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WÜRZBURG
Die dreiste Masche mit den falschen Polizisten
Der Enkel-Trick scheint out, immer mehr Betrüger geben sich als Polizisten aus und bringen Rentner um ihr Geld - wie erst jetzt wieder in Würzburg. In einem anderen Fall stehen aktuell in Augsburg drei Verdächtige vor Gericht.
Seniorin mit Telefon       -  Gefährliche Masche: Falsche Polizisten am Telefon haben Senioren schon um ihre gesamten Ersparnisse gebracht.
Foto: Bodo Marks/dpa-tmn | Gefährliche Masche: Falsche Polizisten am Telefon haben Senioren schon um ihre gesamten Ersparnisse gebracht.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 30.10.2020 12:07 Uhr

Die sogenannte Callcenter-Mafia hat Cordula G. (78) um ihr Vermögen gebracht – und um das Vertrauen in den Rechtsstaat: „Wem soll man denn noch trauen, wenn man nicht einmal der Polizei mehr trauen kann?“, klagt die Frau aus dem Raum Würzburg.

Stundenlang in Angst und Schrecken

Auf die seit Jahren üblichen Bettel-Anrufe angeblicher Enkel wäre sie nicht hereingefallen, sagt sie. Aber mit falschen Polizisten hatte sie nicht gerechnet – die sie stundenlang in Angst und Schrecken versetzten, um an ihr Geld zu kommen.

Das ist das Perfide an dieser neuen Variante des Callcenter-Betruges: Die Täter in den Telefonzentralen (beim Enkeltrick auffällig oft in Polen, nun verstärkt aus der Türkei) täuschen ihren Opfern ein Szenario vor, das Angst macht: Die Polizei habe von einem bevorstehenden Überfall erfahren, deshalb sei das Geld des Angerufenen zuhause und auf der Bank nicht mehr sicher. Aber ein angeblicher Polizist komme vorbei und nehme es in Verwahrung, erklären die gut geschulten Anrufer – so überzeugend, dass viele Senioren in Panik geraten und das Geld aushändigen.

Der jüngste Fall ereignete sich erst am Dienstagabend in Würzburg. Als bei einer Rentnerin das Telefon klingelte, sah sie auf dem Display die Nummer 110 – und dachte, die Polizei sei in der Leitung. In Wahrheit waren es miese Gauner, die sie um 60 000 Euro brachten.

Der Anrufer gab sich als Polizist aus. Er „machte ihr weiß, in ihrer Nachbarschaft wären zwei Einbrecher festgenommen worden“, so Polizeisprecherin Katrin Thamm. Er erzählte, mehrere Täter seien allerdings noch auf der Flucht und das Geld der Seniorin somit in Gefahr. Er wolle es in Sicherheit bringen. Etwa zwei Stunden später übergab die ältere Dame schließlich ihre daheim gelagerten Ersparnisse an einen Betrüger.

Keine heiße Spur im Würzburger Fall

Identisch war die Masche wenige Tage zuvor einer Frau in Würzburg. 95 000 Euro hob sie von der Bank ab und übergab sie einer Unbekannten. In weiteren 15 Fällen hatten die Betrüger zuvor vergeblich im Raum Kitzingen ihr Glück versucht, wie zuvor in Bad Neustadt und Schweinfurt. Die Polizei sucht Zeugen. Aber „bisher haben wir keine brauchbaren Hinweise bekommen, die uns zu den Tätern führen würden“, sagt Polizeisprecher Björn Schmitt auf Nachfrage.

Ermittlung gegen Hintermänner

Besorgt registriert die echte Polizei, dass die Zahl der falschen Polizisten seit zwei Jahren rasant steigt. 2016 waren es noch 160 Fälle zwischen Rhön, Spessart und Steigerwald, 2017 schon etwa dreimal so viele in Unterfranken. „Der Trend setzt sich im laufenden Jahr leider fort“, sagt Polizeisprecher Michael Zimmer. Dagegen stagniert die Zahl der Enkeltrick-Betrugsfälle – auch deshalb, weil die Aufklärungsarbeit bei Rentnern sowie der Fahndungsdruck inzwischen Früchte tragen.

Während früher allenfalls die „Läufer“ (Geldboten) gefasst wurden, geht es – gerade aufgrund der Zusammenarbeit bayerischer und polnischer Ermittler – inzwischen auch den „Keilern“, den Telefonisten in den Call-Centern in Polen an den Kragen. Ebenso den Hintermännern, die mit dem Geld deutscher Rentner nach Polizeiangaben mehr als eine Milliarde Euro verdient haben. Nach zehnjähriger Fahndung steht derzeit in Posen sogar Arkadiusz Lakatosz vor Gericht, der Chef eines mafiös organisierten Familienclans mit „Filialen“ in halb Europa. Er gilt als einer der Erfinder des Enkeltricks.

Drei Verdächtige aus dem Ruhrgebiet

Doch andere Organisationen haben mit der „Falscher Polizist“-Masche rasch die Lücke gefüllt. Bisher bekannte Fälle liefen nach Erkenntnis der Münchner Polizei über ein Callcenter in der Türkei. Es sei nicht einfach, den Tätern das Handwerk zu legen; der Rechtshilfeverkehr mit der Türkei sei schon früher nicht immer leicht gewesen, klagt einer der Ermittler.

Einblicke über diese Organisation erhoffen sich Polizei und Justiz von einem aktuellen Prozess gegen drei mutmaßliche Geldabholer, der gerade in Augsburg läuft. Die drei Männer kommen aus dem Ruhrgebiet. Sie tragen Nachnamen, die man dort kennt, vor allem bei der Polizei. Es sind die Namen zweier libanesischer Clans, die regelmäßig durch Straftaten auffallen. Ermittler sprechen von kriminellen Netzwerken, denen mehrere tausend Personen angehören sollen.

Täter übten Psychoterror aus

In Augsburg sind die drei Männer vor dem Amtsgericht angeklagt. Anna F., 81, ist die wichtigste Zeugin. Sie war tagelang dem Psychoterror der Kriminellen ausgesetzt. Sie verlor rund 75 000 Euro, ein großer Teil ihres Ersparten. Aber sie half der Polizei auch, die drei mutmaßlichen Täter zu fassen.

Bei Anna F. klingelte im August vorigen Jahres das Telefon. Ein „Herr Neumann“ meldete sich. Der angebliche Kriminalbeamte sagte, er ermittle gegen eine Bande, die Senioren betrüge. Die Ermittlungen seien geheim, sie dürfe mit niemandem darüber reden. Er erzählte, dass man eine Tasche mit Einbruchswerkzeug und einer Pistole gefunden habe – und einen Zettel mit ihrer Adresse. Der angebliche Beamte will wissen, ob sie Wertsachen oder Geld besitzt.

Stundenlang mit Anrufen bombardiert

Die Kriminellen ließen der Rentnerin von da an keine Ruhe mehr. Sie hielten sie teils stundenlang am Telefon, brachten sie dazu, Geld abzuheben. Beim ersten Mal sind es rund 38 000 Euro. „Herr Neumann“ redete Anna F. ein, dass auch die Bank mit den Kriminellen zusammenarbeite. So verhinderte er, dass sie bei der Bank etwas erzählt.

Geld aus dem Fenster geworfen

An einem Abend forderte er sie auf, das Geld in eine Tüte zu packen und aus dem Fenster zu werfen. Er setzte sie unter Stress, sagte immer wieder „schnell, schnell“. Anna F. befolgte wie ferngesteuert seine Anweisung. In den Tagen darauf gelang es den Kriminellen noch einmal, die alleinstehende Anna F. so weit zu bringen. Als ein echter Polizist in Uniform später in das Haus kam und die Bewohner befragte, ob sie seltsame Anrufe erhalten oder Geld abgegeben hätten, erzählte Anna F. dem Beamten nichts. Sie glaubte immer noch, dass sie die streng geheimen Ermittlungen sonst gefährden würde. Erst als ein Brief von der Augsburger Kripo bei ihr ankam, begann sie zu zweifeln. Sie nutzte einen Termin bei einer Ärztin, um von dort aus die Polizei anzurufen. Sie war so verunsichert, dass sie sich das von zu Hause aus nicht traute.

Falle gestellt

Die echten Ermittler stellen zusammen mit Anna F. den Kriminellen eine Falle. Die Seniorin geht zum Schein auf die Forderung nach weiterem Geld ein. Sie behauptet, erneut 30 000 Euro abgehoben zu haben. Die Polizei hört dann mit, als der falsche Polizist am Telefon ankündigt, dass man das Geld abholen wird. Die Anrufe kommen von einem Anschluss in der Türkei.

Der Anrufer hält Anna F. sieben Stunden lang fast permanent am Telefon. Zwischendurch übernimmt auch eine Frau, die sich als Psychologin ausgibt. Anna F. sagt irgendwann, sie halte es nicht mehr aus. Sie legt auf. Doch sie wird sofort wieder angerufen. Es zieht sich bis nach Mitternacht hin. Zu einer Geldübergabe kommt es dann aber nicht.

Drei Verdächtige

Warum, bleibt unklar. Drei Männer geraten an jenem Abend ins Visier der Polizei. Sie sind mit einem Mietwagen aus dem Ruhrgebiet nach Bayern gefahren. Sie werden observiert, kurz darauf in Augsburg festgenommen. Ein 36-Jähriger kommt in Untersuchungshaft. Seine beiden Neffen kommen nach mehreren Wochen Haft wieder frei.

Schulden eines Geschäftspartners

Alle drei bestreiten, etwas von dem Betrug gewusst zu haben. Der 36-Jährige sagt vor Gericht aus, er habe lediglich einem Freund, der in der türkischen Stadt Izmir lebt, einen Gefallen getan zu haben. Der Freund habe ihn gebeten, Geld abzuholen. Er habe gesagt, es gehe um Schulden eines Geschäftspartners. Als sie bei Anna F. angekommen seien, sei ihm aber alles seltsam vorgekommen, sagt der 36-Jährige. Er habe dann entschieden, wieder heimzufahren. Auch seine Neffen bestreiten, etwas von einem Betrug geahnt zu haben. Sie seien nur mitgefahren.

Die Staatsanwaltschaft glaubt den Angeklagten bisher nicht. Zu welchem Urteil das Gericht kommt, wird sich erst im April zeigen. Als Anna F. mit ihrer Aussage im Gerichtssaal fertig ist, hilft eine Kripobeamter ihr auf und reicht ihr die Krücken. Sie lächelt ihn an und sagt: „Es gibt zum Glück auch nette Polizisten.“

Das rät die echte Polizei

Betrüger geben sich am Telefon immer häufiger als Polizisten oder Behördenmitarbeiter aus. Die Polizei Unterfranken rät:

• Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen, auch nicht durch angeblich dringende Ermittlungen zu einem Einbruch in der Nähe!

• Die echte Polizei fordert niemals Bargeld, Überweisungen oder Wertgegenstände von Ihnen, um Ermittlungen durchzuführen!

• Rufen Sie nie über die am Telefon angezeigte Nummer zurück, lassen Sie sich nie verbinden, sondern legen Sie auf und wählen die 110!

• Gesundes Misstrauen ist keine Unhöflichkeit!

 
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