
Ob im Bus oder im Supermarkt: Vielerorts herrscht zum Schutz vor Corona Maskenpflicht. Diese kann nicht nur für hörgeschädigte Menschen zum Problem werden. Warum die Pandemie Menschen mit Behinderung doppelt beeinträchtigt, und was er sich für die Zeit nach Corona wünscht, erläutert Julian Wendel, Vorsitzender des Behindertenbeirats der Stadt Würzburg und kommunaler Behindertenbeauftragter, im Gespräch mit dieser Redaktion.
Julian Wendel: Corona bedeutet für alle eine Einschränkung und ist extrem lästig; jeder hofft, dass es bald vorbei ist. Menschen mit Behinderung aber werden durch die Pandemie und den Lockdown in indirekter Weise zusätzlich beeinträchtigt: durch die mit der Kontaktbeschränkung einhergehende Isolierung, die für Menschen mit Depression eine katastrophale Situation darstellt, eine erschwerte Kommunikation bei Menschen mit Hörbehinderung oder Senioren - und durch Anfeindungen, wenn man keine Maske trägt.
Wendel: Bei mir hat sich zum Beispiel ein Mann gemeldet, der aufgrund seiner Lungenerkrankung ein ärztliches Attest hat, das ihm bescheinigt, keine Maske tragen zu müssen. Ihm ist es seiner Aussage nach schon mehrfach passiert, dass er beim Einkaufen ohne Maske entweder von Mitarbeitern des Geschäfts oder von Kunden sehr kritisch bis beleidigend angegangen und als Querdenker bezeichnet wurde - obwohl er das nicht ist. Er musste sich immer wieder erklären und hat sein Attest gezeigt, ist aber selbst dann oft auf kein Verständnis gestoßen.
Wendel: Ich kann mir vorstellen, dass zum Beispiel Ladenbetreiber darauf bedacht sind, die Hygienevorschriften zu beachten und durchzusetzen, weil sie Angst haben, dass sie sonst Probleme mit den Behörden bekommen. Trotzdem wäre etwas Fingerspitzengefühl wünschenswert und das Anerkennen der Tatsache, dass es Kriterien gibt, nach denen man keine Maske tragen muss.
Wendel: Leute mit einer Lungenerkrankung zum Beispiel. Insgesamt haben aber relativ wenige das Recht auf ein solches Attest - Gehörlose etwa haben es nicht.
Wendel: Mit Hilfe von Gebärdensprache, die man einigermaßen verstehen kann, auch wenn man nicht Lippen liest und nur die Hände anschaut. Aber Gebärdensprache können natürlich nur bestimmte Leute. Wenn man aber zum Beispiel sehr schwerhörig ist und einkaufen will, und die Verkäuferin sagt etwas, und man sieht die Lippen nicht und hört das Gesprochene auch nur gedämpft durch die Maske, dann ist es echt schwer. Da gibt es kein Rezept, wie das funktioniert, da muss man sich irgendwie behelfen.
Wendel: Menschen, die zwar nicht gehörlos sind, aber eine Hörbehinderung haben, haben Probleme mit der Kommunikation, wenn ihr Gegenüber auch eine Maske trägt – weil sie dessen Lippen zum Ablesen brauchen. Auch alte Menschen sind oft schwerhörig und haben Schwierigkeiten, richtig zu verstehen, wenn die Maske den Mund des Gesprächspartners verdeckt.
Wendel: Oft sind Menschen mit Behinderung Risikopatienten – ich gehöre mit meiner Muskelerkrankung, die auch die Lunge betrifft, ebenfalls dazu. Ich muss mich sehr stark schützen und "verstecke" mich deshalb, was ja grundsätzlich sinnvoll ist. Langfristig wirft die Pandemie uns aber in unseren Bestrebungen zurück, sichtbar in der Gesellschaft zu sein. Das ist ja das Prinzip von Inklusion, dass Menschen mit Behinderung überall in der Gesellschaft vorkommen – in der Arbeitswelt und im Privatleben. Bezüglich der Teilhabe machen wir während Corona Rückschritte.
Wendel: Die Digitalisierung bewirkt immerhin, dass wir etwas besser an der Arbeitswelt teilhaben können –Homeoffice macht’s möglich. Das ist ein Schritt zu einer inklusiven Gesellschaft, aber es braucht noch mehr.
Wendel: Ich bin ein ziemlich positiv eingestellter Mensch und sehe, dass wir in Deutschland verglichen mit dem Großteil aller Nationen recht weit sind oder waren. Menschen mit Behinderung kamen im Alltag vor, und ich hatte wenig Probleme, auf Leute zuzugehen und Kontakt aufzunehmen. Aber Inklusion ist ein Prozess und dieser muss weitergehen. Im Bezug auf Barrierefreiheit, der Akzeptanz von Menschen mit psychischer Behinderung oder der Etablierung des selbstbestimmten Lebens mit persönlicher Assistenz liegen noch zahlreiche Schritte vor uns.
Wendel: Kontaktfreudig werden – das ist es, was ich mir auch langfristig für die Zeit nach Corona wünsche. Dass man sich traut, wieder aufeinander zuzugehen und Menschen mit Behinderung nahe zu kommen, ihnen die Hand zu schütteln, mit ihnen zu sprechen, ohne Angst zu haben und Abstand halten zu müssen, um sie nicht anzustecken.
Es ist demnach wieder einmal eine Sache der inneren Einstellung.
Und so gibt es auch viele, die sich eben gerade wegen ihrer Lungenerkrankung mit einer Maske schützen.
Genau dies ist es, womit mein Sohn immer wieder zu kämpfen hat.
Herr Wendel ist sehr kritishc und zugleich wertschätzend und fair, das gefällt mir.