Das Gebäude existiert seit zwei Jahren nicht mehr, demnächst sollen hier Wohnhäuser entstehen. Doch die ehemalige "Chapel", das Gotteshaus der Amerikaner vor dem Westtor der Leighton Barracks, lebt in der Erinnerung der 85-jährigen Gerbrunnerin Erika Heim fort.
Die amerikanischen Gottesdienste, die sie über zwei Jahrzehnte lang musikalisch begleitete, sind ein wichtiger Teil ihres Lebens - und halfen ihr und ihren Angehörigen auch materiell. "Pro Gottesdienst bekam ich fünf Dollar", erinnert sie sich lächelnd, "das war damals eine Menge Geld. Damit habe ich meine ganze Familie ernährt."
Sonntags Katholiken, freitags Juden
Die "Chapel" wurde im Januar 1953 eingeweiht - in Anwesenheit des Würzburger Oberbürgermeisters Franz Stadelmayer, der das symbolische Band am Eingang durchschneiden durfte. Auch die Regierung von Unterfranken, der Landkreis Würzburg, die katholische und evangelische Kirche sowie die judische Kultusgemeinde hatten hochrangige Vertreter entsandt.
Die Besonderheit des neuen Gotteshauses: Verschiedenste Religionsgemeinschaften nutzten es gemeinsam, wenn auch nicht gleichzeitig. Alle Gottesdienste fanden im lichtdurchfluteten großen Kirchenraum mit seinen blauen Fenstern statt. Den Raum konnte man je nach Bedarf verändern, wofür vorne unter anderem ein Vorhang diente. Die Amerikaner waren, was die Koexistenz unterschiedlicher Religionen im selben Raum betraf, "sehr kulant", erinnert sich Erika Heim.
Auf einem Foto, auf dem sie die Stufen am Eingang der Chapel herunterläuft, sind auf einem Schild für den Sonntag Gottesdienste der Katholiken, Protestanten und Lutheraner sowie der Episkopalkirche angekündigt; letzte ist der amerikanische Ableger der britischen Anglikaner. Die Juden, so ist dem Schild zu entnehmen, hatten ihre religiöse Feier jeweils am Freitageband, also zum Beginn des Schabbat.
Musik war ihre Leidenschaft
Erika Heim wohnte zunächst im Würzburger Stadtteil Frauenland, wo sie auch ihre musikalische Karriere startete. Als der Organist der Kirche Unsere Liebe Frau (ULF) nicht aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrte, übernahm die junge Frau zusammen mit anderen den Organistendienst in dem Gotteshaus.
Erika Heims Leidenschaft war die Musik. Als Angestellte bei einem Arzt nahm sie nebenbei Gesangsunterricht und absolvierte in München die Opernprüfung ("Da musste man sechs Opern auswendig können"). Von 1958 bis 1960 sang sie im Chor des Stadttheaters, das bis zur Eröffnung des neuen Hauses 1966 provisorisch in der ehemaligen Turnhalle der Lehrerbildungsanstalt am Wittelsbacherplatz logierte.
Später arbeitete Erika Heim als Krankenschwester am König-Ludwig-Haus. 1971 zog sie nach Gerbrunn, wo sie heute noch lebt. Seit 1975 ist sie Organistin in der Pfarrkirche St. Nikolaus.
Sopranistin Waltraud Meier sang im Chor
Der von Erika Heim geleitete Chor in der Leighton Chapel war rein deutsch und bestand aus acht Männern und Frauen. Jede Stimme war zweimal besetzt. Oft hatten sich die Sängerinnen und Sänger bereits im ULF-Chor oder im Extrachor des Stadttheaters hervorgetan. Das Niveau war entsprechend hoch; gesungen wurden lateinische Messen, unter anderem von Mozart, Schubert und Haydn. Eine der Sängerinnen war später die 1956 in Wurzburg geborene Waltraud Meier, die danach als Mezzosopranistin und Wagner-Interpretin international Karriere machte.
In den Leighton Barracks leitete Erika Heim auch den aus Offizieren bestehenden "Holy Name Society Choir", der vor allem gesellschaftliche Ereignisse im Offiziersclub musikalisch begleitete.
An den Officers' Club erinnert, ebenso wie an die Chapel, auf dem Gelände der derzeit laufenden Landesgartenschau eine große Info-Stele. Auch der Club wurde abgerissen und durch das Hotel Melchior Park ersetzt.
Als die damals 22-jährige Erika Heim 1955 für 22 Jahre ihre Arbeit als Organistin an der großen Hammond-Orgel in der Leighton Chapel aufnahm gab es noch strenge Kontrollen. Diese wurden in den siebziger Jahren gelockert, um später, als das Areal auch mit einer hohen Schutzwand umgeben wurde, wieder verschärft zu werden.
Erika Heim war an manchen Sonntagen dreimal bei den Amerikanern aktiv: erst in der Leighton Chapel, dann im Gotteshaus der Army in der Emery-Kaserne und schließlich vielleicht noch bei einer Hochzeit. Abgeholt wurde sie zuhause mit einem Jeep, manchmal auch mit einem US-Schulbus. Dieser trug damals noch die dunkelbraune Tarnfarbe; das leuchtende Gelb kam erst später.
Die Uhr trägt sie noch heute
Die Atmosphäre in den amerikanischen Gottesdiensten war speziell, auch was das geforderte Orgelspiel betraf. "Die Amerikaner haben sich nicht am Gesang beteiligt, sie haben sich dauernd berieseln lassen", erinnert sich Erika Heim, die "meditatives Orgelspiel" beisteuern musste.
Bis heute aufbewahrt hat sie ein Erinnerungsstück, das ihr einer der katholischen US-Geistlichen schenkte: eine automatische Armbanduhr. "Die Amerikaner schenkten praktische Sachen", sagt sie, "die Deutschen hatten ja nichts." Eine Uhr, die man nicht aufzuziehen brachte, war in der Nachkriegszeit eine Sensation. Noch heute glänzt sie an Erika Heims Handgelenk.