
Carolin Lehrieder hatte 2020 ihr "großes Jahr" vor Augen. Schon im September 2019 hatte sie sich für den legendären Ironman auf Hawaii qualifiziert und einen Trainingsplan erstellt, "eine komfortable Ausgangslage, die man nicht alle Tage hat". Doch es kam anders.
"Corona hat auch für mich alles durcheinander gewirbelt", sagt die Triathletin in einem Gespräch mit dieser Redaktion. Aus dem Jahr, das sie so perfekt wie möglich planen wollte, "wurde das schwierigste meiner sportlichen Laufbahn". Vor Kurzem ist die 31-Jährige von einem der wenigen Rennen in diesem Jahr - diesmal in den USA - zurückgekehrt. "Leider verletzt", wie sie sagt. Ihre optimistische Haltung lässt sie sich dadurch aber nicht nehmen. Als Sportler sei man es gewöhnt, immer wieder Rückschläge einzustecken. Hilft das auch in der Corona-Zeit? In gewisser Weise ja, sagt sie. Man könne sich die Corona-Pandemie wie einen Hindernislauf vorstellen. "Immer wieder geschehen Dinge, auf die man sich neu und flexibel einstellen muss. Man muss diese Hindernisse überwinden, um ins Ziel zu gelangen." Dazu brauche es neben Geduld und Disziplin auch Ausdauer und Durchhaltevermögen.
Es geht um das "große Ganze"
Allerdings gibt es für Lehrieder einen großen Unterschied: "Während ich beim Lauf, zum Beispiel in der Mitteldistanz, genau weiß, dass ich nach 21 Kilometern ins Ziel komme, wissen wir bei der Pandemie leider nicht genau, wie lange das alles andauern wird." Das mache es auf jeden Fall schwieriger. Trotzdem: Die Würzburgerin ermutigt, optimistisch ins Jahr 2021 zu starten und durchzuhalten - "solange, bis es hoffentlich im Sommer wieder besser wird und viele der Bürger dann geimpft sind ".
Man müsse sich vorstellen, dass es gemeinsam "um das große Ganze geht", Egoismus sei da fehl am Platz, meint Lehrieder. Sie selbst habe dank Corona Dinge wieder neu schätzen gelernt, sich auch auf Grundwerte wie die Gesundheit zurück besonnen. Und: "Ich schätze mich glücklich, dass ich hier in Deutschland leben darf." Hier gebe es auch für diejenigen, deren wirtschaftliche Existenzen durch die Corona-Krise bedroht sind, ein soziales Auffangnetz. Und, was das Reduzieren der Kontakte angeht: Im Gedanken an das Ganze sei es eben auch mal "okay, für eine Weile nicht ins Kino zu gehen oder sich mit Freunden zu treffen", meint die 31-Jährige.
Natürlich hat Lehrieder sehr bedauert, dass in diesem Jahr viele Wettkämpfe ausgefallen sind, aber im Endeffekt hat sie klar vor Augen, "dass es in der momentanen Situation nicht Priorität hat, ob mein Rennen stattfindet oder nicht". Die Profisportlerin hat das Mehr an freier Zeit genutzt, um an ihren Schwächen zu arbeiten, zum Beispiel bezüglich technischer Details oder auch, was "das Training meiner Grundgeschwindigkeit" angeht. Dafür bleibe sonst eher zu wenig Zeit.
Eines ist ihr in dem Krisenjahr bewusst geworden: "Radfahren. Schwimmen. Laufen. Ich übe den Triathlon nicht nur aus, weil er mein Beruf ist und ich Wettkämpfe gewinnen will, sondern vor allem, weil der Sport zu mir, zu meinem Leben dazugehört und mir guttut." Froh sei sie gewesen, "dass ich mein Training auch in der Zeit des Lockdowns ausüben konnte und "ich nicht an eine Sportart gebunden bin". Als zum Beispiel die Schwimmbäder im Frühjahr für kurze Zeit auch für Profis schlossen, konnte sie immer noch radfahren und laufen. Lehrieder ist sich sicher, dass viele Menschen trotz Corona oder gerade deswegen in diesem Jahr eine "Mega-Entwicklung" gemacht haben, viel über sich selbst gelernt haben und "vielleicht auch erfahren haben, wie man schwierige Phasen im Leben meistern kann".
Etappenziele setzen und sich nicht vom Weg abbringen lassen

Mental wichtig sei es, sich immer wieder Etappenziele zu setzen. Als Sportler, beschreibt sie, sei man es gewohnt, Ziele in weiter Ferne zu haben: "Es kommt öfter vor, dass ein Wettkampf erst in acht Monaten oder in einem Jahr stattfindet, deshalb ist es wichtig, sich Zwischenziele zu setzen." Das rät sie auch fürs normale Leben, "immer wieder kleine Etappenziele stecken und sich nicht vom Weg abbringen lassen".
Und wenn Rückschläge kommen: "Durchbeißen, flexibel im Kopf bleiben, neue Wege finden und vor allem lösungsorientiert sein und nicht problemorientiert." Man müsse lernen, mit seinen Energien zu haushalten, sowohl körperlich als auch mental. Und in Zeiten der Pandemie: Auch loslassen lernen und einschätzen, "was kann ich noch kontrollieren und was nicht, weil ich vielleicht keinen Einfluss darauf habe".
Und versuchen, das Positive aus der jeweiligen Situation herauszuholen: "Ich persönlich fand es zum Beispiel gut, im Jahr 2020 meinem Körper mal keine langen Läufe zuzumuten." Was Lehrieder beeindruckt hat, war, wie viele Menschen während des ersten Lockdowns im März und April plötzlich mit dem Laufen angefangen haben oder raus in die Natur gegangen sind, um sich zu bewegen. "Das fand ich toll und hoffe, dass es viele auch nachhaltig weiterbetreiben." Denn durch Bewegung verbessere sich auch die Gemütslage und Endorphine werden ausgeschüttet. "Wenn ich mich körperlich auspowere, kann ich Emotionen besser verarbeiten und mein Blick weitet sich."
Sport bringt Motivation
Ihr Tipp in Coronazeiten: "Es gibt zur Motivation echt coole Plattformen fürs Sport machen im Netz, beispielsweise kann man über das Kommunikationstool Zwift zusammen Indoor-Radfahren und so auch das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken." Außerdem: "Den Austausch mit Freunden finde ich extrem wichtig. Wenn man sich schon nicht sehen darf, dann wenigstens online oder übers Telefon. Wir kämpfen gerade mit den gleichen Problemen - das schweißt zusammen und man kann sich gegenseitig Mut zusprechen und Energie geben."

Im Grunde genommen sieht Lehrieder dem Jahr 2021 positiv entgegen. "Ich sehe es so: Nach den tiefsten Tiefen kommen die höchsten Höhen." Jeder sollte sich ein optimistisches Päckchen schnüren, mit ins neue Jahr nehmen und durchstarten. Und daran denken, dass es nie rein linear nach oben geht. "Es wird immer Rückschläge geben im Leben, ob das Corona ist oder etwas anderes, aber es geht darum, mental gestärkt aus der Situation zu gehen."
Für ihren Sport heißt das: "Wer dieses Jahr gut trainiert und gearbeitet hat, wird davon im nächsten profitieren, wenn es mit den Wettkämpfen hoffentlich wieder von 0 auf 100 geht." Und da heißt ihr höchstes Ziel erneut: Ironman Hawaii. "Ich glaube fest daran, dass dieser stattfindet, es wird ja gerade im Profisport mit Hochtouren an guten Konzepten gearbeitet."