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Würzburg
Ein Würzburger KZ-Häftling und die Leichen des 16. März 1945
Noch Wochen nach der Zerstörung Würzburgs mussten Leichen aus den Trümmern geborgen werden. An der Spitze des Totenbergungskommandos stand ein Verfolgter der Nazis.
Panorama des am 16. März 1945 fast völlig zerstörten Würzburg. Um die Entstehung von Seuchen zu verhindern, ordnete die amerikanische Militärregierung im Mai 1945 an, Leichen unter den Ruinen zu bergen.
Foto: Walter Röder | Panorama des am 16. März 1945 fast völlig zerstörten Würzburg. Um die Entstehung von Seuchen zu verhindern, ordnete die amerikanische Militärregierung im Mai 1945 an, Leichen unter den Ruinen zu bergen.
Roland Flade
 |  aktualisiert: 27.04.2023 10:30 Uhr

Ein "Hauch von verwesten Leichen" lag über der Stadt. Mit diesen Worten hat Michael Meisner, der spätere Landrat und Herausgeber der Main-Post, das Würzburg der ersten Friedenswochen nach dem Einmarsch der Amerikaner beschrieben. Daher erließ die Militärregierung vor 75 Jahren den Befehl, unter den Ruinen systematisch nach Toten zu suchen. Die Besatzer wollten unter allen Umständen die Entstehung von Seuchen verhindern.

Ende Mai wurde ein so genanntes Totenbergungskommando gebildet. Es bestand zunächst aus früher besonders aktiven Nationalsozialisten. Sie mussten sich den Vorarbeitern, ehemaligen KZ-Häftlingen, und als oberstem Chef dem bekannten Würzburger Kommunisten Konrad Försch unterordnen.

"Gradliniger Mann ohne Rache und Bosheit"

Meisner beschreibt Försch als "Idealisten, groß und kräftig gebaut", als "gradlinigen Mann, der weder Rache noch Bosheit kannte". Försch war damals 52 Jahre alt. Der gelernte Bäckermeister stammte aus einer Würzburger Arbeiterfamilie. Im Ersten Weltkrieg wurde er schwer verletzt; 1920 trat das ehemalige SPD-Mitglied der Kommunistischen Partei (KPD) bei. Mit seiner Frau Maria hatte Försch vier Kinder; die Familie wohnte in der Oberthürstraße.

Konrad Försch leitete vor 75 Jahren ein Arbeitskommando, das Leichen unter den Würzburger Trümmern ausgrub. Wir entnahmen das Foto dem 2015 erschienenen Buch 'Konrad Försch – ein vergessener Würzburger Kommunist' von Guido Hoyer.
Foto: Repro Roland Flade | Konrad Försch leitete vor 75 Jahren ein Arbeitskommando, das Leichen unter den Würzburger Trümmern ausgrub. Wir entnahmen das Foto dem 2015 erschienenen Buch "Konrad Försch – ein vergessener Würzburger Kommunist" von ...

Da er nach Kriegsende keine Anstellung in seinem erlernten Beruf fand, arbeitete er zeitweise als Reisender, war im Straßenbau eingesetzt und fand schließlich Beschäftigung als Packer in einem Würzburger Elektrogroßhandel.

Försch, inzwischen der bekannteste Würzburger Kommunist und Redner in vielen Versammlungen, trat im Dezember 1929 als Spitzenkandidat der KPD bei der Stadtratswahl an, erreichte jedoch den Einzug in das Gremium nicht.

Als die NSDAP 1933 die Macht übernahm, organisierte Försch den kommunistischen Widerstand in der Stadt, was zu mehreren Verhaftungen führte, zunächst aber zu keiner Verurteilung. Diese folgte dann 1936: mehrere Jahre Zuchthaus.

Am 5. Mai 1939 wurde Försch entlassen – allerdings nicht in die Freiheit, sondern in das KZ Dachau. Dort, so schreibt Guido Hoyer in seinem Buch "Konrad Försch – ein vergessener Würzburger Kommunist", "erwarteten ihn sofort die schwersten Misshandlungen. Er kam in den Strafblock, den sogenannten Bunker, wo die Gefangenen zum Beispiel durch Entzug von Essensrationen und Dunkelheit geschwächt wurden."

Verlegung ins Konzentrationslager Buchenwald

Im September 1939 wurde Försch in das KZ Buchenwald verlegt, wo er 1942 zu einer  "Sonderabteilung" gehörte, die laut Hoyer ein "Todeskommando" mit härtester Arbeit im Steinbruch, Essensentzug und Schlägen war.

Unterdessen verlor Försch drei Kinder: 1941 starb die Tochter Eleonore in Würzburg elfjährig an Hirnhautentzündung; der Sohn Richard fiel im Oktober desselben Jahres in der Ukraine, der Sohn Max 1943, ebenfalls im Osten.

Am 16. Mai 1945 kehrte Konrad Försch nach Würzburg zurück. "Wenn man damals durch die Stadt ging, roch es an allen Ecken und Enden nach Leichengift und ich habe mir innerlich gesagt, es muss unbedingt etwas geschehen", schrieb er rückblickend.

Gefahr durch bröckelnde Ruinen und Blindgänger

Ende Mai wurde Konrad Försch zum Leiter des neugeschaffenen Totenbergungskommandos bestimmt. Er und seine Männer bargen beispielsweise im Ferdinandeum 30, im Alten Gymnasium (heute Polizei Augustinerstraße) 15, im Möbelgeschäft Schmitt in derselben Straße 14 und in der Friedrich-Spee- und Randersackerer Straße etwa 50 Tote. Seuchenherde bestanden auch in der Plattnerstraße, in der aus dem Keller einer Metzgerei etwa 40 Zentner verwestes Fleisch herausgeholt wurden. Manche Ruinen, in deren verschüttete Keller man nur mühsam vordringen konnte, drohten einzustürzen und Blindgänger machten die Arbeit zusätzlich lebensgefährlich. Alles in allem wurden etwa 500 Tote geborgen.

Der Chef der Würzburger Polizei, Dr. Stammler, schrieb am 29. Mai 1945 die Bezirksbürgermeister an und bat sie, die Leichenbergung "nach Kräften zu unterstützen und insbesondere Herrn Försch die benötigten Arbeitskräfte zuzuführen". Das Dokument ist abgedruckt in der Stadtarchiv-Publikation "’Dreitausend Männer, Frauen und Kinder haben wir hier zur letzten Ruhe bestattet’.- Eine Dokumentation zu den Toten des Massengrabes vor dem Würzburger Hauptfriedhof und den Kriegstoten während der Endphase des Zweiten Weltkriegs" von Hans-Peter Baum. Der für die Sanderau und die Stadtmitte zuständige Bezirksbürgermeister hatte seinen Amtssitz damals im Ehehaltenhaus.
Foto: Repro Roland Flade | Der Chef der Würzburger Polizei, Dr. Stammler, schrieb am 29. Mai 1945 die Bezirksbürgermeister an und bat sie, die Leichenbergung "nach Kräften zu unterstützen und insbesondere Herrn Försch die benötigten ...

In der jüngst erschienenen Publikation des Stadtarchivs zur Endphase des Zweiten Weltkriegs in Würzburg und zum Massengrab am Hauptfriedhof ("Dreitausend Männer, Frauen und Kinder haben wir hier zur letzten Ruhe gerettet") schreibt Hans-Peter Baum über die bald nötige Professionalisierung der Leichenbergung: "Der ständige Wechsel beim Einsatz ehemaliger NSDAP-Parteigenossen erwies sich als wenig produktiv, so dass Konrad Försch selbst daran ging, die Pflichtarbeitskolonnen nach und nach aufzulösen." Zudem, so Baum, wollte Försch "nicht in die Rolle eines ‚Sklavenhalters’ kommen und auch den ehemaligen Parteigenossen nicht Gleiches mit Gleichem vergelten".

Nach Abschluss der Arbeit kümmerte sich Försch mit seinem Kommando um die Schutträumung, die Sammlung von noch verwertbaren Baustoffen und das Freischaufeln von Kanälen. Später stieg er professionell in das Geschäft der Trümmerräumung ein; die Firma Försch & Rieß bestand bis in die Mitte der 1950er Jahre.

Konrad Försch wurde Mitglied des Stadtbeirats

Konrad Försch gehörte auch dem im September 1945 geschaffenen Stadtbeirat an, einer Vorform des im Mai 1946 erstmals gewählten Stadtrats. Obwohl er im Mai 1946 eines der drei kommunistischen Stadtratsmandate gewann, nahm er dieses nicht an; inzwischen war er nämlich zum Verantwortlichen für Entnazifizierung in Unterfranken berufen worden. Als solcher nahm er an zahlreichen Spruchkammerverfahren im ganzen Regierungsbezirk teil. Dabei plädierte er dafür, kleinen Nazis, den sogenannten Mitläufern, zu verzeihen. Denn: "Wir dürfen nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Wir müssen besser sein."

Diese Tätigkeit endete im September 1946 und Försch widmete sich ganz seiner Firma sowie der politischen Arbeit für die KPD; bei der Landtagswahl im Dezember 1946  gelang jedoch der KPD der Einzug ins bayerische Parlament nicht. Bei der Stadtratswahl am 30. Mai 1948 erhielt die KPD 8,7 Prozent der Stimmen und drei Mandate; Försch, der auf Listenplatz vier kandidiert hatte, ging wieder leer aus.

Konrad Försch starb am 18. Juli 1964 bei einer Operation im Missionsärztlichen Krankenhaus an den Spätfolgen eines Herzmuskelschadens, den er sich während der vieljährigen KZ-Haft zugezogen hatte.

 
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  • R. K.
    Ein wirklich sehr inhaltsreicher Bericht mit vielen mir noch nicht bekannten Details! Das ist eine lesenswerter Artikel! Danke!
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  • H. M.
    Danke für den interessanten Artikel. Herr Försch hatte offensichtlich mehr Hirn als die gesamte damalige Nazi-Brut. Damals wie heute immer noch gilt: Zum besser sein benötigt man einfach etwas Hirn.
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