"Nummer 52" schaut und muht ein wenig irritiert. Einen Fototermin haben sie hier auf der Weide oberhalb von Wiesen (Lkr. Aschaffenburg) nicht alle Tage. Aber Stefan Köhler überzeugt die Lieblingskuh seiner Frau, ein Fleckvieh mit Endnummer 52 auf der Ohrmarke, schnell. In aller Ruhe lassen auch die anderen fünf Dutzend Mutterkühe und Kälber auf der Weide das Shooting über sich ergehen. Ist schließlich für eine wichtige Sache: Am 9. Juni ist Europawahl. Und Landwirt Stefan Köhler tritt für die CSU an.
Als unterfränkischer Bauernpräsident ist der 56-Jährige schon länger ein einflussreicher Lobbyist, sein Schritt in die Parteipolitik kam gleichwohl überraschend: Steffen Vogel, der CSU-Bezirksvorsitzende, habe ihn im Sommer gefragt, ob er sich eine Kandidatur fürs Parlament in Straßburg und Brüssel vorstellen könne, erzählt Köhler auf seinem Bauernhof im Hochspessart. Er konnte.
Von der Verbands- zur Parteipolitik: Köhlers Zusage ist ein Glücksfall für die CSU
Für Vogel war die Zusage ein Glücksfall. Ein Landwirt, "der die Hände noch selbst im Dreck hat", fand auch Zustimmung bei Markus Söder. Der CSU-Chef sagte zu, sich für einen aussichtsreichen Listenplatz des weithin bekannten Bauernvertreters einzusetzen. Die Unterfranken-CSU könnte nach über zehn Jahren Abstinenz - damals wechselte Anja Weisgerber in den Bundestag - wieder im Europaparlament vertreten sein.
Glaubt man den aktuellen Umfragen, hat der 56-jährige Landwirt, der seit 2017 Mitglied bei der CSU ist, mit Listenplatz sechs gute Chancen, das Ziel auch zu erreichen.
Wie sich sein Alltag dann verändert, werde sich zeigen, sagt Köhler. Seine Frau und seine Eltern wären dann vermutlich stärker auf dem Hof in Wiesen eingespannt. Möglicherweise reduziere man die Zahl der derzeit rund 80 Mutterkühe. Beim Ackerbau, den Köhler seit mit vier weiteren Höfen betreibt, müssten die Kollegen mehr Arbeiten übernehmen: "Das lässt sich regeln."
So ganz ohne Anpacken daheim auf dem Hof kann sich der Bauernpräsident aber auch ein Leben als Europa-Politiker nicht vorstellen: "Kühe versorgen, Stall ausmisten, das erdet ungemein."
Köhler: "Nur jammern und maulen ist zu wenig"
Gleichwohl war der studierte Agraringenieur schon immer jemand, der über den Rand des eigenen Betriebs schaut. Köhler war als Wasserschutzgebiet-Berater der Stadtwerke Aschaffenburg und beim Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft in Darmstadt tätig. Er setzte sich für die Interessen der Kollegen ein, als die "Spessartwiesen" in den 90er Jahren als Naturschutzgebiet und später als FFH-Gebiet ausgewiesen wurden. Er war Mitglied im Naturschutzbeirat, im Jagdbeirat, im Landschaftspflegeverband. Sein Credo: "Lieber selbst die Prozesse anstoßen, nur jammern und maulen ist zu wenig."
Früh schon war sein Engagement auch im Bayerischen Bauernverband (BBV) gefragt: Seit 2002 Kreisobmann in Aschaffenburg, wurde Köhler 2007 zum BBV-Vizepräsidenten in Unterfranken gewählt, zehn Jahre später zum Präsidenten auf Bezirksebene. Bei der Wahl zum Bayerischen Bauernpräsidenten 2022 unterlag der Unterfranke erst in einer Stichwahl knapp dem heutigen Amtsinhaber Günther Felßner aus Mittelfranken.
Das Wort "Subventionen" hört Köhler nicht gern
Dass die bayerischen Bäuerinnen und Bauern von ihm Lobbyismus in Straßburg und Brüssel für ihren Berufsstand erwarten, weiß der Kandidat, der auch bei einer Wahl Präsident des unterfränkischen Bauernverbands bleiben möchte.
Auf kaum einem Gebiet hat die Europäische Union (EU) eine solche Gestaltungsmacht wie auf dem Agrarsektor. Über 58 Milliarden Euro verteilt Brüssel pro Jahr an "Ausgleichszahlungen" an die europäische Landwirtschaft. Davon gehen gut sechs Milliarden nach Deutschland. Das Wort "Subventionen" hört Köhler nicht gern. Es klinge so, als sei das Geld an keinerlei Bedingungen geknüpft. Dabei gehe es lediglich darum, die Nachteile auszugleichen, die Europas Landwirte unter anderem aufgrund von Sozial- und Umweltauflagen auf dem Weltmarkt haben.
Grundsätzlich wünscht sich Köhler eine Landwirtschaftspolitik mit "weniger Bürokratie, Verboten und Dirigismus". Viele Bäuerinnen und Bauern fühlten sich von der Politik seit langem missachtet. Die geplanten Kürzungen beim Agrardiesel, Auslöser für Bauernproteste im Januar, hätten das Fass zum Überlaufen gebracht.
Landwirte und Landwirtinnen seien - entgegen vieler Vorurteile - sehr wohl für mehr Klima- und Umweltschutz oder eine Verbesserung des Tierwohls zu haben, sagt Köhler. Dafür aber brauche es vor allem verbesserte Anreize, nicht mehr Auflagen: "Die Gesellschaft muss bereit sein, unsere Leistungen ordentlich zu bezahlen. Wir Bauern müssen von unserer Arbeit leben können."
CSU-Kandidat Köhler: "Ein Austritt aus der EU gefährdet den Wohlstand"
Im Wahlkampf ergreift der Bauernpräsident derweil auch bei anderen Themen das Wort. Vor allem die AfD hat der CSU-Kandidat als Gegner ausgemacht. Die Vorstellung der Rechtspopulisten, der Austritt aus der EU sei für Deutschland die bessere Alternative zum gemeinsamen Europa, gefährde den Wohlstand hierzulande, sagt Köhler. Klar sei auch, dass nur ein starkes Europa autoritären Großmächten wie China und Russland Paroli bieten könne: "Deshalb stehen wir in der CSU an der Seite der Ukraine."
Köhler diskutiert bei Podiumsdiskussionen, besucht Europa-Tage an Schulen, tritt bei CSU-Ortsverbänden von der Rhön bis in den Steigerwald auf. Die meisten Veranstaltungen seien gut besucht, hier und da gelte es aber auch, Skepsis zu überwinden. Dass nach der Wahl 2019 CSU-Mann Manfred Weber am Ende nicht EU-Kommissionspräsident wurde, sondern die Staatschefs Ursula von der Leyen (CDU) nominierten, habe bei vielen für Vorbehalte gesorgt.
Der Kandidat hat schon Zugverbindungen nach Straßburg und Brüssel gecheckt
Köhler indes lässt eine Vorfreude auf Brüssel und Straßburg erkennen. Die Zugverbindungen von Aschaffenburg in die beiden europäischen Hauptstädte hat er längst gecheckt - auch wenn er sagt: "Jetzt muss ich erst einmal gewählt werden."
Gut möglich aber, dass Kuh Nummer 52 und ihre Kolleginnen künftig noch häufiger für Fototermine zur Verfügung stehen müssen.