In einem der schönsten Kräutergärten Deutschlands gibt es keine Beete. Lavendel, Schlüsselblumen, Melisse, Minze oder Salbei wachsen nicht voneinander getrennt, sondern über den ganzen Garten verteilt. Daneben verbreiten Rosen und Tagetes ihren betörenden Duft. Mit Steinen bedeckte Wege laden zum Spaziergang ein. Zum Main hin wuchert Kapuzinerkresse auf der Mauer. Auf Schiefertafeln sind Namen und Wirkung der Heilkräuter zu lesen.
Vor 30 Jahren hat Leandra Ulsamer, Schwester im Kloster Oberzell im Landkreis Würzburg, den Kräutergarten angelegt. Mittlerweile misst er an die 200 Quadratmeter und ist so groß wie „ein mittlerer Tanzsaal“, sagt die Franziskanerin, die in ihrem Leben nie tanzen war. So habe sie den Kräutergarten einmal einer Berliner Reporterin beschrieben, die nicht extra nach Würzburg reisen wollte. Die Schwester lächelt. Ihren Humor und ihre Liebe zum „gärteln“ hat sie mit 85 Jahren noch nicht verloren.
Auch wenn die Knie nicht mehr so wollen und der Kräutergarten bereits vor zwei Jahren in die Hände von Katharina Mantel überging. Über die Apothekerin, die ihr jahrelang bei der Gartenarbeit half, entwickelte sich auch die Freundschaft zum Würzburger Medizinhistoriker Johannes Gottfried Mayer. Mantel und Mayer sind zwei der fünf Mitglieder der Forschergruppe Klostermedizin. Den Garten in Oberzell nutzen die Wissenschaftler zu Demonstrationszwecken.
Gute Kräutererde gewinnen
Denn dort werkelte Schwester Leandra all die Jahre mit ihrem grünen Daumen. Sie musste noch nie teure Kräutererde einkaufen. Oder sich mit Schnecken herumärgern, die gefräßig über ihre Pflanzen glitschen. Ihre Kräuter sprießen nicht störrisch und dürr. Im Gegenteil: „Ich kenne nirgendwo anders so ein fettes Johanniskraut“, sagt Mayer. „Erst dachte ich, das sei die falsche Pflanze!“ Das Geheimnis der Franziskanerin: „Ich habe immer alle Gartenabfälle, den übrigen Pflanzenschnitt oder die Bananenschalen direkt neben den Pflanzen in der Erde verbuddelt. Ich hatte immer meinen eigenen Kompost.“
Zig Kräuter gedeihen und blühen im Garten des Klosters. Die Schwestern kennen und nutzen ihre heilende Wirkung. Johanniskrautöl beispielsweise wird zur Hautpflege, auch bei Sonnenbrand verwendet. Aus Beinwell entsteht eine Salbe, die bei Zerrungen und stumpfen Verletzungen hilft. Ringelblumensalbe lässt Wunden schneller heilen. Sie wird auch von Krebspatienten nach der Chemotherapie auf schmerzende Läsionen im Mund aufgetragen. An Maria Himmelfahrt verteilen die Schwestern jedes Jahr Kräutersträuße an die Besucher. Und im Konvent genießen sie jeden Abend ihre Tasse duftenden Kräutertee. Je nach Jahreszeit sind manchmal bis zu zehn verschiedene Kräuter im Tee: Pfefferminz, Zitronenmelisse, Ringelblumenköpfchen, Schlüsselblumenblüten, Rosmarin, Salbei oder Thymian. „Ich merke sofort, wenn die Köchin mal Beuteltee verwendet“, sagt Leandra.
Kräuter richtig trocknen
Kräuter richtig trocknen, ist auch eine Kunst: Dafür kraxelt die Schwester auf den Speicher im dritten Stock, in dem es im Sommer bis zu 30 Grad warm ist. Auf sauberen Leinen-Bettüchern breitet sie die Kräuter sorgfältig zwei bis drei Tage lang aus. Die Zweige dürfen nicht aufeinander liegen. Die Temperatur darf nicht schwanken, denn sonst bildet sich Kondenswasser und Bakterien und Pilze sprießen. Anschließend werden die Kräuter in einem dunklen Apothekerglas gut verschlossen. So kann man sie bis zu zwei Jahre lang lagern.
Wieviel die Menschen früher schon über Heilkräuter wussten, erstaunt die Wissenschaftler immer wieder aufs Neue. Warum der Abt des Benediktinerklosters der Insel Reichenau im Bodensee im 9. Jahrhundert empfahl, bei Magenbeschwerden Fenchel mit Ziegenmilch anzusetzen? „Heute wissen wir, dass beim Fenchel das ätherische Öl das Entscheidende ist“, sagt Mayer. „Öl ist lipophil, das heißt, es verbindet sich mit Fett. Ich habe also einen besseren Ertrag, wenn ich Fenchel mit Milch statt mit Wasser mische.“
Aus der Zeit Karls des Großen stammt ein Rezept aus dem Lorscher Arzneibuch (um 800) gegen schwere Unterschenkelverletzungen, die tief bis zum Knochen reingehen. Man solle eine Mischung aus Schafsdung, Honig und Käse auf die Wunde schmieren. Nach 21 Tagen entfalte sich die Wirkung. Was heute entsetzlich klingt, könnte tatsächlich geholfen haben, so Mayer, wenn dadurch eine Art Penicillin entstanden sei. Die Wirkungszeit der ersten Antibiotika betrug genau 21 Tage. Ausprobieren würde er das allerdings nie, sagt der Medizinhistoriker lachend.
Senföle gegen Bakterien und Viren
Lieber streut er sich ein paar Blüten Kapuzinerkresse in seinen Salat. „Kapuzinerkresse hat sehr viel Vitamin C und Senföle. Sie sind gut fürs Immunsystem und können das Wachstum von Viren und Bakterien hemmen oder sogar völlig eindämmen“, sagt Mayer. Senföle werden bei Infekten, Erkrankungen der Atem- und der Harnwege eingesetzt. Die wärmeliebende Pflanze zieht sich im Winter zurück. Schwester Leandra deckt sie im Herbst liebevoll zu.
Sie nimmt viel Rücksicht auf die mediterranen Pflanzen wie Thymian, Salbei oder Lavendel, sucht ihnen ein sonniges, geschütztes Plätzchen nahe der Mauer in lockerer sandiger Erde. Poröse Steine auf den Wegen dienen nachts als Wärmespeicher. Und gerade weil sie etwas porös sind, nehmen sie das Regenwasser besser auf. Beinwell und Schlüsselblume mögen es hingegen feucht und gedeihen im Halbschatten. Schwester Leandra kennt ihre Pappenheimer und respektiert ihre Vorlieben. „Das hält mich jugendlich“, sagt sie und lächelt.
Ganz besonders liebt sie den großen alten Salbei, den man „gut rausschneiden muss“, damit er Ende April fleißig Blüten treibt und natürlich den Lavendel. Seine kleinen Stecklinge – ein Zweig wird abgeschnitten, in der Mitte geknickt und mit der Knickstelle wieder in die Erde gesetzt – hält sie schön feucht. Als Dank verströmt er an allen Ecken und Enden des Kräutergartens seinen Duft.
Buchtipps, Kurse und Vorträge über Heilpflanzen
Die Forschergruppe Klostermedizin wurde 1999 am Institut für Medizingeschichte an der Universität Würzburg gegründet. Ihr Ziel ist es, die Heilpflanzen der Kräutermedizin, die in langer Tradition in Europa verwendet werden, genauer zu untersuchen. „Was hat man früher mit ihnen gemacht? Was können wir heute davon lernen?“, erklärt Mayer.
Bekannt geworden ist die Würzburger Forschergruppe mit zahlreichen Büchern, darunter dem „Handbuch der Klosterheilkunde“ (2002) oder dem „Großen Buch der Klosterheilkunde“ (2013).
Bei der Landesgartenschau informieren die Mitglieder der Forschergruppe Klostermedizin die Besucher über antibiotische Pflanzen. Führungen und Vorträge finden am Stand des Bund Naturschutz statt.
Bei der Main-Post-Akademie „Naturapotheke“ bringt Kräuterführer Otmar Diez den Teilnehmern für 59 Euro am 17. Juni von 10 bis 16.30 Uhr im Kloster Maria Bildhausen die Heilkräfte von Wild- und Gartenpflanzen nahe. Anmeldung: Tel. 0931- 60 01 60 09. Text: akl