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Würzburg
Ein Jahr nach dem Anschlag in Halle: So geht es Juden in Würzburg
Sie wollen sich ihren Alltag nicht durch Angst bestimmen lassen, aber machen sich keine Illusionen. Jüdinnen und Juden aus Mainfranken über die Gefahren durch Antisemitismus.
Das religiöse Leben der Juden in Würzburg gestaltet sich vielfältig: Mittagsgebet mit Rabbiner Jakov Ebert in der Synagoge.
Foto: Christoph Weiß | Das religiöse Leben der Juden in Würzburg gestaltet sich vielfältig: Mittagsgebet mit Rabbiner Jakov Ebert in der Synagoge.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:40 Uhr

Der Terroranschlag auf die Synagoge in Halle vor einem Jahr habe sie nicht überrascht, sagt Alexandra Golosovskaja. Vor 20 Jahren wäre das vielleicht so gewesen. Aber heute wisse sie: Antisemitismus gehört zum Alltag in Deutschland. "Leider kann so ein Verbrechen überall geschehen, auch hier  in Würzburg." Da dürfe man sich keine Illusionen machen, sagt Golosovskaja. Hat sie Angst um sich und ihre jüdische Familie? "Nein, nicht konkret."  Es sei eher ein "Unbehagen", das viele der rund 1000 Jüdinnen und Juden hier in der Region empfänden.

Über hundert Menschen, darunter  Würzburgs OB Christian Schuchardt, beteiligten sich am 10. Oktober 2019 an einer Lichterkette vor dem Zentrum Shalom Europa - einen Tag nach dem Anschlag in Halle.
Foto: Thomas Obermeier | Über hundert Menschen, darunter  Würzburgs OB Christian Schuchardt, beteiligten sich am 10. Oktober 2019 an einer Lichterkette vor dem Zentrum Shalom Europa - einen Tag nach dem Anschlag in Halle.

Alexandra Golosovskaja managt das Shalom Europa, das Zentrum der jüdischen Gemeinde Würzburg und Unterfranken. Der passende Ort, um sich unter den mainfränkischen Juden umzuhören.

Die große Mehrheit der Juden in Deutschland stammt aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, in den 1990-er und 2000-er Jahren sind sie als sogenannte Kontingentflüchtlinge zugewandert. So auch Vladlena Vakhovska. 2003 zog sie als junge alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn und den Eltern aus der Ukraine nach Würzburg.  Jüdisches Brauchtum und die Traditionen habe sie erst in Würzburg gelernt, sagt Vakhovska. Heute sei sie stolz, Jüdin zu sein - "auch wenn ich nicht streng religiös bin". Den Sabbat-Gottesdienst und die jüdischen Feste feiere sie mit der Gemeinde in der Synagoge. Sie esse kein Schweinefleisch, befolge die jüdischen Speisegesetze aber "nicht zu eng". Jeder Jude müsse sich so verhalten, heiße es in den Geboten, "wie er es selbst für richtig hält".  

Anfeindungen, sagt die ausgebildete Musiklehrerin, hätten sie und ihr Sohn in Würzburg nicht erlebt. Vladlena Vakhovska hatte sich bewusst für eine "kleine Stadt" in Deutschland entschieden. Sie sei "unendlich dankbar" für die Möglichkeiten, die die neue Heimat ihrer kleinen Familie eröffnet habe, betont sie. 24 Jahre alt ist ihr Sohn inzwischen, er besucht eine Techniker-Schule. Eine Kette mit dem Davidstern habe er auch in der Schule und bei der Arbeit getragen, erzählt seine Mutter. Manchmal auch die Kippa, die traditionelle jüdische Kopfbedeckung. Probleme habe es deshalb keine gegeben, sagt Vakhovska . Sie seien "wachsam und sensibel", wenn sie in der Öffentlichkeit unterwegs sind. Aber antisemitische Übergriffe kenne sie glücklicherweise nur aus den Medien.

"Wer einen Juden kennt, der hasst nicht."
Vladlena Vakhovska, Jüdin aus Würzburg

 "Menschen müssen einander zuhören, sich auf die anderen einlassen", sagt Vakhovska auf die Frage, was gegen Judenhass getan werden kann. "Wer einen Juden kennt, der hasst ihn nicht." Sie jedenfalls gehe mit ihrer Herkunft und ihrem Glauben offen um. Seit diesem Jahr arbeitet die freiberufliche Musiklehrerin auch in der Mittagsbetreuung der Würzburger David-Schuster-Realschule. Im Shalom Europa treffen sich Fünft- bis Siebtklässler vier Mal in der Woche nach dem Unterricht zum Mittagessen und zu Freizeitaktivitäten. Die Eltern wüssten, dass sie Jüdin ist, sagt die Pädagogin. Ab und an komme eine "freundliche, interessierte Nachfrage". Vorbehalte spüre sie nicht. Manchmal frage ein Jugendlicher, warum so häufig Polizei vor dem Gebäude Streife fährt. "Der bekommt dann eine ehrliche Antwort."

Polizei verstärkt Schutzmaßnahmen für jüdische Einrichtungen

Die Sicherheit der jüdischen Mitbürger und Einrichtungen habe "hohe Priorität", heißt es beim Polizeipräsidium Unterfranken. Besonders wenn Feiertage anstehen und viele Menschen in die Synagoge kommen, wie zuletzt kurz hintereinander beim Versöhnungsfest Jom Kippur, beim Neujahrsfest Rosch ha-Schana und beim Laubhüttenfest Sukkot. Da verstärke man die Schutzmaßnahmen. Zwar gebe es keine konkreten Hinweise auf eine Gefährdung in Würzburg, teilt die Polizei mit. Aber man habe man großes Verständnis für die "negative Wirkung" von Ereignissen wie in Halle auf das "subjektive Sicherheitsempfinden der jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen".

Über 300 antisemitische Straftaten verzeichnet die Kriminalstatistik 2019 für Bayern, 40 Prozent mehr als im Jahr zuvor. In Unterfranken waren es 32, häufig Fälle von Volksverhetzungen und Holocaust-Leugnungen im Internet.

Die Synagoge ist das Herzstück des jüdischen Gemeindezentrums Shalom Europa.
Foto: Christoph Weiß | Die Synagoge ist das Herzstück des jüdischen Gemeindezentrums Shalom Europa.

Besonders belastend in diesem Jahr sind für jüdische Gläubige Verschwörungstheorien rund um Corona. "Es gibt offenbar kein Problem auf dieser Welt, an dem wir  Juden nicht schuld sind." Mit bitterem Sarkasmus registriert  Alexandra Golosovskaja all den Unsinn, der regelmäßig auf Kosten von Juden im Netz verbreitet wird und immer wieder Menschen anstachelt, gewalttätig zu werden.

Was kann man dagegen tun? "Mit diesen Leuten reden, hilft nichts", sagt die 70-Jährige und klingt ziemlich resigniert. Vermutlich müsse man damit leben, dass 20 bis 25 Prozent der Menschen hierzulande judenfeindlich eingestellt sind. Dass es nicht die Mehrheit ist und dass die Repräsentanten des Staates, angeführt von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, immer wieder deutlich Flagge für die jüdische Gemeinschaft zeigen, dafür sei sie "sehr dankbar". Auch die Lichterkette vor dem Shalom Europa am Abend nach dem Attentat in Halle, als rund hundert Würzburger ihre Solidarität mit den Juden zeigten, sei ein gutes Signal gewesen, sagt Golosovskaja. Deshalb habe sie auch nie ernsthaft nachgedacht über ein Auswandern nach Israel, wie man es von vielen französischen Juden höre.

"Viele Täter nehmen den Staat und die Justiz nicht ernst."
Alexandra Golosovskaja, Jüdin in Würzburg

Doch gleichzeitig mahnt die 70-Jährige: "Gute Worte allein reichen nicht." Sie wünscht sich schärfere Gesetze und vor allem härtere Strafen, die wirklich abschrecken, wenn Juden auf Facebook und Twitter beleidigt, auf offener Straße geschlagen, wenn jüdische Restaurants beschmiert oder Davidstern-Fahnen öffentlich verbrannt werden. "Leider nehmen viele Täter den Staat und die Justiz doch gar nicht ernst", sagt Golosovskaja. Bei der Forderung nach mehr Polizeischutz für jüdische Einrichtungen ist sie sich mit Josef Schuster, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Würzburg und Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, einig.

Dass die  Vorsicht bisweilen auch zu Missverständnissen führt, zeigt das Erlebnis, das der israelische Handball-Profi Yonathan Dayan jüngst im Interview mit dieser Redaktion geschildert hat. Frisch angeheuert beim Zweitligisten DJK Rimparer Wölfe, klingelte der 20-jährige Jude am Tor zum Shalom Europa. Der Hausmeister reagierte vorsichtig, als ihn der Unbekannte interessiert nach den Angeboten der Gemeinde und den Gottesdienstzeiten in der Synagoge fragte - und informierte die Polizei.

Die Beamten verstärkten daraufhin die Sicherheitsmaßnahmen rund um das Gemeindezentrum, bis sie den Handballer ausfindig gemacht und befragt hatten. Da war der "Fall" schnell geklärt. Golosovskaja kommentiert die Geschichte trocken: "Lieber die Polizei einmal zu viel im Haus als einmal zu wenig." Yonathan Dayan sei selbstverständlich in der Gemeinde willkommen.  

Lilian und Alexander Geybuch sind Mitglieder der jüdischen Gemeinde Würzburg und Unterfranken.
Foto: Michael Czygan | Lilian und Alexander Geybuch sind Mitglieder der jüdischen Gemeinde Würzburg und Unterfranken.

Alexander Geybuch ist 1997 aus der Ukraine nach Deutschland umgesiedelt, 2003 dann nach Würzburg. Im Alltag, sagt der Hausmeister der Clara-Oppenheimer-Schule, habe er zum Glück keine Erfahrungen mit Judenhass gemacht. Doch habe er die Kippa früher häufiger auch außerhalb der Synagoge getragen als heute. "Ich will niemanden provozieren", sagt der 63-Jährige. Auch er betont, wie dankbar er für die Aufnahme in Deutschland ist. Angst vor Übergriffen habe er persönlich nicht. Angesichts vieler schlimmer Nachrichten mache er sich aber Gedanken, ob seine Tochter eine ebenso friedliche Zukunft hierzulande hat.  

"Ich will niemanden provozieren."
Alexander Geybuch, Jude in Würzburg

Welche Erfahrungen die 16-jährige Lilian mit Antisemitismus gemacht hat? In der Grundschule habe es ein paar Mitschüler gegeben, die hin und wieder "dummes Zeug" geredet hätten. Mehr aber nicht, viel Trara will sie darum nicht machen. Lilian besucht die Jugendgruppe im Shalom Europa und nimmt dort am Religionsunterricht teil. "Besonders religiös" sei sie nicht, sagt sie, sie mache aber auch kein Geheimnis aus ihrer Religion. Als die Zeit des Nationalsozialismus an ihrer Schule Thema im Unterricht war, habe sie berichtet, welche Gräuel ihre Großeltern und Urgroßeltern in den Konzentrationslagern erlitten und erlebt haben. Plötzlich sei Geschichte für ihre Schulkameraden sehr lebendig geworden.

Was eine Muslimin über das Judentum wissen wollte 

Und dann erzählt die 16-Jährige noch, wie kürzlich erst eine muslimische Mitschülerin auf sie zugekommen sei und für ein Referat im Ethikunterricht aus erster Hand möglichst viel über Geschichte, Tradition und Bräuche des Judentums wissen wollte. "Das hat mich sehr gefreut." Vater Alexander Geybuch ist gerührt: "Christen, Muslime, Juden: Lasst uns gemeinsam voneinander lernen und dem Hass mit Toleranz begegnen."  

 
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