Schon immer hat Helmut Schmidt das Abenteuer gesucht. Früher war er im VW-Bus unterwegs. Er ist in Mauretanien mit dem Rucksack auf Sandpisten gelaufen, hat in Patagonien die Spitze Südamerikas umrundet und ist durch ganz Neuseeland gefahren. Aber seine Schiffreise auf dem Amazonas war "ein Härtetest und meine abenteuerlichste Reise überhaupt".
Vom 19. Oktober bis 20. November vergangenen Jahres war der 67-jährige Hausener in Brasilien. Allein, mit Rucksack und einem Koffer. Mit Schwarzbrot, Dosenwurst und Tütensuppen im Gepäck. Ausgestattet mit einer Hängematte aus Fallschirmseide, einem faltbaren Esbit-Kocher, mit Reiseführer und Landkarte. Und vom Tropeninstitut bestens mit allen nötigen Impfungen versorgt.
"Bei so einer Reise kannst du nur allein unterwegs sein", ist Schmidt überzeugt. Seine Frau Christine sei oft mit ihm unterwegs. Das Paar war auch schon in Brasilien. Und verbringt im eigenen Haus auf der Insel Kreta sowieso viel Zeit. Aber mit Linienschiffen auf dem Amazonas zu fahren, in einfachen Hostels zu schlafen oder Führungen durch den Urwald mitzumachen, das ist seiner Frau doch zu viel.
Kaum Vorplanungen
Schmidt will mit Einheimischen deren Alltag erleben und an ihrem Tisch sitzen. "Der Kick ist das direkte Erlebnis mit den Menschen", sagt er. Er plant kaum vor. Auch diesmal waren nur die Flüge nach Belém und der Rückflug von Rio de Janeiro gebucht.
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Belém an der Baía de Guajará gilt als Eingangstor zum Amazonasgebiet. Von dort aus startete Schmidts Tour stromaufwärts nach Manaus im Inneren des Kontinents. Mit drei Linienschiffen war er insgesamt zehn Tage nur auf dem Wasser und immer der einzige Ausländer zwischen den Einheimischen.
In Belém machte er sich kundig. Wo gibt es die Schiffstickets? Wo ist die Abfahrt? Wo lohnt sich ein Stopp? Wo sind Wechselstuben? Zimperlich sein, das dürfe man beim Durchfragen nicht. Zumal er nur ein paar Brocken portugiesisch spricht. "Ich hatte schon immer einen gute Körpersprache", schmunzelt er dazu. Außerdem bekomme man in den Hostels von den Einheimischen Tipps.
Kaufpreis wird über Bord verhandelt
"Man muss rechtzeitig auf dem Schiff sein und sich mit seiner eigenen Hängematte einen guten Platz suchen", rät er. An einer Anlegestelle habe er stundenlang im Regen und Sturm auf das Schiff gewartet. Alles, wirklich alles, sei durchnässt gewesen. Das Wort "Regenwald" habe er nun hautnah verstanden und niemals wieder, selbst wenn er in die Wüste geht, würde er einen Regenschutz vergessen. Zum Glück trockne es auf den Amazonas-Schiffen in der tropischen Hitze schnell.
"Menschen sind auf dem Schiff nur Beiwerk, es geht um den Transport von Gütern", weiß der Abenteurer nun. An allen größeren und kleineren Häfen werde ent- und beladen. Die Zeit in den Häfen nutzen die "fliegenden Händler" für den Verkauf von Obst, Gemüse oder regionale Spezialitäten.
Der Kaufpreis wird über Bord verhandelt und das Essen in Plastikbeuteln an langen Holzstangen hochgehoben. "Ich habe Früchte und Gemüse gegessen, die ich nicht kannte", erzählt er. Jeder sorgt für sein Essen selbst. Auf dem Oberdeck gibt es zwar eine kleine Bar mit Snacks und Bier. Aber dort dröhnt Tag und Nacht laute Musik. Und die Speisen sind scharf und "anders gewürzt".
Dosenwurst zum Löffeln
"Ich habe alles probiert, aber nur ein einziges Mal", berichtet er. Er habe auch gegrillte Würmer und Affenfleisch gegessen. Zum Glück gab es genug Reis. Und seinen selbst gekochten Kaffee. Das Schwarzbrot aus Deutschland war schon nach fünf Tagen weg und die Wurst in Dosen aufgrund der Hitze so weich, dass er sie löffeln und den Schmalz trinken musste.
Er kam oft in Kontakt mit Einheimischen, deren Fragen er zu seiner Person gerne beantwortet. Und als exotischer "old white Daddy" sei er viel fotografiert worden. Der Handyempfang in den Städten sei "besser als bei uns". Wenn das Schiff in die Nähe einer Stadt kommt, werde "wie wild telefoniert".
Reise hat Schmidt nachdenklich gemacht
Es hat ihmgefallen, in dieses andere Leben einzutauchen. Trotz der fruchtbaren sanitären Anlagen, des Ungeziefers, der Enge, der dröhnenden Bordmusik und zunehmender Rückenschmerzen. Duschen und Wäsche waschen ging nur mit dem braunen Amazonas-Wasser und WC-Papier gab es nicht. Ständig waren andere Menschen dicht um ihn herum und wenn das Schiff geschaukelt hat, sei er mit der Hängematte beim Nachbarn angestoßen.
Schmidt war fasziniert von den Menschenschlägen. An der Küste seien afroamerikanische Menschen an Bord gewesen und je weiter die Reise ging, wurde der Einschlag indianischer. Die verschiedenen und interessanten Menschentypen und ihr einfaches Leben von einem Tag auf den anderen haben ihn nachdenklich gemacht.
Die Reise auf dem Amazonas mit Linienschiffen empfiehlt der Hausener nur echten Abenteurern. Er selbst habe vor seinem Rückflug Erholung gesucht. Auf der Südatlantik-Insel Ilha Grande in der Nähe von Rio de Janeiro beobachtete er beim Schnorcheln im glasklaren Wasser fünf Tage lang exotische Fische, bevor er vom sommerlichen Brasilien ins kalte Deutschland zurückflog.