen in der Woche als Praktikantin in der Vorschulgruppe des Elisabethenheims. Auch wenn der Alltag oft stressig sei, schätzt die 19-Jährige aus Estenfeld die Abwechslung: „Jeder Tag ist anders; ich bekomme von den Kindern viel zurück und sehe, wie sie sich entwickeln.“ Dass Lea Stöckinger während ihrer Ausbildung wenig verdient und auch als ausgebildete Erzieherin ein vergleichsweise geringes Gehalt erhalten wird, war für sie bei der Wahl ihrer Ausbildung nicht von Bedeutung.

"Wir leisten Bildungsarbeit, die für die Zukunft unserer Gesellschaft wichtig ist."
Cornelia Eger, Bereichsleitung Kindertagesstätten, Elisabethenheim Würzburg

Die inhaltliche Arbeit zählt – diese Beobachtung hat auch der Leiter von St. Hildegard gemacht: „Mit Menschen zwischen 0 und 27 Jahren, mit oder ohne Beeinträchtigung, zusammenarbeiten, ist für viele attraktiv“, so Steigerwald. Die Zufriedenheit im Erzieherberuf sei auch bei nicht optimalen Rahmenbedingungen relativ hoch. Die Aufgabenfelder für Erzieher sind breit gefächert und reichen von der Krippe über den Hort bis hin zum Jugendzentrum.

Sichere Zukunftsaussichten für Erzieher

Als ausgebildeter Erzieher ist man außerdem automatisch für jeden Studiengang qualifiziert – an Fachhochschule und Universität. „Die Ausbildung ist auf einem sehr hohen Niveau“, so Steigerwald. Sie wird im Rahmen des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR), einem Instrument zur Einordnung von Qualifikationen im deutschen Bildungssystem, mit Stufe sechs von acht beurteilt und ist damit einem Bachelorabschluss gleichgestellt. Gerade im Hinblick auf die steigende Digitalisierung der Berufswelt stehe der Erzieher außerdem für eine sichere Zukunft: „Roboter können in diesem Arbeitsfeld nur bedingt arbeiten“, ist Steigerwald überzeugt.

Dass Erzieher trotz ihrer in der Regel fünfjährigen Ausbildung vergleichsweise wenig verdienen, empfindet Cornelia Eger vom Elisabethenheim als „frustrierend“. Sie sieht darin eine geringe Wertschätzung der Arbeit der Erzieher durch die Politik. „Wir bauen keine Autos und produzieren nichts, was man sofort sieht“, sagt die 30-Jährige. „Dafür sind wir den ganzen Tag an den Kindern präsent und leisten Bildungsarbeit, die für die Zukunft unserer Gesellschaft wichtig ist.“ Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft, betont auch Steigerwald: „Das muss uns als Gesellschaft etwas wert sein.“

Erzieher-Ausbildung
Der klassische Weg, Erzieher zu werden, führt über eine Fachakademie. In Würzburg gibt es davon zwei: St. Hildegard und die Euro Akademie. Die Ausbildung dauert fünf Jahre und enthält zwei abgeschlossene Berufsausbildungen. Die ersten beiden Jahre ("Sozialpädagogisches Seminar", kurz: SPS) bestehen aus Praktika in sozialen Einrichtungen und Seminartagen an der Fachakademie. Danach findet die Prüfung zum staatlich anerkannten Kinderpfleger statt.
Auf das SPS folgt die eigentliche Erzieherausbildung, die aus zwei Jahren Vollzeit-Unterricht in der Fachakademie und  verschiedenen Blockpraktika besteht. Am Ende dieser zwei Jahre legt man die schriftliche Abschlussprüfung zum staatlich anerkannten Erzieher ab. Es folgt ein einjähriges Berufspraktikum, in dem man in einer sozialen Einrichtung arbeitet und gleichzeitig die Fachakademie besucht.
Seit September 2018 können sich Abiturienten an der Fachakademie St. Hildedgard in drei statt fünf Jahren zum Erzieher ausbilden lassen. Das Programm, bei dem sich Ausbildungszeiten in einer sozialen Einrichtung und schulische Zeiten an einer Fachakademie abwechseln, nennt sich "Optiprax" und ist ein Schulversuch, der vom Kultusministerium in Bayern ausgeht.
Ein weiterer Weg in den Erzieherberuf ist der Bachelor-Studiengang "Kindheitspädagogik". Unter anderem wird er seit 2004 an der Alice Salomon Hochschule in Berlin angeboten, die damit deutschlandweit eine der ersten Hochschulen war, an der man sich zum Kindheitspädagogen ausbilden lassen konnte.
 
Betreuungsplätze für Kleinkinder und auch Hortkinder sind derzeit in vielen Städten und Landkreisen knapp. In der Serie "(K)ein Platz für Kinder" beschäftigt sich die Lokalredaktion für Würzburg Stadt und Land mit dem Thema Kinderbetreuung, beleuchtet die aktuelle Situation, gibt Einblick in die Vergabe von Kindergartenplätzen  und informiert über Zukunftslösungen, die Stadt und Land im Visier haben.
 
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Kommentare
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  • A. S.
    Wenn man von dem Gehalt eine Familie "ernähren" könnte gäbe es auch mehr männliche Mitarbeiter in diesem Bereich. Also Arbeitgeber und Gewerkschaften endlich mal Butter bei die Fische geben und Gehälter im Bereich der Grundschullehrer vereinbaren!
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  • J. Z.
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