
Es muss eine dieser Begegnungen gewesen sein, die man nicht so schnell vergisst. Jedenfalls hört es sich so an, wenn Isabel Gräf erzählt, wie Nuri Sağlam an ihrer Schule auftauchte und fragte, ob sie nicht Interesse an Kunstprojekten für ihre Schülerinnen und Schüler habe. Die Künstlerinnen und Künstler dafür könne er beisteuern.
Die Sozialpädagogin Isabel Gräf betreute damals an der Würzburger Mönchbergschule ein Projekt des Europäischen Sozialfonds (ESF). Nuri Sağlam wiederum war einer der Gründer des Vereins Würzburg KUlturS. Die drei großgeschriebenen Buchstaben im Vereinsnamen stehen für Kunst, Kultur und Soziales. Ziel des 2017 von Sağlam, Figen Lindner und Cüneyt Sezer gegründeten Vereins ist es laut Homepage, "mit verschiedenen Projekten und kulturellen Veranstaltungen eine vielfältige und inklusive Gesellschaft zu fördern und gegen Rassismus sowie Diskriminierung zu kämpfen".
Hier kommen Idealismus und Professionalität zusammen
Was am Anfang vor allem idealistisch klang, hat sich zu einem Großprojekt entwickelt, das für seine vielfältigen Aktivitäten regelmäßig ausgezeichnet wird. So gab es 2022 die Würzburger Kulturmedaille. Das Teilprojekt Würzburger Woche gegen Rassismus erhielt den Würzburger Friedenspreis 2024. Und die Inklusive Akademie, das inzwischen umfangreichste Kernstück von KUlturS, erhält am 5. November einen Inklusionspreis des Bezirks Unterfranken.

Wer verstehen will, wie KUlturS und Inklusive Akademie (IA) funktionieren, muss die Menschen dahinter treffen: Isabel Gräf, heute Projektleiterin der IA für Würzburg, Nuri Sağlam, Vorsitzender des Vereins, oder Simon Ort, IA-Projektleiter für Schweinfurt. Beim Besuch im vereinseigenen Atelier auf dem Bürgerbräu-Gelände wir schnell klar: Hier vereinen sich Idealismus und eine ebenso zugewandte wie effektive Professionalität.
"Es ist unglaublich, was alles zustande kommt - so viel Schönheit. Und es wird immer interessanter", sagt Sağlam. Über 30 Künstlerinnen und Künstler - unter ihnen etliche bekannte Namen - arbeiten regelmäßig mit der Akademie zusammen, geben außerschulische Kurse und Workshops in Musik, Tanz, Theater, Film, Foto, Bildhauerei, Malerei und Objektkunst. Zielgruppe sind junge Menschen an Mittel- und Förderschulen mit Beeinträchtigungen, sozialer Benachteiligung, Fluchterfahrung oder Migrationshintergrund.
Allem zugrunde liegt die Erfahrung, dass die eigene Kreativität Menschen zutiefst prägt
Möglich wird das Programm durch substanzielle finanzielle Förderung: Das Schreiben von Anträgen und das Einwerben von Geldern gehört deshalb zu den Hauptaufgaben der Projektleiter. Der Erfolg bemisst sich in sechsstelligen Zahlen: Mit 218.000 Euro Förderung hat die Aktion Mensch die Arbeit der Inklusiven Akademie der vergangenen drei Jahre ermöglicht. Mit Eigenmitteln des Vereins, öffentlichen Geldgebern, darunter die Stadt Würzburg mit dem Löwenanteil, wurde der Betrag auf die benötigten 250.000 Euro aufgestockt.
Weitere 140.000 Euro gibt die Aktion Mensch für eine zweijährige Verlängerung des Projekts bis August 2026 - in diesem Förderzeitraum benötigt die Inklusive Akademie jährlich 17.500 Euro Aufstockung durch öffentliche Geldgeber und Sponsoren. "Die Projektleitung hofft auf weitere Unterstützung durch die Stadt Würzburg", sagt Isabel Gräf, "denn die Förderung über die Aktion Mensch (etwa 80 Prozent) kann nur erfolgen, wenn der fehlende Betrag (etwa 20 Prozent) garantiert wird."

Allem zugrunde liegt die Erfahrung, dass die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur, vor allem das Erleben eigener Kreativität Menschen zutiefst prägt. Das funktioniert, weil die Kurse nicht nur aus ein, zwei Terminen bestehen, sondern das ganze Jahr über laufen. Und weil sie klare Ziele haben: zum Beispiel die Aufführung eines Theaterstücks mit Videoproduktion oder die Neugestaltung des Eingangsbereichs einer Schule.
Für erkennbar Begabte gibt es Intensivkurse zur Talentförderung
Für erkennbar Begabte gibt es Intensivkurse zur Talentförderung. "Junge Menschen, die bisher nicht so viel Berührung mit Kunst hatten, können daraus vielleicht sogar eine berufliche Option machen", sagt Nuri Sağlam. Was er meint, zeigt der Katalog der Talentförderkurse von 2021 bis 2024. Darin sind erstaunlich reife Arbeiten wiedergegeben. Und das vielsagende Statement einer Teilnehmerin: "Zeichnen hilft mir, in einen Dialog mit mir selbst zu finden und bringt etwas wirklich Gutes in mein Leben."

Die Schulen nehmen die Angebote mit großer Offenheit an, berichten Isabel Gräf und Simon Ort. Eine Win-win-Situation: Die Künstlerinnen und Künstler, die von außen kommen, finden ohne Notenzwang und Prüfungsdruck leichter Zugang zu den jungen Menschen. Und die Lehrkräfte berichten anschließend, dass die Kinder und Jugendlichen mit ganz neuem Blick auf die Schule zurückkommen, dass sie offener und selbstbewusster sind.
Im Atelier hängen - neben großen, farbstarken Arbeiten - ein wenig im Hintergrund eindrucksvolle Porträts in Schwarzweiß: Es sind Bildnisse von Sportstars wie Bayern-München-Spieler Kingsley Coman. Gemalt haben sie junge geflüchtete Männer, Teilnehmer eines Intensivkurses in der Schweinfurter Kunsthalle. "Sie sind dafür jedes Mal den ganzen Weg aus dem Ankerzentrum für Asylbewerber bei Geldersheim in die Stadt gelaufen", erzählt Simon Ort.