Das Risiko lauerte hinter einer dichten Wand aus Dornen und Gestrüpp. Die kleineren Brocken, die gelegentlich auf den Weinbergsweg rollten, beunruhigten lange Zeit niemanden. Erst als Geologe Jürgen Kreutlein herausfand, dass ein regelrechter Felssturz auf die Bundesstraße 13 niedergehen könnte, wurde das ganze Ausmaß der Gefahr offenkundig. Jetzt werden die Felsen zwischen Sommerhausen und Eibelstadt fachmännisch gesichert - um Gefahren abzuwenden und ein schützenswertes Biotop zu erhalten.
Die Landschaft entlang des Maindreiecks hat eine wechselvolle Geschichte. Über Jahrmillionen gruben sich der Main und seine Vorläufer, die damals noch nach Süden zur Donau hin flossen, in das Kalksteinplateau ein, das einst aus den Überresten der tierischen Bewohner eines Urmeeres entstanden war. Auf den Ebenen und in den Senken sammelten sich Löss und Humus und wurden zu fruchtbarem Land. An den Hangschultern jedoch, wo sich kein Boden festsetzen konnte, tritt der Muschelkalk noch heute vielerorts offen zutage.
Überbleibsel des Natursteinabbaus
Über Jahrhunderte hinweg nutzten die Menschen diesen Umstand, um mit wenigen Hilfsmitteln den Stein zum Bau ihrer Häuser abzubauen. Waren Steine von schlechter Qualität, blieben sie am Rande liegen oder wurden genutzt, um Trockenmauern aufzuschichten und dem steilen Hang Parzellen für den Weinanbau abzugewinnen. So blieb es auch, als später Maschinen den Natursteinabbau erleichterten, wie auf der Höhe des Altenbergs zwischen Eibelstadt und Sommerhausen, wo noch bis vor wenigen Jahrzehnten ein Steinbruch in Betrieb war.
Doch die Steine und Felsen sind trotz ihrer Größe keineswegs unbeweglich. Eingedrungenes Regenwasser und Frost bringen sie zum zerspringen. Im Lauf der Zeit werden sie von Niederschlägen unterspült und folgen der Schwerkraft, erläutert Jürgen Kreutlein. Auch die Trockenmauern sind nicht für die Ewigkeit gebaut. Vom Frost zerrüttet, beginnen sie nach einigen Jahrzehnten einzustürzen.
Rodungen waren nötig
Im Winter 2017/18 war man an der unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt auf die Situation aufmerksam geworden. Seit der Flurbereinigung in den 1970er Jahren gehört ein großer Teil des 600 Meter langen Streifens zwischen den Weinbergen und der Hochfläche dem Landkreis Würzburg, der Rest der Stadt Eibelstadt. Im Mai beauftragte der Landkreis die Kitzinger Firma PeTerra mit der Planung und Überwachung von Sicherungsmaßnahmen. Erst jetzt im zeitigen Frühjahr konnte mit der Sicherung begonnen werden, weil zuvor ein Teil des dichten Heckenpanzers entfernt werden musste. Das ist nur im Winter erlaubt.
Dabei stieß Jürgen Kreutlein auf weitere, bisher nicht entdeckte Gefahren. Auch an dem gewachsenen Gestein, das an der Hangkante ansteht, hatten sich bereits sogenannte Gravitationsklüfte gebildet, erklärt Kreutlein. Die bis zu 30 Zentimeter breiten Spalten entstehen, wenn die zig Tonnen schweren Felsklötze vom Regen unterspült werden und langsam beginnen, sich zu Tal zu bewegen
65 Prozent Gefälle
Die Weinberge haben in diesem Bereich ein Gefälle von 33 Grad oder 65 Prozent. Käme einer der Felsbrocken in Bewegung, dann gäbe es dort bis zur Bundesstraße kein Halten mehr, sagt der Geologe. Doch auch die kleineren Steine könnten sich auf dem 200 Meter langen Abhang in ein tödliches Geschoss verwandeln.
"Bei den Sofortmaßnahmen ging es darum, die größten Gefahren zu eliminieren", erklärt Kreutlein. Rund 80 Tonnen absturzgefährdete Blöcke wurden geräumt, oder vor Ort verankert. Knapp 100 Bohrlöcher wurden vier Meter tief in den Untergrund getrieben, mit Felsankern aus hochfestem Stahl versehen und mit Beton verpresst. Eine Fachfirma aus Thüringen übernahm die Arbeiten.
Der Frost zerrüttete die Trockenmauern
Schwieriger ist es, die zerrütteten Trockenmauern vor dem weiteren Verfall zu schützen. Erst im vergangenen Herbst, als die Sanierung bereits geplant war, ist ein großes Stück Mauer eingestürzt. Um die Reste zu sichern, wird ein Netzgeflecht aus hochfestem, korriosionsgeschütztem Stahldraht über die Mauern gespannt und ebenfalls im Untergrund verankert. Das Material dazu stammt aus der Schweiz, wo man viel Erfahrung mit Felssicherung hat, erklärt Nils Oehler, Ingenieur bei PeTerra.
Inzwischen sind die Sofortmaßnahmen weitgehend abgeschlossen. Die Kosten dafür beziffert Landrat Eberhard Nuß auf 214 000 Euro. Entsprechend der betroffenen Flächen teilen sich der Landkreis und die Stadt Eibelstadt den Betrag. Die Weinbergswege, die wochenlang gesperrt bleiben mussten, dürfen wieder befahren werden. Für den Geologen Jürgen Kreutlein geht es nun um die weiteren Sanierungsschritte. Zunächst wird das gesamte Gelände dazu mit einer ferngesteuerten Drohne vermessen und fotografiert.
Für Jahrzehnte gesichert
Im kommenden Jahr sollen die weniger brisanten Gefahren in dem 600 Meter langen Hangstreifen beseitigt werden. Die Arbeiten werden sich dann vermutlich mehrere Monate hinziehen und weitere Kosten von schätzungsweise 500 000 Euro verursachen. Der Eibelstadter Altenberg wird dann für einige Jahrzehnte sicher vor Felsstürzen sein, ist Jürgen Kreutlein überzeugt. Dass an anderen Hängen des Maintals ähnliche Risiken lauern, vermag der Geologe zu vermuten. Eine vorsorgliche Kartierung von Gefahrstellen gibt es nicht. Die Wunden, die die Arbeiten an der Natur des Altenbergs hinterlassen haben, werden sich in kurzer Zeit wieder schließen, sagt Helmut Kirch von der Naturschutzbehörde im Landratsamt.