Zurück in die Kita heißt es spätestens ab 1. Juli wieder für alle Kinder in Bayern. Während viele Eltern aufatmen, lassen andere ihre Sprösslinge mit Unbehagen zurückkehren. Denn noch ist unklar: Sind Kinder genauso ansteckend wie Erwachsene? Wie schwer verläuft die Corona-Erkrankung bei kleinen Patienten?
Über die Antworten diskutieren und streiten Wissenschaftler weltweit. Eine Forschergruppe der Universitätskinderklinik in Würzburg um den Leiter der Infektiologie und Immunologie, Professor Johannes Liese, hat Daten von über 2500 erkrankten Kindern aus China und Deutschland ausgewertet: vom Säugling bis zum Siebenjährigen, die wegen einer Coronaerkrankung stationär in Kliniken behandelt worden waren. Im Interview sagt Johannes Liese, was ihn dabei überrascht hat.
Prof. Johannes Liese: Zu diesem Zeitpunkt wissen wir das nicht. Es gibt einfach noch zu wenig Studien, die Kinder mit einschließen oder die in Kitas und Schulen durchgeführt wurden.
Liese: Die Aussage von Christian Drosten muss man erklären. Er hat bei Kindern im Nasen- und Rachenraum - also dort, wo man das Virus durch einen Abstrich nachweisen kann - etwa die gleiche Virusmenge bei Kindern wie bei Erwachsenen gefunden. Er hat nicht gesagt, er sei sich sicher, dass Kinder damit automatisch genauso ansteckend sind.
Liese: Dagegen spricht, dass Kinder nicht so stark husten können wie Erwachsene und damit das Virus weniger stark im Raum verteilen können. Dafür spricht andererseits, dass Kinder kontaktfreudiger sind als Erwachsene und Abstandsregeln weniger einhalten. Wir brauchen also weitere Studien.
Liese: In den ersten Untersuchungen aus China und in den nun vorliegenden Untersuchungen aus Deutschland hat sich gezeigt, dass Kinder in der Regel nur eine sehr leichte Atemwegserkrankung nach Infektion mit dem neuen Coronavirus durchmachen. Am meisten überrascht hat mich, dass wir hier in Würzburg bis zum jetzigen Tag kein einziges Kind mit einer Coronavirus-Infektion in der Kinderklinik behandeln mussten. In einer Influenza-Saison werden jede Woche mindestens fünf Kinder ins Krankenhaus aufgenommen. In der RS-Virus-Saison, also von Januar bis April, können es auch bis zu zehn Kinder pro Woche sein. Wir waren bei Covid-19 darauf vorbereitet. Doch glücklicherweise ist es nicht so gekommen. (Anmerkung der Redaktion: RS-Viren können akute Atemwegserkrankungen verursachen und sind besonders gefährlich für Säuglinge und Kleinkinder.)
Liese: Ärzte auf der ganzen Welt haben die Erfahrung gemacht: Die Krankheitsverläufe bei Kindern, die sich mit dem Coronavirus infizieren, verlaufen sehr viel leichter als bei Erwachsenen. Seit Beginn der Pandemie bis heute wurden insgesamt in Deutschland 162 Kinder wegen Covid-19 in Kliniken behandelt. Im Vergleich: Bei der Influenza und bei RS-Viren wären es weit über Tausend in einem vergleichbaren Zeitraum.
Liese: 60 bis 70 Prozent waren jünger als fünf Jahre, 30 bis 40 Prozent waren Säuglinge. Die Mehrheit hatte Fieber und eine Infektion der oberen Atemwege, will heißen: Husten, Schnupfen, Halsschmerzen. Das größte Problem war oft, dass die Kinder nicht genug trinken, also die Gefahr besteht, dass sie dehydrieren und Kreislaufprobleme bekommen. Lungenentzündungen waren selten. Kinder mit Vorerkrankungen der Lunge, des Herzens oder neurologischen Erkrankungen mussten häufiger stationär behandelt werden als gesunde Kinder.
Liese: Drei Viertel der jungen Patienten konnten nach vier Tagen völlig gesund aus der Klinik entlassen werden. Ein Viertel der Kinder hatte bei der Entlassung noch leichte Symptome. Bisher ist ein Kind in Deutschland an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben.
Liese: Danach sieht es im Moment nicht aus. In Einzelfällen ist das aber immer möglich.
Liese: Das ist möglich, wir wissen es aber noch nicht. Eltern bringen einen Achtjährigen, der einen Schnupfen hat, in der Regel nicht sofort zum Arzt. Viele Kinder mit einem leichten Infekt werden vermutlich nicht auf das Coronavirus getestet. Die Frage ist: Wie ansteckend sind diese wenig oder auch gar nicht erkrankten Kinder, wenn sie mit dem neuen Coronavirus infiziert sind?
Liese: Dann würde ich sagen: Ja, klar. Bei vielen Atemwegserkrankungen sind Kinder die Hauptverteiler der Viren. Bei der Influenza sind Kinder hochinfektiös. Sie machen die meisten Infektionen durch. Und sie verteilen diese Infektionen: im Kindergarten, in der Schule, in der Familie.
Liese: Als Kinder- und Jugendarzt bin ich sehr froh, dass Schulen und Kindertageseinrichtungen wieder öffnen, weil eine weitere Schließung andere gravierende Nachteile für die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern hat. Es gibt relativ wenig Covid-19-Neuinfektionen in Deutschland. Das Risiko für eine Familie, ihr Kind jetzt in den Kindergarten zu schicken und danach zu erkranken, ist sehr gering. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass es in einzelnen Einrichtungen lokal zu einem Ausbruch kommt. Daher müssen wir wachsam sein. Kinder mit Schnupfen, Husten, Halskratzen müssen unbedingt zu Hause bleiben und rechtzeitig untersucht werden.
Liese: Der Risikofaktor - Herzerkrankung, Diabetes oder Immunsupression - muss individuell von einem Arzt beurteilt werden. Für jemand, der gut mit Medikamenten eingestellt und stabil ist, ist das Risiko vergleichbar mit dem gesunder Personen derselben Altersgruppe. In diesem Fall sind die Nachteile für das Kind, wenn es zuhause isoliert wird, größer. Ein Krebspatient dagegen, der eine Chemotherapie erhält, die sein Immunsystem stark herabsetzt, sollte weiter sein Kind zuhause lassen.
Liese: Auch dies hängt von zusätzlichen Risikofaktoren und Grunderkrankungen ab. Für 50- bis 70-jährige Großeltern, die gesund und fit sind, sehe ich kein allzu großes Risiko. Sind sie älter, würde ich den Kontakt auf gemeinsames Spazierengehen und Aktivitäten im Freien begrenzen und den Großeltern das Tragen eines sichereren Mund-Nasen-Schutz, etwa einer FFP2-Maske, empfehlen.
In der kiga-gruppe mit 25 Kindern gibt es keine 1,5 m Abstand.
Wir lernen: Es muss immer das für und wieder abgewogen werden.
Und:
Es muss immer die individuelle Gefährdung der ganzen Familie angeschaut werden.
Für Kindergarten und Schule scheint mir wichtig zu sein:
Es geht nicht nur darum, die Kinder und Jugendlichen zu schützen, sondern auch die Erzieher*innen und die Lehrer*innen.
Hanjo von Wietersheim
"Am meisten überrascht hat mich, dass wir hier in Würzburg bis zum jetzigen Tag kein einziges Kind mit einer Coronavirus-Infektion in der Kinderklinik behandeln mussten. In einer Influenza-Saison werden jede Woche mindestens fünf Kinder ins Krankenhaus aufgenommen. "
Das ist für mich ein Indiz, dass man mit den Schulschließungen deutlich übertriebenen hat.
Zu Lasten von Kindern.
Vielleicht tragen die jetzigen Erkenntnisse zu beschleunigten Schulöffnungen bei.
Es gibt zum aktuellen Zeitpunkt KEINEN(!) Hinweis darauf, dass Kinder weniger zur Verbreitung des Virus beitragen als Erwachsene.
Im Gegenteil – die Streeck-Studie von Heinsberg hat als Ergebnis klipp und klar gezeigt, dass das Übertragungsrisiko mit einem infizierten Kind in der häuslichen Gemeinschaft am höchsten ist.
Das Übertragungsrisiko ist laut Heinsberg-Studie am höchsten, falls infizierte Kinder im Haushalt leben: (Zitat) „Waren die Infizierten Kinder, lag das Risiko sogar noch mal höher, 67 Prozent in einem Dreier- und 33 Prozent in einem Viererhaushalt."
Anders herum ist das Infektionsrisiko ungleich geringer (Zitat: „[…] in einem Dreierhaushalt auf rund 36 Prozent und in einem Viererhaushalt auf rund 18 Prozent“) … aber das leuchtet auch ein, denn die Erwachsenen sind in der Regel besser in der Lage, die Hygieneregeln umzusetzen …
Werter Tommy, diese Zahlen sind vielleicht nicht repräsentativ und sie sind vielleicht nicht 1:1 auf den Rest der Republik übertragbar. Aber trotzdem sind es empirische Daten (man könnte auch sagen, „Fakten“ 😉) und es wäre ziemlich dämlich, sie nur deshalb zu ignorieren, weil sie nicht zur eigenen Wunschvorstellung oder Weltanschauung passen …