Medizinisches Know-How gelangt in Sekundenschnelle bis in die entlegensten Winkel der Region. Hausärzte oder Kliniken schalten Video-Experten zu. Der Patient kontrolliert sich mit einer App und hält von daheim aus den behandelnden Arzt auf dem Laufenden. Am Ende steht mehr Gesundheit – unabhängig von Kliniknähe und Ärztedichte. Alles Fiktion? Keineswegs, wie das 5. Mainfränkische Gesundheitssymposium gezeigt hat.
Die Region Mainfranken GmbH hatte es in Estenfeld (Lkr. Würzburg) beim High-Tech-Dienstleister ERT (eResearchTechnology) organisiert. Das Unternehmen zählt selbst zur Spitze in der Medizin-IT, ist Weltmarktführer beim Sammeln von anonymisierten Patientendaten. So werden weltweit mit speziellen Geräten Lungenfunktionswerte gemessen und für Pharma-Konzerne aufbereitet.
Mainfränkische Unternehmen mit modernster Medizintechnik
ERT-Geschäftsführer Achim Schülke spricht von drei Millionen Daten, die das Unternehmen täglich verarbeitet. 250 000 Ärzte seien beteiligt. Ein gigantischer medizintechnischer Informations- und Kommunikationsmarkt.
Auch andere mainfränkische Firmen sind auf dem Gebiet höchst innovativ unterwegs und stellten sich am Rande des Symposiums vor. Die Würzburger aycan GmbH entwickelt Software nicht nur für digitalisierte Röntgentechnik, sondern auch für den direkten Gebrauch durch Patienten und Ärzte. „Smartvisit“ heißt das jüngste Baby – eine App, mit der ein Patient seine Gesundheitsdaten über das iPhone erfassen und an Klinik oder Arzt weitergeben kann – „verschlüsselt, direkt, ohne Speicherung im Internet“, wie Geschäftsführer Stephan Popp versichert.
Symposium zeigt: Rechtliche und ethische Abwägungen nötig
Denn auch er weiß: Sorgen um den Datenschutz sind leicht die Euphoriebremse für den medizintechnischen Fortschritt. Gesundheitsdaten einzelner Patienten sind ein sensibles Gut, ihre Freigabe und Nutzung bedarf der medizinethischen und -rechtlichen Abwägung. Das wurde auch aus Vorträgen und der Diskussion bei dem Symposium deutlich.
Über den Masterplan „Bayern Digital II“ will die Staatsregierung eine elektronische Gesundheitsakte einführen, zunächst als Testlauf in der Region Nürnberg. Als Vertreter des Gesundheitsministeriums skizzierte Peter Steiert die Idee: Die Akte soll alle Gesundheitsdaten eines Patienten bereithalten, bei einer Behandlung hätten beteiligte Fachärzte oder Kliniken Zugriff und wären schnell vernetzt, Doppeluntersuchungen ließen sich vermeiden.
Ministerium: „Datensouverän bleibt der einzelne Bürger“
Aber: „Datensouverän bleibt der einzelne Bürger. Er entscheidet, wer auf die Daten zugreifen darf“ so die Prämisse laut Steiert. Der CSU-Landtagsabgeordnete und Wissenschaftspolitiker Oliver Jörg (Würzburg) konnte dies in der Diskussion nur unterstreichen.
Telemedizin – schon der Begriff sorgt bei manchen für ein flaues Gefühl. Braucht es nicht den persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient für eine ordentliche Diagnose und Behandlung? Dabei werden technische Möglichkeiten schon heute sinnvoll genutzt, gerade bei Notfällen. So haben sich Kliniken in Mainfranken zum Schlaganfall-Netzwerk TRANSIT zusammengeschlossen. Bereits auf dem Weg in die Klinik werdenwichtige Patientendaten übertragen, der Notarzt wird in den Rettungswagen zugeschaltet. Mit einem Spezial-Pad können Videoaufnahmen vom Schlaganfall-Patienten gemacht und an die Klinik übermittelt werden. So ist man dort gut auf den Notfall vorbereitet.
Bad Kissinger Zentrum für Telemedizin entwickelt Methoden und Netzwerke
Das vom Freistaat geförderte und aufgebaute Zentrum für Telemedizin in Bad Kissingen hat sich auf diese Art der Vernetzung im Gesundheitswesen spezialisiert. Geschäftsführer Dr. Asarnusch Rashid berichtete aus der Praxis: Eine EKG-Überwachung per App von daheim aus. Eine „Pflegebrille“, die Bilder des Patienten zum Arzt schickt und fachlichen Rat einholt. Videotechnik, mit der sprachkundige Mediziner für die Versorgung von Flüchtlingen zugeschaltet werden.
All dies sind Beispiele für telemedizinische Anwendungen, die häufig noch ein bürokratisches Manko haben: eine gesicherte Finanzierung durch die Krankenkassen. Sie müssten hier zügig zu einheitlichen Standards kommen, forderte denn auch Prof. Norbert Roewer, stellvertretender Ärztlicher Direktor am Uniklinikum Würzburg.
„German Angst“ als Hindernis für bessere Datennutzung
Ein anderes Hindernis sind übermäßige Datenschutzbedenken. Prof. Christoph Reiners, lange Jahre ärztlicher Direktor an der Uniklinik, vermutet die viel zitierte „German Angst“ dahinter, resultierend aus den Erfahrungen totalitärer Systeme. Reiners ist Sprecher der Plattform Digitale Medizin/Gesundheit im 2015 gegründeten Zentrum Digitalisierung Bayern. Er glaubt nicht, dass das persönliche Arzt-Patienten-Verhältnis unter einer fortschreitenden Digitalisierung leidet, im Gegenteil: „Sie entlastet den Arzt bei administrativen Aufgaben und schafft Kapazität für die persönliche Zuwendung.“
Die elektronische Gesundheitsakte hält der Experte für einen wichtigen Schritt zu einer effektiveren Versorgung von Patienten, weil der Arzt zügig das komplette Bild eines Patienten erhält. Geht es nach Reiners, wäre die elektronische Erfassung die Regel – und fände nur bei aktivem Widerspruch eines Patienten nicht statt. Ein Verfahren wie es in Österreich angewendet wird.
Patient: „Lieber mit medizinischem Zentrum als auf Facebook teilen“
Aus Patientensicht sagte der an der seltenen Krankheit Hypophosphatasie leidende Gerald Brandt das Entsprechende dazu: „Wenn Sie verzweifelt sind, gehen Sie auch Risiken ein. Es ist doch sinnvoller, Daten mit einem medizinischen Zentrum als auf Facebook zu teilen.“