
Etwa 15 Prozent der Mütter und fünf Prozent der Väter sind rund um die Geburt ihres Kindes laut Berufsverband der Frauenärzte von Depressionen und Angststörungen betroffen, oft auch in Kombination. Anders als der eher harmlose "Babyblues", den 50 bis 80 Prozent aller Mütter nach der Geburt erleben und der vor allem starke Stimmungsschwankungen bedeutet, handelt es sich bei einer Wochenbettdepression um eine ernsthafte psychische Erkrankung. Nicht selten beginnt sie bereits in der Schwangerschaft.
An der Frauenklinik der Würzburger Uniklinik gibt es eine Anlaufstelle für psychische Erkrankungen rund um die Geburt. Dr. Andrea Gehrmann, Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie, Psychiatrie und Psychotherapie, leitet die Mutter-Kind-Sprechstunde dort. Mit Psychotherapeutin Freya Lanczik ist sie am deutschlandweiten UplusE-Projekt beteiligt, einer Studie zur Früherkennung und Frühbehandlung psychischer Erkrankungen im Zusammenhang mit einer Geburt.
Freya Lanczik: Der sogenannte Babyblues setzt wenige Tage nach der Geburt ein und verschwindet innerhalb weniger Tage von selbst. 50 bis 80 Prozent der Mütter erleben diese Phase. Typische Anzeichen sind Stimmungsschwankungen zwischen Weinen und Freude, Reizbarkeit und Schlafstörungen. Hormonelle Umstellungen, die große Lebensveränderung durch die Geburt und Schlafmangel lösen diese Symptome aus. Ruhe, Verständnis und Unterstützung bei der Betreuung des Neugeborenen helfen meist, das seelische Gleichgewicht wiederherzustellen.
Dr. Andrea Gehrmann: Eine postpartale Depression beginnt oft mit klassischen Symptomen wie Antriebsstörung, trauriger Stimmung, Schlafstörungen und Grübeln. Betroffene zweifeln häufig an sich selbst und finden keinen Zugang zu ihrem Kind. Auch Ängste ums Baby und Ängste, die Versorgung des Babys nicht zu schaffen, treten auf. Solche Ängste sind bis zu einem gewissen Grad normal. Wenn die Ängste jedoch übergroß werden und das Alltagsleben einschränken, könnte eine psychische Erkrankung vorliegen.
Lanczik: Verschiedene Risikofaktoren fördern die Entwicklung. Dazu gehören psychische Erkrankungen in der eigenen oder familiären Vorgeschichte, depressive Episoden während der Schwangerschaft und konfliktreiche Schwangerschaften, etwa durch partnerschaftliche oder familiäre Probleme. Auch fehlende Unterstützung durch das Umfeld und hohe Erwartungen an die Mutterrolle erhöhen das Risiko. Das Leben mit einem Säugling entspricht oft nicht den eigenen Vorstellungen und kann bei Frauen mit hohen Ansprüchen an sich selbst zu Selbstzweifeln führen.
Gehrmann: Obwohl Ärztinnen und Ärzte in Gynäkologie und Pädiatrie regelmäßig junge Familien betreuen, wird nur ein Bruchteil der psychischen Erkrankungen der Eltern rund um die Geburt frühzeitig erkannt. Viele Frauen und Männer haben Scham- und Schuldgefühle und müssten routinemäßig nach ihrem psychischen Befinden gefragt werden, um sich zu öffnen. Dabei lassen sich diese Leiden bei rechtzeitiger Diagnose meist gut und schnell therapieren.
Gehrmann: Postpartale Depressionen lassen sich gut behandeln. Abhängig von den Symptomen empfehlen wir eine Psychotherapie, Maßnahmen zur psychosozialen Unterstützung und manchmal auch eine medikamentöse Behandlung. Auch in der Stillzeit stehen Medikamente zur Verfügung, die für Mutter und Kind sicher sind. In der Psychotherapie ist auch die Stärkung der Bindung zwischen Elternteil und Baby ein Thema.
Lanczik: Psychische Erkrankungen erhöhen die Stresshormone. Studien zeigen, dass das Kind bereits im Mutterleib durch diese Hormone beeinträchtigt wird. Während der Schwangerschaft nimmt das Kind den Stress der Mutter wahr. Nach der Geburt fällt es depressiven Eltern oft schwer, prompt und feinfühlig auf ihr Kind zu reagieren. Dies erschwert den Beziehungsaufbau und kann Bindungsprobleme beim Kind verursachen. Solche Probleme erhöhen später das Risiko für psychische Erkrankungen. Um dies frühzeitig zu erkennen, arbeiten Gynäkologinnen und Kinderärzte eng mit Psychologinnen und Psychiatern zusammen.
Gehrmann: Im UPlusE-Projekt befragen Gynäkologinnen sowie Kinder- und Jugendärzte Schwangere und junge Eltern regelmäßig bis zur U6-Untersuchung des Kindes zu ihrem psychischen Befinden und möglichen Belastungen. Diese Befragungen finden vor den Vorsorgeuntersuchungen über eine Praxis-App statt. Deuten die Screening-Ergebnisse auf eine mögliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit hin, geben die Ärzte Kontaktdaten für Beratung oder Behandlung an die Patienten weiter.
Lanczik: Mit dem Screening sollen langwierige und schwere Krankheitsverläufe vermieden und die daraus resultierenden psychischen Belastungen für die betroffenen Familien reduziert werden. Das trägt unter anderem zu einer gesunden Entwicklung des Kindes bei.