Bei einem Anschlag auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch sind am Freitag mindestens 49 Menschen getötet worden. Im Interview spricht der Würzburger Terroismusexperte Peter Neumann über Parallelen zu anderen Anschlägen, die Rhetorik von Rechtspopulisten und die Gefahren aus der rechtsextremen Szene.
Frage: Wir haben uns in den vergangenen Jahren häufig über islamistischen Terror unterhalten. Der Anschlag von Christchurch hat wohl einen rechtsextremistischen Hintergrund. Befinden wir uns in einer Gewaltspirale?
Peter Neumann: Das ist die Befürchtung. Der Attentäter hat sich in seinem Manifest, das im Internet kursiert, explizit auf dschihadistische Attentate bezogen und gesagt, seine Tat sei die Vergeltung. Dieses Argumentationsmuster kennen wir schon, zum Beispiel vom Anschlag auf die Finsbury Park Moschee in London 2017, als der Attentäter mit einem Fahrzeug in die Moschee gefahren ist und gesagt hat, er verwende nun dieselbe Methode gegen Muslime, die der Islamische Staat verwendet. Es besteht die Gefahr, dass eine Eskalationslogik entsteht: Jeder Anschlag hat das Ziel, die eigenen Nachahmer zu inspirieren und eine gewaltsame Gegenreaktion auszulösen, die wiederum dazu führt, dass sich noch mehr Leute radikalisieren.
Für wie authentisch halten Sie das Manifest?
Neumann: Für sehr authentisch, auch wenn wohl nicht alles stimmt, was darin steht. Der Attentäter schreibt zum Beispiel, dass er mit Anders Breivik in Kontakt war. Das glaube ich nicht. Maximal hat er Breivik einen Brief geschrieben, mehr aber auch nicht. Ich glaube aber, dass in dem Manifest viel Täterwissen steckt.
Breivik hat 2011 in Norwegen einen rechtsterroristischen Anschlag verübt. Wie stark fühlen Sie sich an ihn erinnert?
Neumann: Die Parallelen sind ganz offensichtlich. Ideologisch sind die Taten absolut identisch. Und in seinem Manifest nennt der Attentäter von Christchurch Breivik als sein Vorbild. Auch das Manifest selbst erinnert an Breivik. Es ist genauso strukturiert: Der Attentäter interviewt sich darin selbst. Und er beschreibt sich selbst als Kreuzritter. Breivik stilisierte sich selbst als Helden einer Kreuzritterbewegung, die als Organisation nicht existiert, aber die Imagination der rechten Szene angefeuert hat: Man sieht bei neurechten Bewegungen häufig Leute, die sich mit den Roben der Kreuzritter verkleiden und sich in deren Tradition sehen – der Kreuzritter, die den Islam besiegt haben.
Das klingt aus der Zeit gefallen.
Neumann: Das klingt tatsächlich etwas fantastisch. Es gibt aber in der rechten Szene Leute, die sich als moderne Kreuzritter sehen. Das gibt ihnen das Gefühl, dass sie keine verstreuten Gewalttäter sind, sondern auf einer wichtigen Mission.
Welche Rolle spielen da die Entwicklungen und Ereignisse der letzten Jahre? Die Flüchtlingsbewegung oder der Bedeutungsgewinn sozialer Medien etwa?
Neumann: Eine große. Erstens haben sich unsere Gesellschaften in den letzten Jahren polarisiert. Da hat sich einiges an die verschiedenen Ränder verschoben. Zweitens: Dass Leute glauben, es gebe eine Bewegung in der Tradition der Kreuzritter, hat auch damit etwas zu tun, dass sie alle miteinander in virtuellen Subkulturen miteinander vernetzt sind. Das gibt ihnen das Gefühl, viele zu sein. Es gibt Webseiten, wo die rechte Szene ganz wild agiert. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Attentäter dort auch aktiv gewesen ist: Verschiedene Stellen in seinem Manifest sind Anspielungen auf diese virtuellen Subkulturen. Nicht zu unterschätzen ist aber auch ein Teil der Rhetorik der populistischen Rechten.
Inwiefern?
Neumann: In dem Manifest kommen ganz viele unterschiedliche Gedanken zusammen. Zum Teil rassistische und neonazistische Ideen, aber auch Verschwörungstheorien, wie man sie häufig vom populistischen Rand hört. „Der große Austausch“ zum Beispiel, wonach westliche Regierungen damit beschäftigt sind, die eigene Bevölkerung durch Einwanderer zu ersetzen. Die Idee, wonach es sich bei der Flüchtlingsbewegung um eine gesteuerte Invasion handelt – das kommt von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Populisten rufen zwar nicht zu Gewalt auf oder dazu, Moscheen anzugreifen. Aber man muss sich in diesen Kreisen mal überlegen, was passiert, wenn man eine Rhetorik verwendet, die eine existenzielle Bedrohung heraufbeschwört. Die in den Köpfen der Leute die Idee pflanzt, dass die gesamte Zivilisation auf dem Spiel steht. Dann darf man sich nicht wundern, wenn einige dabei zu dem Schluss kommen, dass man mehr tun muss, als nur zur Wahl zu gehen...
Überrascht Sie Neuseeland als Anschlagsort?
Neumann: Der Täter hat ja wohl gesagt, dass er sich Neuseeland eher zufällig ausgesucht hat. Aber der Täter ist Australier und in Australien gibt es eine sehr aktive neurechte, identitäre Szene, die sogenannten „Proud Boys“. Die verbreiten die genannten Ideen, haben mit Hassgewalt zu tun.
Dass ein Terrorist einen Anschlag live im Internet zeigt, ist neu.
Neumann: Den ersten Versuch gab es schon 2011: Mohammed Merah in Toulouse. Vor seinem Anschlag auf eine jüdische Schule hatte er sich eine Go-Pro-Kamera umgeschnallt. Seitdem warnen Experten Facebook und Co. Vor solchen Livestreams, obwohl es natürlich nicht einfach ist, so etwas zu verhindern.
Erwarten Sie nun eine Reaktion der islamistischen Szene?
Neumann: Islamisten haben nicht diesen Anschlag gebraucht, um ihrerseits einen Grund für einen Anschlag zu haben. Die größere Gefahr kommt von der anderen Seite: Nachahmer und Gesinnungsgenossen, die sich nun inspiriert fühlen.
Wie hoch ist die Gefahr aus der rechten Szene in Deutschland?
Neumann: Ich habe das Gefühl, dass Deutschland – aber auch andere Staaten – die offene rechtsextreme Szene ziemlich gut im Blick haben. Wenn Nazis auf die Straße gehen oder sich eine Kameradschaft irgendwo trifft, wissen das die Behörden. Ich vermute aber, dass man diese virtuellen Subkulturen, die mindestens genauso wichtig sind, nicht so genau im Blick hat. Die Gefährlichkeit dieser Szene wurde noch nicht erkannt und wird unterschätzt. In den Verfassungsschutzberichten taucht dieses Phänomen kaum auf.