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Estenfeld
Ein Koffer zum Gedenken an die jüdischen NS-Opfer von Estenfeld
Am "DenkOrt Deportationen" in Würzburg steht schon seit drei Monaten ein Gepäckstück aus Estenfeld. Nun wurde auch das Pendant in der Gemeinde aufgestellt.
Dritter Bürgermeister Christian Albert (links) und Zweiter Bürgermeister Tobi Grimm enthüllten gemeinsam das Gepäckstück in Estenfeld.
Foto: Jochen Jörg | Dritter Bürgermeister Christian Albert (links) und Zweiter Bürgermeister Tobi Grimm enthüllten gemeinsam das Gepäckstück in Estenfeld.
Bearbeitet von Jochen Jörg
 |  aktualisiert: 28.09.2023 03:02 Uhr

Der Gedenkort für die Estenfelder Jüdinnen und Juden ist um ein Gepäckstück ergänzt worden. Enthüllt wurde es im Rahmen der Prozession zum Patroziniumsfest. Mit dem Koffer erinnert die Gemeinde an die letzten sechs Juden, die bis 1942 im Dorf gelebt haben. Dies waren Carry Birn und ihr Mann Josef, Josefs verwitweter Bruder Isaak Birn, Julie Zaklikowesky, die Nichte von Josef und Isaak Birn, sowie das Ehepaar Emma und Leo Löwenthal.

Menschenwürdig war ihr Dasein am Ende nicht mehr, denn die örtliche NSDAP hatte sie alle auf engstem Raum im Haus der Löwenthals zusammengepfercht. Estenfeld war für sie zum Gefängnis geworden, in dem sie sogar Hunger leiden mussten. Einkaufen durften sie nur noch an bestimmten Tagen und dann auch nur vorgeschriebene Produkte und Rationen.

Den rigorosen Umgang mit den Juden hielten viele Bürger für gerechtfertigt, von Mitleid zeigten sie keine Spur. Doch es gab auch Andersdenkende, denen die systematische Misshandlung zu weit ging: Sie sammelten Lebensmittel, die sie dann an den Nazis vorbei auf das Anwesen der Löwenthals schleusten.

Im Frühjahr 1942 wurden die letzten Estenfelder Juden deportiert

An einem Tag im Frühjahr 1942 hielten mehrere Fahrzeuge vor dem Grundstück. Es war das "Abholkommando", das die letzten Estenfelder Juden aus ihrem Heimatdorf wegbrachte – für immer. Mit dem, was ihnen geblieben war, mussten sie in Altersheime in Würzburg ziehen, bevor sie dann von dort in den Osten Europas deportiert wurden. Es war ein Weg ohne Wiederkehr.

Das Symbol für das kollektive Schicksal der Juden ist der Koffer, der nun auf dem Parkplatz vor dem Edeka-Markt in der Bäckerstraße steht. Nur wenige Meter entfernt von dort befand sich früher die Synagoge. Das Gepäckstück wurde entworfen von Stephan Reichert, Mitglied der Kunstfreunde und von Beruf Architekt. Es besteht aus einem Metallgerüst und sechs Steinplatten, jede Platte steht für eines der Estenfelder Opfer. Ein fast identischer Koffer wurde vor drei Monaten am "DenkOrt Deportationen" vor dem Würzburger Hauptbahnhof aufgestellt. Anders als auf dem Exemplar in Estenfeld wurden darauf aber nicht die Namen der Opfer eingraviert, sondern deren Deportationsnummern.

Seit 2007 steht auf dem Edeka-Parkplatz eine Stele, mit der an das Schicksal der Estenfelder Juden erinnert wird. Nun wurde der Gedenkort um ein Gepäckstück und eine Informationstafel ergänzt.
Foto: Jochen Jörg | Seit 2007 steht auf dem Edeka-Parkplatz eine Stele, mit der an das Schicksal der Estenfelder Juden erinnert wird. Nun wurde der Gedenkort um ein Gepäckstück und eine Informationstafel ergänzt.

Neu am Estenfelder Gedenkort ist auch eine Informationstafel. Sie enthält Wissenswertes über die Estenfelder Juden – und zusätzlich finden sich darauf die Namen aller jüdischen NS-Opfer mit Verbindungen nach Estenfeld sowie Fotos der meisten von ihnen. Gestaltet wurde die Tafel vom Zweiten Bürgermeister Tobi Grimm. Den Text und die Fotos hat Gemeinderat Jochen Jörg beigesteuert, der schon seit vielen Jahren die jüdische Geschichte von Estenfeld erforscht.

Schraud: Mit dem Gedenken verbindet sich auch eine Verpflichtung

Das Ensemble komplettiert eine Gedenkstele, die bereits im Jahr 2007 errichtet wurde. Auf einer Bronzetafel sind die Gesichter dreier Menschen zu sehen, die verängstigt durch das vergitterte Fenster eines Deportationszuges blicken. Darunter die Namen bekannter jüdischer Familien aus dem Dorf und ein zerbrochener, siebenarmiger Leuchter, eine Menora.

Vor der Enthüllung des Gepäckstücks hielt Bürgermeisterin Rosi Schraud eine Rede. Darin betonte sie, es sei wichtig, mit dem Gedenken auch gleichzeitig eine Verpflichtung zu verbinden: "Toleranz, Meinungsfreiheit, ein friedliches Miteinander der Religionen und die Achtung der Menschenrechte – das sind die Werte, auf die sich unsere modernen liberalen Demokratien gründen." Für sie gelte es einzutreten – und jeder Form von Antisemitismus die Stirn zu bieten.

 
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