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Würzburg
Corona: Kritik an der Bürokratie bei vereinfachten Hartz-IV-Anträgen
Wegen der Corona-Pandemie wurde das Verfahren auf Hartz IV vereinfacht, damit Bedürftige schneller an Geld kommen. Dass das nicht immer gelingt, zeigt ein Fall aus Würzburg.
Im Jobcenter der Stadt Würzburg werden die Anträge für Hartz IV angenommen und bearbeitet.
Foto: Thomas Obermeier | Im Jobcenter der Stadt Würzburg werden die Anträge für Hartz IV angenommen und bearbeitet.
Johanna Heim
 |  aktualisiert: 08.02.2024 12:10 Uhr

Wer weder Miete, Nebenkosten oder Lebensmittel zahlen kann, ist auf Hilfe angewiesen.  Bedürftigen, die beispielsweise auf Grund der Pandemie ihren Job verloren haben, soll durch den vereinfachten Antrag auf Hartz IV schnell und einfach unter die Arme gegriffen werden. Noch bis zum 30. Juni können sie den vereinfachten Antrag auf Grundsicherung stellen. Wie viel Bürokratie jedoch hinter so einem Antrag steckt und wie lange die Bewilligung dauert, zeigt ein Fall, den die Diakonie Würzburg jetzt öffentlich gemacht hat. 

Eine Mutter und ihr ältester Sohn arbeiteten bei Zeitarbeitsfirmen, berichtet Andrea Dehler, Sozialpädagogin der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit (KASA) der Diakonie Würzburg. Doch durch Corona verloren beide ihre Jobs: sie noch in der Probezeit, er schon regulär beschäftigt. Das jüngste Kind gehe noch zur Schule, der Familienvater könne auf Grund seines Gesundheitszustandes nicht arbeiten. "Die Familie wand sich daraufhin Ende April an die Sozialberatungsstelle der Diakonie", erinnert sie sich. Denn außer den monatlichen 204 Euro Kindergeld hatte die vierköpfige Familie keine Einkünfte mehr.

Antrag ist 100 Seiten lang

Zusammen mit der Sozialpädagogin füllten die Betroffenen, die anonym bleiben wollen, Anfang Mai das Formular aus. Unter anderem reichten sie Kopien des Mietvertrags, die letzten Nettobezüge der ehemaligen Arbeitsstelle samt Kündigungsschreiben sowie die Kontoauszüge der letzten sechs Monate von allen Familienmitgliedern ein, erzählt Dehler. Insgesamt 70 Seiten gab die Diakonie-Mitarbeiterin daraufhin beim Jobcenter ab. Ein Spiel gegen die Zeit, denn jeder Tag, an dem der Antrag nicht bewilligt wird, ist ein Tag, an dem Betroffenen das Geld fehlt. "Es ist natürlich nicht so, dass die Mitarbeiter des Jobcenters daran Schuld sind", ist sich Dehler sicher. "Die haben viel zu tun, denen laufen momentan auch einfach die Telefone heiß."

Die Bewerbungen auf das vereinfachte Verfahren beim Jobcenter Landkreis Würzburg sind seit Mitte März sprunghaft angestiegen, der wöchentliche Durchschnitt an Anträgen hat sich fast verdreifacht, sagt Eva-Maria Schorno, Pressesprecherin des Landratsamts Würzburg. "Ab Ausrufung des Katastrophenfalls seit dem 16. März hat sich der wöchentliche Durchschnitt von 18 auf 51 Neuanträge erhöht." Um die Flut an Anträgen bewältigen zu können, setze das Jobcenter bereits zusätzlich ehemalige Mitarbeiter ein. Ähnlich sieht es beim Jobcenter Stadt Würzburg aus. "Vor Corona haben wir circa 120 bis 130 Neuanträge im Monat bearbeitet", erklärt Kilian Koßner, der stellvertretende Geschäftsführer. Seit Beginn der Pandemie hätten sich die monatlichen Anträge gar verfünffacht.

"Das ist ein Teufelskreis."
Andrea Dehler, Sozialpädagogin 

Fünf Tage später ging bei Dehler einer schriftliche Zwischenmitteilung ein: Einige Dokumente müssten aktualisiert und nachgereicht werden, letztendlich war der Antrag danach rund 100 Seiten lang. Das Nachreichen der Dokumente sei natürlich machbar gewesen, erklärt sie. Frustrierend für Dehler war hingegen die Forderung des Jobcenters nach dem Bescheid des Kindergelds, dessen Erhalt sich aus den Kontoauszügen der Familie ablesen lässt. Koßner erläutert, dass die Prüfung anhand des Kontoauszugs zwar grundsätzlich ausreicht. Werden im Erstantrag jedoch alle Unterlagen angefordert, würde der Kindergeldbescheid mit abgefragt werden.

Rund vier Wochen dauert es bis zur Auszahlung

"Zusätzlich hat das Jobcenter einen Nachweis gefordert, dass Mutter und Sohn betriebsbedingt gekündigt wurden", erläutert die Sozialpädagogin. Wer jedoch in der Probezeit gekündigt wird, dem muss der Arbeitgeber die Kündigung nicht zwingend begründen. So auch im Fall der Mutter. Die Agentur für Arbeit müsse deswegen erst beim ehemaligen Arbeitgeber nachfragen, erst danach könne der Antragsteller die Bescheinigung beim Jobcenter einreichen. Sie finde, dass Agentur für Arbeit und Jobcenter "da besser zusammenarbeiten könnten", sagt Dehler.  Das Verfahren ist jedoch laut Datenschutz gesetzlich vorgeschrieben, erläutert Koßner.

"Das ist ein Teufelskreis", findet die Sozialpädagogin. Denn bevor die Dokumente nicht alle vorliegen, erhalten Betroffene keinerlei Leistungen. "Da kann die Familie dann auch nicht zur Tafel", erklärt Dehler weiter, "denn dort muss man einen Bescheid vorlegen, dass man als bedürftig gilt". Rund vier Wochen hätte es gedauert, bis der Antrag bewilligt wurde. Auch wenn das Geld rückwirkend ausgezahlt wird, bedeutet das, dass die Familie in der Zwischenzeit keinen Cent im Geldbeutel hat. Unterstützung bekam sie deshalb durch die Corona-Soforthilfe des diakonischen Werkes Bayern, so Dehler. "Wir haben die Familie quasi durchgefüttert", erinnert sie sich.

Zwar stimmt die Sozialpädagogin zu, dass die meisten der geforderten Dokumente notwendig sind.  "Wir von der Beratungsstelle sehen das aber etwas anders als das Jobcenter", erzählt sie. "Wenn die relevanten Unterlagen da sind, könnten die eigentlich schon mit dem Bearbeiten anfangen."

 
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Kommentare
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  • N. T.
    Vielleicht beogen sich ja die Begriffe "Bazooka" und "Wumm" nur auf die Anzahl und den Umfang der Formulare ?
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