Etwas unseriös könnte man dieses Album als "Das Geschenk für den Popfan, der schon alles kennt" betiteln. Friederike Heumann, Gambistin und Professorin an der Musikhochschule Würzburg, hat mit drei Kolleginnen Songs aus der Zeit Elisabeths I. eingespielt. Titel: "Dreames & Imaginations". Es ist erstaunlich zeitlose Musik, die immensen Einfluss auf die Musikgeschichte bis hin zur Popmusik etwa der Beatles hatte. Sting hat sogar ein ganzes Album mit Originalsongs des Komponisten John Dowland (1563-1626) aufgenommen. Im Interview erklärt Friederike Heumann, warum uns diese Musik heute noch so nahe ist.
Friederike Heumann: Das ist tatsächlich so. Der englische Pop und englische Musik überhaupt haben immer etwas mit Folk zu tun, also mit Musik aus dem Volk. Das war damals schon genau so. Der Mitsingfaktor ist in dieser Musik sehr hoch. Man hat das Gefühl, man kann nach einmaligem Hören schon mitsingen. Das zieht sich dann weiter durch bis zu den Beatles.
Heumann: Damals kamen italienische Musiker ins Land und brachten etwas ganz Neues mit: Madrigale. Damit haben sie einen regelrechten Hype ausgelöst, denn hier kannte man es bislang nicht, dass die Affekte, die Emotionen der Texte direkt in der Musik ausgedrückt wurden. Auch das ist eine Verbindung zum Pop: Dass der Text so wichtig ist. Die englischen Musiker übersetzten zunächst die Madrigale - denn die waren ja in der italienischen Volkssprache geschrieben. Und haben dann angefangen, selbst welche zu schreiben.
Heumann: Damals war eine mehr oder weniger komplizierte Polyphonie üblich, also Mehrstimmigkeit. Da gab es etwa Besetzungen für vier Violen da Gamba und eine Singstimme. Allmählich ging das über in Stücke für eine Laute und Singstimme - also das, was man Monodie nennt, die wiederum ein Kernelement einerseits für die Entstehung Oper, anderseits des heutigen Pop ist.
Heumann: Absolut, das ist ein richtiger Wendepunkt. Im Wesentlichen ein Verdienst von John Dowland, der 1595 in Italien die führenden Singer/Songwriter kennengelernt hat. Das Resultat führt auch dazu, dass ein heutiger Musiker wie Sting ein ganzes Album mit Dowland-Songs aufnehmen kann. Und auch da ist - wie zu Zeiten von Dowland selbst - die Begleitung nicht einfach nur Schrum-Schrum, sondern sehr schwierig zu spielen. Sting hat übrigens eine Beobachtung zu Dowland gemacht, die ich ganz toll finde: Er sagte, ihm gefalle, dass es in diesen Songs keine Note zu viel und keine Note zu wenig gebe. Und tatsächlich: Diese Melodien sind einzigartige Ohrwürmer.
Heumann: Genau. Damals wurde in England viel experimentiert. Zum Beispiel, in dem man ein Stück nicht mit vier Gamben begleitete, sondern nur mit einer Gambe, die dann aber Akkorde spielte. Nun sind Akkorde auf einem Streichinstrument immer etwas schwierig zu spielen, man muss die Stimmführung zum Teil faken. Damit sie besser funktionierten, fing man an, das Instrument anders zu stimmen. So entstanden über 60 Stimmungen allein für die Gambe - die alle unterschiedliche Klangfarben haben. Da sind wir wieder beim Folk: Es gab zum Beispiel ein Bagpipe-Tuning, also eine Dudelsack-Stimmung.
Heumann: Diese Stimmungen sind zum Glück alle in einem Buch versammelt, im "Manchester Gamba Book", wo es für jede Stimmung mehrere Beispielstücke gibt, von denen viele wirklich schön sind. Sie sind übrigens in Tabulatur notiert, nicht in Notenschrift - also genau so, wie heute Lehrbücher für die Gitarre.
Das Abum "Dreames & Imaginations" mit Songs aus der englischen Renaissance ist beim Label Tyxart erschienen und auf den üblichen Kanälen erhältlich. Es singen und spielen Anna-Lena Elbert (Sopran), Evangelina Mascardi (Laute), Angélique Mauillon (Harfe) und Friederike Heumann (Viola da Gamba).