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WÜRZBURG
Einblicke in die unbekannte Großmacht
Prof. Björn Alpermann (links) von der Uni Würzburg und Dr. Oliver Corff, Sinologe aus dem Beraterstab der Bundeskanzlerin, referierten auf Einladung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in Würzburg über China.
Foto: Benjamin Stahl | Prof. Björn Alpermann (links) von der Uni Würzburg und Dr. Oliver Corff, Sinologe aus dem Beraterstab der Bundeskanzlerin, referierten auf Einladung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in Würzburg über China.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:48 Uhr

Deutschland und Europa müssten ihr gutes Verhältnis zu den USA wahren und gleichzeitig Wladimir Putins Russland nicht verprellen, heißt es oft. Zudem müsse die westliche Staatenfamilie die Entwicklungen in der Türkei und ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Auge behalten. Und alle müssten dazu beitragen, die Konflikte in Syrien oder dem Nahen Osten zu befrieden. Geht es um die große Weltpolitik, spielen häufig die genannten Akteure die Hauptrolle. Einer rückt erst nach und nach stärker ins Bewusstsein: China.

„Lange Zeit ist China ein völlig unbekannter Kontinent gewesen“, sagt Dr. Oliver Corff. Über Jahrzehnte sei die Bedeutung dieser Region, in der ein Fünftel der Menschheit lebt, nicht zur Kenntnis genommen worden. Der Sinologe war oft in China. Unter anderem als Teil des Beraterstabs der Kanzlerin. Staatsgeheimnisse plauderte Corff an diesem Diskussionsabend, zu dem die Deutsche Atlantische Gesellschaft nach Würzburg ins Haus der Studentenverbindung K.D.St.V. Cheruscia eingeladen hatte, nicht aus. Doch vor allem, was er über die sicherheitspolitische Strategie Pekings zu sagen hatte, ließ aufhorchen.

China fürchtet das Einsickern von Terroristen – und die USA

Im Westen Chinas beschäftigen vor allem die Provinz Xinjiang und ihre muslimische Bevölkerung die chinesischen Sicherheitsbehörden. So werde ein Einsickern von Terroristen über die Grenze zu Afghanistan befürchtet.

Peking geht derzeit in Xinjiang mit aller Härte gegen die muslimischen Uiguren und Kasachen in der Provinz vor. Medienberichten zufolge wurde dort – von der Weltöffentlichkeit unbemerkt – ein gewaltiges Netz von Umerziehungslagern aufgebaut. Menschenrechtsorganisationen kritisieren zudem, dass die Menschen mit moderner Technik überwacht werden.

Unterdessen habe China „im Osten“ beschlossen, sein Militär zu modernisieren. So grundlegend, dass es „eines Tages den Vereinigten Staaten zumindest regional Paroli bieten“ könne. Dort, wo die USA Marinemanöver mit dem ehemaligen Kriegsgegner Vietnam durchführt und „als unausgesprochene Schutzmacht“ von Taiwan, Südkorea oder Japan – Staaten mit denen Peking in Konflikt steht – auftrete.

Wie Xi Jinping seine Macht festigt

„Die Streitkräfte sollen befähigt sein, einen begrenzten Krieg siegreich zu führen“, zitiert Corff aus chinesischen Verteidigungsweißbüchern. Die Volksbefreiungsarmee habe sich damit „vom Gedanken der puren Landesverteidigung verabschiedet“: Eine unmittelbare Bedrohung – wie früher durch die Sowjetunion – gebe es nicht mehr, so Corff. Auch vom Handelspartner USA drohe kein Angriff. Der neue Auftrage heiße Machtprojektion, also Konflikte vom Mutterland fernzuhalten.

„Vieles von dem, was China auf internationaler Ebene macht, ist die Fortsetzung seiner Innenpolitik“, meint Corff. Charakteristisch für die innenpolitische Entwicklung Chinas ist die schrittweise Konzentration der Macht auf einen Mann: Staatspräsident Xi Jinping. Das erklärte ein weiterer Chinaexperte an diesem Abend, der Würzburger Professor Björn Alpermann. Erst im März habe Xi Jinping, der auch Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist, die Begrenzung der Amtszeit des Staatspräsidenten aufgehoben. Diese Anhäufung der Macht nennt Alpermann einen „weichen Staatsstreich“.

Aufrichten, reich werden, mächtig werden

Man fühlt sich erinnert an die genannten Akteure, die die Schlagzeilen beherrschen. Die Putins, die Erdogans. Xi Jinping dürfte weniger Menschen ein Begriff sein. Dabei steht der 65-Jährige den bekannteren Autokraten dieser Welt in nichts nach. Xi Jinping habe die „innerparteiliche Konkurrenz“ ausgeschaltet und seinem Land eine „ideologische Neuausrichtung“ verordnet: 1949 habe Mao Zedong das Motto „China muss sich aufrichten“ ausgegeben, Ende der 1970er Jahre hieß es unter Deng Xiaoping „China muss reich werden“, Xi Jinping wolle nun auch „mächtig und stark“ werden, so Alpermann. Die offizielle Formulierung dieses Ziels habe 20 Schriftzeichen und bedeute übersetzt: „Eine sozialistische moderne Großmacht mit Reichtum und Stärke, Demokratie, Kultiviertheit, Harmonie und Schönheit.“

Doch hinter dem guten Klang, verbirgt sich eine unschöne Realität, in der die Zivilbevölkerung lebt. Der am weitesten reichende Ansatz ist laut Alpermann das Ziel, die Kontrolle über jeden einzelnen zu erlangen. In bereits 40 Städten habe die Regierung Datenbanken aufgebaut, in denen nach Wirtschaftgebaren, sozialem und politischem Verhalten sowie anderen Kriterien Punkte für die Bürger vergeben oder abgezogen würden. Wer hier schlecht abschneidet und „als nicht vertrauenswürdig eingestuft wird, dem wird unter anderem der Kauf von Flugtickets verwehrt“. Bisher sei das 111 Millionen mal vorgekommen, so der Wissenschaftler.

Ohne funktionierende EU wird es schwierig für Europa

Einig waren sich an diesem Abend alle: Trotz seiner rückwärtsgewandten und kritikwürdigen Politik, ist China zur Großmacht aufgestiegen. Nicht zuletzt wegen seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten. Peking werde „ein wichtigerer, aber unbequemerer Partner“, prognostiziert Alpermann.

Oliver Corff rechnet unterdessen damit, „dass wir uns in Zukunft mit drei Machtblöcken einrichten müssen“: mit Europa, das seine Rolle noch finden müsse; China, das seine Rolle schon gefunden habe; und den USA, die ihre Rolle „derzeit zu vergessen scheinen“. Wenn man in diesem globalen Gefüge als Europäer und Deutsche bestehen wolle, gehe das „nur über die Hebeleffekte einer funktionierenden Europäischen Union“ – die China im Blick hat. Eine Herausforderung. Die Entwicklungen rund um das Riesenreich „kann einen Chinaforscher 25 Stunden am Tag beschäftigen“, meint Corff.

 
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