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WÜRZBURG/ARNSTEIN
Der Fall Arnstein zeigt: Unrecht hat viele Nuancen
Journalisten warten vor dem Saal des Landgerichts
Foto: Gisela Schmidt | Journalisten warten vor dem Saal des Landgerichts
Gisela Schmidt
Gisela Schmidt
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:32 Uhr

Es ist furchtbar, was am 28. Januar in einer Gartenlaube in Arnstein passiert ist. Sechs junge Menschen sind ums Leben gekommen. Gestorben an einer Vergiftung mit Kohlenmonoxid. Alle waren erst 18 und 19 Jahre alt.

Es ist auch furchtbar, dass unter den Getöteten zwei Kinder jenes Mannes sind, den die Erste Strafkammer des Landgerichts Würzburg jetzt wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt hat.

Das Einzige, was in diesem Fall nicht furchtbar ist, ist die Strafe für den 52-Jährigen. Sie ist, was eine Strafe im deutschen Recht sein soll: der Tat und der Schuld des Angeklagten angemessen. Strafrecht ist Reaktion auf Unrecht. Und Unrecht hat viele Nuancen.

Erwartungsgemäß wurden sofort Stimmen laut, die das Urteil für ungerecht und überzogen halten. „Der Mann ist durch den Verlust seiner Kinder doch gestraft genug“, hieß es, nachdem die Kammer ihre Entscheidung verkündet hatte. Dieses Argument war auch schon Anfang September zu hören, als die Staatsanwaltschaft Würzburg Anklage gegen den 52-Jährigen erhoben hatte.

Die Tragödie von Arnstein war kein tragischer Unfall

Wer so etwas sagt, vergisst, dass nicht nur dieser Mann Kinder verloren hat. Da sind auch noch vier andere Väter und vier Mütter, die um ihre Söhne trauern. Drei von ihnen, ein Vater und ein Elternpaar, hatten sich dem Prozess als Nebenkläger angeschlossen, weil sie wollen, dass der Tod ihrer Kinder nicht ungesühnt bleibt. Das ist ihr gutes Recht.

Die Tragödie von Arnstein war kein „tragischer Unfall“, wie viele sagen. Man kann sie nicht vergleichen mit dem Augenblicksversagen eines Autofahrers, der mal kurz im Handschuhfach nach Taschentüchern kramt und dadurch eine Karambolage verursacht. Sie war auch kein „Schicksalsschlag“, kein Unheil, das plötzlich vom Himmel fällt, wie eine schlimme Krankheit oder eine Naturkatastrophe, die Menschen einfach aus dem Leben katapultiert.

Was am 28. Januar in Arnstein passiert ist, wäre vermeidbar gewesen. Der Angeklagte hat einen Generator gekauft, in seiner Gartenhütte installiert und in Gang gesetzt, der ausdrücklich nur für den Betrieb im Freien ausgelegt ist. Dass er, so der Staatsanwalt, eine „lidschäftige Auspuffanlage“ für das Gerät konstruiert hat, durch das die giftigen Gase aus der Laube geleitet werden sollten, zeigt, dass er um die Gefahr wusste, die von der Maschine ausgeht.

Die Absichten des Vaters waren ausschließlich gut

Trotzdem ist der Mann, der da drei Prozesstage lang wie versteinert auf der Anklagebank saß, kein verantwortungsloser Mensch. Seine Absichten waren ausschließlich gut. Alles sollte schön sein, wenn die Tochter ihren 18. Geburtstag in der Gartenlaube feiert, ihr Start ins Erwachsenenleben sollte ein großes Ereignis werden. Deshalb hatte er ein Feuerwerk gekauft. Deshalb hatte er die zugefrorene Wasserleitung in der Hütte aufgetaut. Deshalb hatte er die Geburtstagstorte und das vorbereitete Essen dorthin gebracht. Deshalb hatte er den Ofen angeheizt. Sogar die Gäste hatte er eingesammelt und zu der Laube gefahren. Und als er daheim zu Bett ging, hatte er sein Telefon auf den Nachttisch gelegt, damit „die Kinder sich melden können, wenn sie was brauchen“. Es gibt bestimmt viele Töchter und Söhne, die sich einen solchen Vater wünschen.

Jetzt hat dieser Vater nach einem fairen Prozess ein faires Urteil bekommen. Es ist ihm zu wünschen, dass er nun, befreit von der Angst vor den Unwägbarkeiten einer Gerichtsverhandlung, eintauchen kann in die Trauer um seine Kinder und deren Freunde – und dass es ihm gelingt, seine Schuld zu verarbeiten. Auch für die Eltern der anderen getöteten jungen Leute ist die Gerichtsentscheidung eine Art Abschluss. Diejenigen, die den 52-Jährigen bestraft wissen wollten, haben ihre legitime Genugtuung. Und die, die sich ihm verbunden fühlen, können ihren Schmerz mit ihm teilen.

 
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  • U. S.
    Frau Schmidt, absolut jeder Unfall, jedes Unglück, gleich welcher Art, das durch menschliches Versagen herbei geführt wurde ist ein "tragischer Unfall" denn er wäre vermeidbar gewesen. Ob man nun in bester Absicht ein Auspuffsystem baut das keines ist oder - ich zitiere Sie - "per Augenblickversagen im Handschuhfach kramt" ist dabei völlig egal. Es WÄRE vermeidbar gewesen wenn man nicht versagt hätte!

    Mir tut dieser Vater der alles für seine Kinder getan hat leid. Wie sehr, dafür gibt es keine Worte, keine Beschreibung. Ich hoffe er kann mit dieser Tragödie leben. Für seine anderen Kinder. Mein Beileid gilt natürlich auch den Familien der anderen Betroffenen. Es ist eine Tragödie unbeschreiblichen Ausmaßes.
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    Die Feststellung der Schuld war und ist zweifelsohne richtig. Denn die Installation einer solchen Anlage war in höchstem Maße fahrlässig.
    Das Strafmaß spielt in diesem und vielen anderen Fällen eine untergeordnete Rolle. Es hätte höher oder niedriger ausfallen können, helfen tuts weder dem Angeklagten noch den Opfern. Beide Seiten müssen lernen damit zu leben. Eine auf mittlere Sicht angelegte meditative Begleitung der Täter und Opferseite ist sicher zu befürworten.
    Der Prozess selbst setzt vorerstmal einen Schlussstrich unter das Geschehene und bietet für alle die Chance eines Neuanfangs.
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  • M. G.
    Eine Katastrophe für alle Familien die Kinder verloren haben! Ob man den Besitzer der Laube 1 1/2 Jahre oder 100 Jahre bestraft hätte, den sein Leben ist mit dieser Katastrophe ohnehin gelaufen, wer möchte von uns wirklich mit so einen prutalen Schicksal noch leben! Was soll einen noch mehr treffen! Ich fasse es nicht und kann es nicht fassen, was da in jedem Beteiligten vorgeht! Kein Gesetz der Welt kann diese Wunden heilen!
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  • J. S.
    Nichtnachvollziehbar: Selbstmordgedanken öffentlich zu äußern
    oder auch nur anzudeuten. Wer hätte denn dann wieder die "A..."-Karte? Die Angehörigen. Nichtnachvollziehbar so was öffentlich zu schreiben. Das ist nicht der erste Kommentar darüber. Der eine oder andere sollte sich da nicht zu sehr in was hineinfantasieren. Zumal wenn eh Außenstehender. Wenigstens eine solche auch nur angedachte Katastrophe, "Supergau" hätte uns allen noch gefehlt. Unverzeihlich so was zu Papier bringen.
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  • W. R.
    Kann man nicht einfach mal ruhig sein???
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  • J. S.
    Eine einfache Gegenfrage?
    Warum verlangen Sie etwas von anderen, was Sie sich selbst herausnehmen. Sie sind hier nicht zu Hause! Jeder kann schreiben, zur Sache, vorausgesetzt, was er will und ob er will. Mit Verlaub, wo kämen wir dahin? Warum klicken Sie die Kommetare und die Anzahl überhaupt an, wenn Sie "ihre Ruhe" haben wollen? Das ist rhetorisch, darauf müssen Sie nicht reagieren. Stichwort ist einfach "tolerant" sein. Wir sind alles Leser und Bezieher der Main-Post und sitzen alle in einem Boot.
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  • U. L.
    Sehr schön gesagt. Sie haben (mal wieder) die passenden Worte gefunden. Danke!
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  • J. S.
    Die passenden Worte gefunden? Wirklich?
    Wäre da nicht der Satz: "Diejenigen, die den 52-Jährigen bestraft wissen wollten, haben ihre legitime Genugtuung." Das ist einseitig und nicht gerecht! Ich verweise auf die Überschrift der SZ: "Er sieht sich mehr in der Opferrolle als in der Rolle eines Täters" Das Juristische zumindest ist nun geklärt. Die Justiz ist "fein" raus. Was ein Kompliment ist, der Rechtsfrieden ist wieder hergestellt. Der entscheidende und beste Satz ist: "Die Kammer sieht, dass durch ein strafrechtliches Urteil als solches das Leid der Eltern nicht gelindert. " Er war der einzigeTäter!, die anderen Eltern nur Opfer. Eine tragische Opferrolle hat zudem die Ehefrau. All das darf nicht "untergehen". Das ist keine Nebensache. Das ist sogar die Hauptsache. Sonst sind wir wieder bei Unrecht. Bei der Überschrift: Unrecht hat viele Nuancen. "Legitim" schreiben ist Unrecht. Und wir fänden kein Ende, wenn wir das nicht schnell "sein lassen" Das Gericht war sehr feinfühlig.
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