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Ochsenfurt
Erdbebenopfer konnten die Main-Klinik verlassen: Warum Mahir Bucak Freude und Trauer zugleich empfindet
Nachdem ihre Verletzungen eine Woche lang unversorgt blieben, fanden Sabiha und Yüsüf Bucak Hilfe in Ochsenfurt. Ihre Verwandten sammeln weitere Spenden.
Zwei Wochen lang wurden Sabiha und Yüsüf Bucak aus dem Erdbebengebiet in der Türkei in der Ochsenfurter Main-Klinik behandelt. Bei ihrem Abschied (von links): Enkel Mahir, Chefarzt Andreas Berglehner, Geschäftsführer Christian Schell, Yüsüf Bucak, seine Schwiegertochter Sabahat, Krankenpflegerin Kata Makles und Sabiha Bucak. 
Foto: Gerhard Meißner | Zwei Wochen lang wurden Sabiha und Yüsüf Bucak aus dem Erdbebengebiet in der Türkei in der Ochsenfurter Main-Klinik behandelt.
Gerhard Meißner
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:48 Uhr

Sabiha Bucak wirkt noch immer traumatisiert, spricht kaum. Schwer verletzt haben die 80-Jährige und ihr 83-jähriger Mann Yüsüf das Erdbeben in der Südosttürkei überlebt. Dem Glück und vielseitiger Unterstützung verdanken sie, dass sie in der Main-Klinik in Ochsenfurt behandelt werden konnten. Am Mittwoch durften sie die Klinik wieder verlassen. Der Not in ihrem Dorf Ekinci, einem Vorort von Antakya, konnte das Ehepaar entfliehen. Für ihre Verwandten geht der Kampf für die Opfer der schrecklichen Katastrophe weiter.

Als am frühen Morgen des 6. Februar die Erde zu beben begann, wollte er mit seiner Frau so schnell wie möglich das Haus verlassen, übersetzt Mahir Bucak den Bericht seines Großvaters. Auf dem Weg ins Freie stürzte neben ihnen eine Mauer ein und begrub die Beine der beiden unter sich. In dem Chaos, das danach in der Region ausbrach, war an schnelle medizinische Hilfe nicht zu denken. Zwei Tage harrten Sabiha und Yüsüf Bucak verletzt und ohne Arzt in ihrem Dorf aus, dann gelang es ihnen, an einen Transport in die Hafenstadt Iskenderun zu kommen.

Erneut zwei Tage mussten sie dort warten, bis ein Platz auf dem Fährschiff nach Mersin frei war. Inzwischen hatte ihr Sohn Mahmud von Ochsenfurt aus Flugtickets für seine Eltern gebucht. Seine Frau Sabahat wandte sich an den Landtagsabgeordneten Volkmar Halbleib. Der setzte sich mit dem Kommunalunternehmen des Landkreises und der Main-Klinik in Verbindung und bekam schließlich zugesichert, dass die beiden in Ochsenfurt behandelt werden können.

19.000 Verletzte warteten auf eine ärztliche Behandlung

Die Klinik in Mersin, 250 Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt, war zu diesem Zeitpunkt heillos überfordert. "Vor dem Krankenhaus haben 19.000 Verletzte auf eine Behandlung gewartet", sagt Sabahat Bucak. Nur einmal habe sich ein Arzt seine Verletzungen angesehen, erzählt ihr Schwiegervater. Behandelt werden konnten nur Verletzte, die es noch schlimmer getroffen hatte.  

Bei der Flucht aus ihrem Haus wurden Yüsüf und Sabiha Bucak von den Trümmern einer Mauer verletzt. 
Foto: Bucak | Bei der Flucht aus ihrem Haus wurden Yüsüf und Sabiha Bucak von den Trümmern einer Mauer verletzt. 

Christian Schell, der Geschäftsführer der Main-Klinik, musste nicht lange überlegen, bevor er seine Hilfe zusicherte. "Aber es war schwierig", erinnert er sich, "wir wussten am Anfang nicht genau, ob wir sie hier behandeln können." Auf Fotos, die Chefarzt Andreas Berglehner zunächst zu sehen bekam, waren lediglich der blutverkrusteten Wunden und die großen Blutergüsse zu sehen. "Versorgen können wir solche Verletzungen hier natürlich, aber wir wussten ja nicht, was in der Woche passiert, in der sie unversorgt waren", sagt der Unfallchirurg. "Das hätte alles bedeuten können, bis hin zu einer Amputation."

Die Operation ist gut verlaufen, die Wunden heilen

Zum Glück ging es gut aus. Wie sich herausstellte, hatten Sabiha und Yüsüf Bucak beide einen Unterschenkel gebrochen. Zwei Wochen nach der Operation ist Yüsüf Bucak schon wieder gut zu Fuß. Nur seine Frau braucht noch eine Gehhilfe. Die Wunden und Blutergüsse verheilen gut, sagt Chefarzt Berglehner. Sie können nun ambulant versorgt werden.

"Ich hätte Sie gerne zu mir nach Hause eingeladen, aber ich habe kein Zuhause mehr."
Yüsüf Bucak, Erdbebenopfer

Als er sich gemeinsam mit Geschäftsführer Christian Schell bei dem Ehepaar verabschieden will, beginnt Yüsüf Bucak erneut zu erzählen. Von den Leichensäcken, die er gesehen hat, vom Blut, vom Geschrei der Menschen und vom Geruch des Todes, der sich in seinem Dorf ausgebreitet hat. Zum Zeichen des Dankes tippt er sich immer wieder an die Stirn und legt die Hand aufs Herz. "Ich hätte Sie gerne zu mir nach Hause eingeladen", sagt er, "aber ich habe kein Zuhause mehr." Zwei Tage werden ihre Schwiegereltern noch in Ochsenfurt bleiben, erzählt Sabahat Bucak, dann werden sie erst einmal bei Verwandten in Heidelberg wohnen. 

"Wir sind so unendlich dankbar", sagt Enkel Mahir, "aber wir wissen, dass es eine Kehrseite gibt und viele Menschen nicht die Möglichkeit haben wie meine Großeltern – ein Auge lacht, ein Auge weint." Deshalb hat er schon am Tag nach dem Beben über die sozialen Medien eine Hilfsaktion gestartet, und ist überwältigt von der Hilfsbereitschaft, die ihn und seine Familie daraufhin erreicht hat. "Ich habe es in meinen WhatsApp-Status gestellt und einen Post auf Instagram gemacht, und dann ging's ab."

Erdbebenopfer konnten die Main-Klinik verlassen: Warum Mahir Bucak Freude und Trauer zugleich empfindet

Die Spendenbox, die er in seinem Friseursalon MX Friseur am Würzburger Hubland aufgestellt hat, füllte sich ebenso schnell wie jene im Feinkostgeschäft seiner Eltern in der Ochsenfurter Altstadt. Hinzu kamen Unmengen von Sachspenden - Babynahrung, Hygieneartikel, Kleidung -, die sich in den Geschäftsräumen stapelten. "Wir haben tagelang bis in die Nacht Kartons umgepackt, ich kam kaum noch zum Essen", erzählt Mahir. Auch psychisch seien die vergangenen Wochen sehr belastend gewesen. "Du hast immer den Druck im Nacken, weil du weißt, dass die Sachen dringend gebraucht werden."

700 große Kartons hat die Familie mittlerweile auf die Reise geschickt. Mit Transportern wurden sie unter anderem nach Nürnberg gebracht, von wo aus die türkisch-islamische Religionsanstalt DITIP Hilfstransporte organisiert. Gerne wäre Mahir auch selber mit dem Transporter in die Türkei gefahren, aber das habe die dortige Regierung wegen der chaotischen Zustände untersagt.

"Wir sind so unendlich dankbar, aber wir wissen, dass es eine Kehrseite gibt und viele Menschen nicht die Möglichkeit haben wie meine Großeltern."
Mahir Bucak

Bei den Geldspenden vertraut seine Mutter Sabahat auf Bekannte und Verwandte im Krisengebiet. 5000 Euro hat sie bereits in die Türkei überwiesen, weit über 1000 Euro warten noch auf dem Konto und weitere Spender haben sich angekündigt. Nachdem in Mersin die Banken und Supermärkte geöffnet sind, sei es kein Problem, vor Ort die benötigten Dinge zu kaufen. "Geld zu schicken ist das Sinnvollste", sagt Mahir deshalb, "und wir wissen, dass jeder Cent ankommt."

Denen, die bisher schon geholfen haben, könne er gar nicht genug danken, so Mahir weiter. Am meisten freue ihn aber, dass die Hilfsbereitschaft auch drei Wochen nach der Katastrophe noch nicht abgerissen sei. Noch immer sprechen ihn die Leute an und fragen, wie sie helfen können. "Es ist einfach nur stark, dass das Zwischenmenschliche hier noch stimmt."

 
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