
Etwa 50 Personen haben sich vor dem Gebäude der Blindeninstitutsstiftung versammelt. Sie blicken auf das Erinnerungsdenkmal, das die Blindeninstitutsstiftung aufgestellt hat und das nun eingeweiht wird. Andächtig lauschen die Teilnehmenden den Zeitzeugnissen, die vorgelesen werden – und gehen im Anschluss nacheinander zur Skulptur, um dort im Gedenken je eine weiße Rose niederzulegen.
Das Denkmal soll an die blinden Schülerinnen und Schüler des Blindeninstituts erinnern, die Ende der 1930er Jahre in Würzburg zwangssterilisiert worden waren. Der damalige Direktor des Blindeninstituts unterstützte laut Zeitzeugenberichten die Anordnungen der Nationalsozialisten und übte auf die jungen Menschen Druck aus.
Denkmal symbolisiert Zusammenhalt
Das kugelförmige Denkmal trägt den Titel "Zusammenhalt" und besteht aus fünf Kreisen, die ineinander verschlungen sind. Auf dem äußersten Kreis ist der erste Artikel des Grundgesetzes in Schwarzschrift und in Braille-Schrift, der Schrift für Blinde, aufgetragen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar!"
Kurt Grimm hat die Skulptur entworfen und gebaut. Der Bildhauer aus Kleinrinderfeld sagt: "Ohne einen guten Zusammenhalt funktioniert keine Gesellschaft. Und ohne guten Zusammenhalt können wir die Schwächsten nicht schützen." Aus diesem Grund habe er seinem Werk den Titel "Zusammenhalt" gegeben.
Die Kreise als verschiedene Teile der Gesellschaft
Für die Kreise hat Grimm Cortenstahl gewählt, ein Material, das von Architekten und Künstlern oft genutzt wird. Die Kreise seien zwar ineinander verschlungen, trotzdem sei jeder ein eigener Kreis, sozusagen unabhängig von den anderen. "Die äußeren Kreise schützen die inneren Kreise", erklärt Grimm. "Sie tragen sie, aber halten sie nicht fest."
Die Kreise stellen laut Grimm die verschiedenen Teile unserer Gesellschaft dar – von den schwächsten bis zu den stärksten. Würde man die Kreise von dem Sockel, auf dem sie stehen, entfernen und der Größe nach ineinander legen, entstünde eine große Platte mit etwa 1,50 Metern Durchmesser: die Gesellschaft als Ganzes.
Stiftungschronik: Fast 170 Jahre auf über 600 Seiten
Neben der Skulptur stellte die Blindeninstitutsstiftung noch ihre Stiftungschronik vor: ein 640 Seiten starkes Buch über die Geschichte des Instituts und das Leben blinder Menschen seit 1853. Es wurde verfasst von Wolfgang Drave und Hans Neugebauer, die sich seit über 40 Jahren mit der Geschichte der Blindeninstitutsstiftung beschäftigen.

Drave und Neugebauer durchsuchten Archive in Würzburg und München, sie sammelten hunderte von Bildern, Videos und Dokumenten. Zudem hat Drave in den vergangenen Jahrzehnten viele Blinde in ganz Deutschland interviewt. Unter ihnen waren auch Zeitzeugen und -zeuginnen aus Würzburg, die von den Zwangssterilisationen erzählten. Auszüge dieser Gespräche sind nun in der Stiftungschronik zu finden:
"Wir mussten zur Klinik, wir sind einfach hingebracht worden … Und die andern sind halt auch untersucht worden, was sie für Augenleiden haben. Es ging dadrum, ob du erblich belastet bist, ob die Krankheit erblich ist, und wenn sie erblich ist, dann ist eben die Sterilisation im Laufe der Zeit fällig. Und da konnte man sich gar nicht wehren dagegen."
Eine bunte Chronik
"Wer Hitler in die Finger gefallen ist, der war einfach verratzt. Man durfte sich mit Hitler und mit seinen Laushammeln nicht anlegen."
Damit das Buch mit so viel Geschichte nicht überladen wirkt, hat das Team um den Grafiker Dieter Soldan viele Bilder, Grafiken und Infoboxen eingebaut. Laut Neugebauer ist die Chronik damit so bunt geworden, wie die Blindeninstitutsstiftung selbst es ist.