„Mehr Demokratie wagen“ – den alten Wahlspruch von Willy Brandt will Würzburg als erste Großstadt in Bayern jetzt bei Bürgerentscheiden noch ernster nehmen. An diesem Donnerstag soll der Stadtrat beschließen, dass künftig jedem erwachsenen Würzburger automatisch mit der Benachrichtigung über die Abstimmung auch die Briefwahlunterlagen zugeschickt werden.
Breitere demokratische Basis für Entscheidungen
Die Kommunalpolitik hofft, dass somit Entscheidungen auf einer breiteren demokratischen Basis stehen werden. Denn wenn Briefwahlunterlagen – wie bei Wahlen – nicht mehr extra angefordert werden müssen, werden sie möglicherweise mehr Leute ausfüllen und abschicken.
Die Nachfrage dieser Redaktion bei den Vorsitzenden der Stadtratsfraktionen zeigt Einigkeit: Bereits zum nächsten Bürgerentscheid über die Zukunft des Faulhaber-Platzes am 2. Juli soll die Stadt die Abstimmungsunterlagen unaufgefordert allen Wahlberechtigten schicken.
Kosten verdoppeln sich
Die Kosten des Bürgerentscheids von bisher rund 100 000 Euro würden sich dadurch verdoppeln.
Den prinzipiellen Anstoß dazu hat Oberbürgermeister Christian Schuchardt vergangenes Jahr gegeben. „Die Demokratie muss sich weiterentwickeln und auf die Bedürfnisse der Bürger reagieren“, erklärte Schuchardt, als er die Idee, Briefwahlunterlagen für Bürgerentscheide aufforderungslos zu verschicken, vorgestellt hat.
Vom bayerischen Innenministerium erfuhr er, dass die Versendung der Unterlagen jeder Kommune möglich ist, sie müsse dazu nur ihre Satzung ändern.
Stadtrat steht hinter dem Vorschlag des OB
Die sieben Fraktionen des Stadtrats stehen in dieser Frage hinter dem OB. „Demokratie ist dann erfolgreich, wenn sich viele beteiligen“, erklärt Christine Bötsch für die CSU. „Demokratie lebt vom Mitmachen“, meint Karl Graf (FDP/Bürgerforum). Josef Hofmann (FWG) begrüßt, dass es so für „alle Wahlberechtigten leichter wird, sich aktiv am Politikgeschehen zu beteiligen.“
„Weil wir für mehr Bürgermitbestimmung sind“, stimmt auch die SPD-Fraktion der Satzungsänderung zu. Obwohl „uns die Kostenerhöhung Bauchschmerzen macht“, so Alexander Kolbow. Doch wie alle anderen hofft auch die SPD, dass sich der Einsatz lohnt, weil sich mit der leichteren Teilnahme die „nicht zufrieden stellende Wahlbeteiligung der letzten Bürgerentscheide“ (Bötsch) erhöhe. „Dadurch gewinnen diese an Legitimation“ (Matthias Pilz, Fraktionschef Grüne).
Würzburg als Vorreiter unter den bayerischen Großstädten
Laut Achim Sing vom Bayerischen Städtetag ist Würzburg die erste Großstadt im Freistaat, die Briefwahlunterlagen haushaltsabdeckend versenden will. Nur kleinere Städte wie Pfaffenhofen oder Freising hätten das bislang eingeführt.
Susanne Socher vom Verein „Mehr Demokratie Bayern“ freut sich, dass Würzburg hier die Vorreiterrolle übernimmt.
Der Verein unterstützt Bürgerinitiativen bei der Organisation von Entscheiden und wirbt für mehr direkte Demokratie. „Dass man Mitbestimmung leichter machen will, ist natürlich in unserem Sinne.“
Schon beim nächsten Bürgerentscheid am 2. Juli
Der Zeitpunkt der Satzungsänderung ist spannend. Denn es ist der letztmögliche Termin dazu vor dem nächsten Bürgerentscheid am 2. Juli. Dass die Änderung jetzt noch auf die Tagesordnung kommt, beantragte die ÖDP-Fraktion – die mit den Stadträten von Grünen, Linke und ZfW das Bürgerbegehren „Grüner Platz am Theater“ unterstützt.
„Mehr Bürgerbeteiligung zu ermöglichen, ist angesichts der Wahlbeteiligung der letzten Wahlen, aber auch der allgemeinen Politikverdrossenheit eine wichtige Aufgabe aller politischen Gremien und Beteiligten“, sagt Raimund Binder (ÖDP).
In der Tat waren die Würzburger an vielen Themen, die in den vergangenen Jahren zur Entscheidung standen, nur mäßig interessiert – Ausnahme der Entscheid über die Arcaden-Pläne von mfi 2006: Damals stimmte fast jeder zweite ab.
Beim bislang letzten Bürgerentscheid in Würzburg machte dagegen nur knapp jeder fünfte Wahlberechtigte mit, und „Rettet das Moz“ schaffte das nötige Quorum von zehn Prozent Zustimmung auch nur ganz knapp: 200 Stimmen weniger und die BI wäre gescheitert.
Das ist zum Beispiel die Bürgerinitiative, die 2013 die Wohnbebauung am Platz'schen Garten verhindern wollte. 16 Prozent der Wahlbeteiligten machten mit und stimmten mehrheitlich gegen die Bebauung – nur waren es ein paar Stimmen zu wenig, um die Zehn-Prozent-Hürde zu nehmen.
Durch die automatische Versendung von Briefwahlunterlagen dürften die Chancen für Bürgerentscheide steigen, dieses Quorum zu schaffen. Das gilt auch für den anstehenden Entscheid „Grüner Platz am Theater“.
Trotzdem tragen jetzt alle Stadtratsfraktionen die Änderung mit. „Alles andere wäre auch unglaubwürdig,“ sagt Jürgen Weber, Chef der WL-Fraktion, die wie CSU, SPD, FDP-Bürgerforum und FWG keinen Park am Faulhaber-Platz will und dem Bürgerentscheid deshalb eigentlich keinen Erfolg wünscht.
Man kann dieses durchaus sinnvolle Instrument auch überstrapazieren....