Frage: Alle reden von Inklusion – aber ist Inklusion immer die beste Wahl, etwa im Schulbereich?
Barbara Stamm: Ganz klar: Das Lernen muss zum Kind passen, es muss sich am Kind orientieren. Für das eine Kind ist der Besuch der Regelschule die beste Lösung, wenn es dort passend unterstützt werden kann und ein sonderpädagogischer Ansatz möglich ist. Kinder mit Handicaps brauchen auch in Regelschulen eine individuelle Betreuung und Förderung, wenn Inklusion gelingen soll. Es gibt aber auch Kinder mit Behinderungen, bei denen die Förderung in einer Förderschule besser gewährleistet ist.
Stamm: Ich will zunächst mal festhalten, dass in meinen Augen Inklusion im Arbeitsleben nicht nur den Zugang zum ersten allgemeinen Arbeitsmarkt bedeutet. Auch die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind Teil der Inklusion – denn erstens finden dort viele Betroffene die Möglichkeit, einer geeigneten und erfüllenden Tätigkeit nachzugehen, und zweitens sind Werkstätten keine Bastelstuben, sondern stehen im Wettbewerb mit Anbietern aus dem In- und Ausland um Aufträge aus der Wirtschaft.
Stamm: Das liegt vielleicht auch am falschen Bild, das manche von den Werkstätten haben. Das sind längst keine isolierten Einrichtungen mehr, sondern sie bieten auch viele Arbeitsplätze außerhalb an, zum Beispiel im Gastronomiebereich. Im Bayerischen Landtag öffnen wir die Gaststätten am Sonntag für Gäste von außen und laden zum Brunch ein. Das Personal dafür stellt die Lebenshilfe München. So können Arbeitgeber in der freien Wirtschaft sich über Integrationsfirmen ein Bild von der Leistungsbereitschaft der betroffenen Menschen mit Behinderungen machen und ihnen dann auch reguläre Stellen anbieten.
Stamm: Das Budget für Arbeit wird das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderungen stärken. Es reicht aber nicht, Menschen mit Handicaps einfach einen Job auf dem ersten allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln und der Staat übernimmt einen Teil des Gehalts. Ich habe selbst schon oft persönlich betroffene Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt untergebracht – aber: das hat nur dann nachhaltig Erfolg, wenn man die Menschen in ihrem neuen Job und ihre Arbeitgeber weiter begleitet.
Stamm: Die Lebenshilfe hat in Bayern und im Bund sehr für Änderungen am Gesetz gekämpft und war damit auch erfolgreich. Wir sind der Auffassung, dass die Reform der Eingliederungshilfe jetzt in die richtige Richtung geht.
Stamm: Ja, das hätte alles passieren können, aber diese Befürchtungen sind unter anderem durch Einwände der Lebenshilfe abgewendet worden. Es war zum Beispiel durchaus so, dass die Zahl der Leistungsberechtigten deutlich hätte zurückgehen können, weil geplant war, dass Menschen fünf von neun Kriterien erfüllen müssen, um Eingliederungshilfe zu erhalten. Das ist nicht mehr so, das ist vom Tisch.
Stamm: Das Gejammer ist ja nichts Neues. Man muss aber auch mal erwähnen, dass die Bezirke bewusst die Zuständigkeit bei der Eingliederungshilfe klar für sich reklamiert haben. Jetzt bringt sich der Bund finanziell mit ein und zahlt Gelder an die Kommunen aus. Dann müssen die Gemeinden und Städte das auch an die Bezirke geben, damit diese ihre Aufgaben erfüllen können.
Stamm: Für konkrete Kritik bin ich immer zu haben. Etwa, wenn es um geeignete Wohnformen für Menschen mit Behinderungen in der Zukunft geht, da liegt nämlich noch einiges im Argen, gerade auch wenn es um Altersruhesitze für Menschen mit Handicaps geht. Aber: Die Kommunen in Bayern haben genug Geld, auch für die Eingliederungshilfe. Über den kommunalen Finanzausgleich stehen Bayerns Kommunen dieses Jahr 9,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist Jammern auf hohem Niveau!
Stamm: Dieses Thema diskutieren wir schon sehr lange. Ich persönlich bin der Überzeugung, dass man nicht eine ganze Gruppe von Menschen pauschal vom Wählen ausschließen kann.
Stamm: Ich kann die Einwände nur teilweise nachvollziehen, wir heißen ja auch ,Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung‘. Wir sind heute zwar auch ein Selbsthilfeverband, wurden aber vor mehr als 50 Jahren von vielen mutigen Eltern gegründet, die das Recht auf Bildung für ihre Kinder mit Behinderungen eingefordert haben. Deshalb ist diese Bezeichnung Teil unserer Geschichte. Wir sind aber offen für solche Diskussionen. Ich persönlich finde Taten allerdings wichtiger als Namen!