Im Wohnzimmer der Familie Kober in Zell, Würzburger Stadtrandgemeinde, Hauptstraße 136, erster Stock, ist am Abend des 18. Januar 1957 ein Verein mit weltweiten Folgen gegründet worden. 60 Jahre später wohnt Irene Kober immer noch hier, sie ist das letzte lebende Gründungsmitglied der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe, ehemals Deutsches Aussätzigen-Hilfswerk (DAHW).
Am Tag nach ihrem 31. Geburtstag hatte sich Irene Kober auf das Abenteuer, Aussätzigen zu helfen, eingelassen. Es wurde, sagt sie rückblickend, „mein viertes Kind“.
Die Treppe zur Wohnung im ersten Stock unterm Dach ist 60 Jahre später immer noch gefährlich steil, für einen Fünf-Personen-Haushalt war damals wenig Spielraum, und dann war hier auch noch für die ersten Jahre die Zentrale eines Hilfswerkes mit Kontakten nach Afrika, Indien und Südamerika.
Hermann Kober, zu der Zeit Redakteur beim „Fränkischen Volksblatt“ in Würzburg, hat noch Jahrzehnte später in seinem Buch „Meilensteine – Eine Krankheit verliert ihre Schrecken“ so etwas wie schlechtes Gewissen darüber erkennen lassen, was er seiner Frau Irene 1957 mit dem „Jawort“ zu der Vereinsgründung aufgeladen hat: Er mit einem unruhigen Beruf, bei der Zeitung, mit Nacht- und Sonntagsdienst, drei Kinder „ziemlich nacheinander“ und dann nach der Vereinsgründung auch noch häufig fremde Leute im Haus und jede Menge Papierkrieg.
Familienarbeit für weltweite Hilfe
Mit einem Schulheft begann die Buchführung der Irene Kober, stellvertretende, aber tatsächlich amtierende Schatzmeisterin. Tausende von Briefen hat sie in den Anfangsjahren des Aussätzigen-Hilfswerkes mit der Bitte um Hilfe für Aussätzige irgendwo in der Welt adressiert, in Kuverts gesteckt, Spendenquittungen ausgestellt – und wenn ihr Mann, der offizielle Schatzmeister, von Auslandsreisen zurückkam, hat sie Tausende von Dias gerahmt. Als die Kober-Kinder größer wurden, sind auch sie wie selbstverständlich zu ehrenamtlicher DAHW-Arbeit herangezogen worden.
Bitte um VW-Bus für Äthiopien
Von der Vereinsgründung vor 60 Jahren in ihrem Wohnzimmer gibt es kein Foto: „Niemand hat damals damit gerechnet“, sagt Irene Kober, „dass wir mal weltweit tätig werden.“ Anfangs sei es nur darum gegangen, einige tausend D-Mark zu sammeln, um für einen französischen Lepra-Arzt in Äthiopien einen gebrauchten VW-Bus zu kaufen. Der Doktor fuhr von der Provinzhauptstadt Harar aus mit dem Fahrrad zu seinen Patienten und legte täglich 30 bis 40 Kilometer zurück.
Ihn hatten der Würzburger Journalist Franz Graf von Magnis und der Theologiestudent Richard Recke bei einer Reise nach Äthiopien kennengelernt und „Alarm“ geschlagen.
Erschütternde Reportage
Die Reportage von Graf Magnis über das Schicksal ausgestoßener Aussätziger war so erschütternd deutlich, dass reihenweise Chefredakteure „nein danke“ antworteten, weder den Text und schon gar nicht die Bilder könne man den Lesern zumuten. Das Magazin „Mann in der Zeit“ (später „Weltbild“) riskierte es dann doch, „Fränkisches Volksblatt“, „Deutsche Tagespost“ und „Allgemeine Sonntagszeitung“ folgten.
Auf das private Konto von Graf Magnis sind daraufhin innerhalb kürzester Zeit Spenden in Höhe von knapp 10.000 D-Mark überwiesen worden. Um die korrekt verbuchen zu können, war daraufhin ein Verein mit eigenem Konto gegründet worden.
Ohne PR-Profis und Werbekonzept ging plötzlich die Nachricht um die Welt, dass es immer noch Leprakranke gibt, die man damals noch Aussätzige nannte, und dass in Würzburg ein Hilfswerk für den Kampf gegen eine der ältesten und auch scheußlichsten Krankheiten der Menschheit entstanden ist. Der Verein wurde überhäuft – mit Bitten um Hilfe aus aller Welt, aber auch mit Spenden.
30 Jahre lang war Hermann Kober ehrenamtliches geschäftsführendes Vorstandsmitglied, ab 1994 Präsident des DAHW, das inzwischen längst sein Domizil in Würzburg hatte, aber das Wohnzimmer der Kobers in der Zeller Hauptstraße 136 ist die heimliche Zentrale geblieben.
Umbenennung 2003 in Lepra- und Tuberkulosehilfe
Aus dem „Aussätzigen-Hilfswerk Dr. Feron“ wurde das „Deutsche Aussätzigen Hilfswerk“ (DAHW) und später die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe. Hermann Kober, zuletzt 16 Jahre lang Chefredakteur der Würzburger Tageszeitung „Fränkisches Volksblatt“, ist 1998 im Alter von 74 Jahren gestorben.
Die DAHW hofft nun, dass in Würzburg eine Straße oder ein Platz nach ihm benannt wird.
Auch wenn es jahrzehntelang sehr eng zuging in der Zeller Hauptstraße 136: An Umzug habe man, so Irene Kober, nie gedacht. Sie versucht, den Kontrast zu erklären: „Persönlich, bei Familienleben und Freizeit haben wir schwer draufbezahlt, keinen Pfennig an 'unserem Verein' verdient“, aber gerade auch deswegen sei sie nach wie vor sehr stolz auf die Vereinsgründung vom 18. Januar 1957 und was sich in den folgenden Jahren getan hat.
Der Autor des Beitrags, Franz Barthel, ist seit 28 Jahren DAHW-Mitglied, war von 2004 bis 2013 im Vorstand, von 2009 bis 2013 ehrenamtlicher Vizepräsident.